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Berlin-Wahl | Experte: "Giffey Verhalten kann als Drohung verstanden werden"


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SPD will mit CDU koalieren
"Ich glaube nicht, dass das ein Zufall war"


Aktualisiert am 01.03.2023Lesedauer: 4 Min.
Nach der Berliner Wahl - SondierungenVergrößern des Bildes
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD): "Es gibt sehr unterschiedliche Strömungen in der SPD", sagt Experte Neugebauer. (Quelle: Jörg Carstensen/dpa/dpa)
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Franziska Giffeys Vorstoß, mit der CDU koalieren zu wollen, überrascht viele. Ein Experte erklärt im t-online-Interview, was sie will und wie es weitergehen könnte.

Sie hat sich entschieden. Obwohl Franziska Giffey in einer Koalition mit Grünen und Linken weiter Berlins Regierende Bürgermeisterin bleiben könnte, will sie mit der CDU in Koalitionsverhandlungen treten. Der Politikwissenschaftler und SPD-Experte Gero Neugebauer spricht im Interview darüber, wie es jetzt weitergehen könnte.

t-online: Franziska Giffey will Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufnehmen. Wie sehr hat Sie das überrascht?

Gero Neugebauer: Das hat mich sehr überrascht. Ich hatte den Eindruck, dass die SPD eine Art Lagerwahlkampf geführt hat, für die Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition. Es gab zumindest die Vermutung, dass es Absprachen gab, gemeinsam weiterzuregieren. Außerdem haben Koalitionen mit der CDU in Berlin für die SPD ja eine lange Geschichte, die nicht immer so gut für die Sozialdemokraten war. Für die SPD besteht die Gefahr, den nützlichen Idioten zu spielen, der die Schwächen der CDU überdeckt, aber nicht an den Erfolgen partizipiert.

Vor der Wahl haben viele Experten gesagt, dass Giffey Bürgermeisterin bleibt oder abtritt. Jetzt ist sie offenbar bereit, Senatorin unter Kai Wegner zu werden. Warum macht sie das?

Frau Giffey ist heftig kritisiert worden, weil die SPD so abgesackt ist. Sie hat dafür gekämpft, dass die SPD stärkste Kraft wird. Das hat sie nicht geschafft.

Zur Person

Gero Neugebauer ist Politikwissenschaftler und ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Er ist Experte für das deutsche Parteiensystem und speziell für die SPD.

Schon nach der Wahl 2021 wollte Giffey eigentlich lieber eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP eingehen. Ist die Entscheidung für die CDU auch damit erklärbar, dass Giffey konservativ ist und sich in dieser Konstellation wohler fühlt?

Giffey wurde im SPD-Kreisverband Neukölln sozialisiert, unter dem für SPD-Verhältnisse knochenharten Konservativen Heinz Buschkowsky. Und es finden sich durchaus Beispiele für sehr konservative Positionen bei Giffey. 2021 hat sie etwa dafür plädiert, Straftäter nach Syrien und Afghanistan abzuschieben.

Die Berliner SPD gilt dagegen als eher links, die Jusos haben schon Protest gegen eine Koalition mit der CDU angekündigt. Droht Giffey ein offener Aufstand?

Es gibt sehr unterschiedliche Strömungen in der SPD. Es gibt die Giffey-Getreuen, die sie weiter unterstützen werden. Dann gibt es die, die Rot-Grün-Rot eigentlich gut fanden, aber von den Grünen derart genervt sind, dass sie vielleicht offen sind für die CDU. Andere wiederum wollen eigentlich in die Opposition, um da eine Art Oppositionskoalition mit den Linken zu bilden. Es gibt keine einheitliche Haltung. Im Wahlkampf wurde das gut versteckt, jetzt könnte das deutlicher werden.

Wie soll der Landesvorstand jetzt damit umgehen?

Ich denke, dass sie erst mal den Koalitionsverhandlungen mit der CDU zustimmen, um Giffey nicht komplett bloßzustellen. Aber sie werden genau darauf achten, was da verhandelt wird. Wenn die Koalition dann nicht zustande kommt, könnte es passieren, dass Frau Giffey sich verabschiedet und es doch noch mit Rot-Grün-Rot weitergeht.

Also dann mit einem SPD-Regierungschef, der nicht Giffey heißt?

Sag niemals nie. Ich halte das grundsätzlich für möglich. Allerdings hat die SPD hier auch das Problem, dass sich niemand wirklich als Nachfolger an der Parteispitze aufdrängt.

Wenn Giffey zurücktreten sollte, gibt es dann einen Weg für sie zurück in die Bundespolitik, obwohl sie als Familienministerin zurücktreten musste?

Ja, das halte ich für möglich. Der Kanzler will sein Kabinett paritätisch besetzen, da ist sie als Frau besonders gefragt. Außerdem ist sie als Ministerin nur wenig kritisiert worden und hat Loyalität bis in die Knochen gegenüber Olaf Scholz, einem ebenfalls eher konservativen Sozialdemokraten. Giffey ist sehr konsequent, was die Berechnung ihrer Chancen angeht. Wenn sie bemerkt, dass sie aus den Koalitionsgesprächen ohne größeren Schaden nicht rauskommt, wird sie sich zurückziehen.

Es gab Berichte, dass die Grünen angesichts des hauchdünnen Rückstands auf die SPD hohe Forderungen in den Sondierungen gestellt haben. Jetzt wendet sich die SPD der CDU zu. Haben die Grünen sich verzockt?

Das hat ja schon mit den Streitigkeiten in der Koalition angefangen. Einem Teil der SPD-Spitze passt es nicht, wie Frau Jarasch versucht hat, ihre Positionen durchzusetzen, etwa bei der Sperrung der Friedrichstraße. Auch in der Verkehrspolitik oder bei der inneren Sicherheit gibt es einige inhaltliche Konflikte.

Die CDU hat sich noch nicht festgelegt und hält sich die Option offen, mit den Grünen zu koalieren. Halten Sie das noch für möglich?

Ja, das kann passieren. Giffeys Verhalten kann deshalb als Drohung gegen die Grünen verstanden werden. Ich glaube nicht, dass es ein Zufall war, dass die Nachricht des Giffey-Wunschs durchsickerte, während CDU und Grüne gerade in Sondierungsgesprächen saßen. Die Grünen haben sich zu einer pragmatischen, staatstragenden Partei mit gewisser Regierungssehnsucht entwickelt. Die SPD zeigt ihnen jetzt klar auf, dass sie nicht auf die Grünen angewiesen ist, was für die natürlich ein Problem darstellt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Gero Neugebauer am 1. März 2023
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