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Berliner Wahl-Chaos: "Das Bundesverfassungsgericht würde sich lächerlich machen"


Experte zum Wahl-Chaos
"Das Bundesverfassungsgericht würde sich lächerlich machen"


Aktualisiert am 31.01.2023Lesedauer: 3 Min.
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Eine Person wirft einen Stimmzettel in ein Box (Archivbild): Wie geht es nun mit der Berlin-Wahl weiter?Vergrößern des Bildes
Eine Person wirft einen Stimmzettel in ein Box (Archivbild): Wie geht es nun mit der Berlin-Wahl weiter? (Quelle: Emmanuele Contini/imago-images-bilder)

Kommt sie, kommt sie nicht? Die Wahlwiederholung in Berlin stand auf der Kippe. Was das für die Berliner Politik heißt, erklärt ein Wahlexperte.

"Auf See und vor Gericht ist man in Gottes Hand." Dieser alte Spruch gilt ganz besonders für die Hauptstadt. Das zeigt das Kuddelmuddel rund um die Wahlwiederholung. Nun ist zwar entschieden: Berlin darf am 12. Februar wählen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich gegen einen Stopp der Wahl entschieden. Mit einem Eilantrag wollten über 40 Klägerinnen und Kläger – darunter auch Politiker aus dem Abgeordnetenhaus – erreichen, dass die Wahl erst mal nicht stattfinden darf.

Dreh- und Angelpunkt der Problematik: Sie fordern eine Wahlwiederholung nur in einzelnen Wahlkreisen und Bezirken. Eben da, wo die Pannen besonders gravierend waren, und nicht in ganz Berlin. Zwar wurde der Eilantrag zum Stopp der berlinweiten Wahl abgeschmettert, die Klage wird aber dennoch weiter vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Es könnte also noch Monate nach der Wahl ein böses Erwachen für die Hauptstadt geben – und womöglich eine erneute Wahlwiederholung.

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der Trubel um die Wiederholungswahl also noch nicht zwangsläufig vorbei. Darüber hat t-online mit Prof. Dr. Nils Diederich, einem Politikwissenschaftler und Wahlexperten, gesprochen.

t-online: Herr Professor Diederich, warum hat das Bundesverfassungsgericht die Klage nicht abgeschmettert, lässt die Wahl aber trotzdem durchführen?

Prof. Dr. Nils Diederich: Um eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen. Das ist meine Theorie. Sie haben die Wahl nicht gestoppt. Wahrscheinlich auch, um die politische Landschaft nicht zu sehr durcheinanderzubringen. Daher gehe ich davon aus, dass sich die Richter im Großen und Ganzen einig sind, dass die Klage am Ende nicht standhält.

Damit es aber nicht zukünftig erneut zu so einem Durcheinander in Deutschland kommen kann, wollen sie wohl den Fall Berliner Fall ausverhandeln. So können die Richter eine Grundlage schaffen, anhand derer solche Fälle zukünftig entschieden werden können. Quasi eine 'Grundlagenentscheidung für alle Fälle'.

Politologe Prof. Dr. Niels Diederich: Er gilt als Entwickler des "Wahlomaten".
Politologe Prof. Dr. Nils Diederich: Er gilt als Entwickler des "Wahlomaten". (Quelle: Freie Universität Berlin)

Prof. Dr. Nils Diederich

Diederich, geboren 1934, ist Politikwissenschaftler. Er lehrte lange Zeit als Professor am Otto-Suhr-Insitut der Freien Universität Berlin und gilt als Entwickler des bekannten "Wahlomaten". Inzwischen ist Diederich emeritiert, arbeitet allerdings noch immer in der Politikforschung, aktuell an einem Papier über die Parteienlandschaft in Deutschland. Der Berliner ist Mitglied der SPD und saß für die Partei von 1989 bis 1994 im Bundestag. t-online hat mit Diederich ausschließlich in seiner Funktion als Politikwissenschaftler und neutraler Beobachter gesprochen. Diederich trennt seine wissenschaftlichen und politischen Interessen nach eigenen Angaben "deutlich und selbstkritisch".

Wie könnte eine solche Grundsatzentscheidung aussehen?

Man sagt ja, vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Daher ist das schwer vorherzusagen. Aber eine Möglichkeit wäre, dass die Richter sagen, eine Neuwahl schadet nicht und eine Wiederholung der gesamten Wahl ist grundsätzlich möglich. Es sollte dann in solchen Fällen aber beispielsweise vorher immer ganz genau geprüft werden, ob man nicht mit kleineren Nachholverfahren auskommen kann. Etwa eben nur in den stark betroffenen Wahlbezirken. Auch, wenn in diesem Szenario das Verfassungsgerichtsurteil zur Wahlwiederholung in Berlin getadelt werden könnte.

Welche Auswirkungen hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die anstehende Wahl am 12. Februar?

Ich glaube nicht, dass sie große, direkte Auswirkungen hat. Auch nicht, dass durch das Hin und Her die Wahlbeteiligung stark sinkt. Es kann aber trotzdem sein, dass die Wählerschaft nun die Nase voll hat. Auch dass einzelne Parteien dadurch gestärkt oder geschwächt wurden, kann ich mich nur schwer vorstellen. An der Parteipräferenz dürfte die Entscheidung in Karlsruhe kaum etwas ändern. Aber die Wähler handeln autonom. Und viele sind auch noch unentschieden.

Und wenn das Bundesverfassungsgericht anders entschieden hätte?

Wäre die Wahl komplett gestoppt worden, wäre das natürlich etwas anderes gewesen. Davon hätten dann durchaus die kleinen Parteien profitieren können.

Was, wenn das Gericht in Karlsruhe die Wahl dennoch für ungültig erklärt?

Wenn das Ergebnis gekippt wird, haben wir eine sehr verworrene Situation. Es wäre allerdings verrückt, wenn die Richter das nicht berücksichtigen würden, auch hinsichtlich der jetzigen Entscheidung, die Wahl nicht aufzuhalten. Wenn allerdings das Ergebnis als ungültig gilt, sind wir zurück auf null.

Was ist dann der Status quo?

Dann würde gelten, was wir jetzt aktuell vor der Wahlwiederholung haben. Giffey wäre erst mal wieder Regierende Bürgermeisterin, selbst wenn das Ergebnis der ersten Wiederholung am 12. sie abgestraft hätte. Und dann müsste in den entsprechenden einzelnen Wahlbezirken neu gewählt werden, auch die Gremien müssten neu besetzt werden, ein anderer Bürgermeister wäre dann ebenfalls denkbar. Der hätte dann natürlich ein denkbar schlechtes Standing, als dritter Bürgermeister in zwei Jahren.

Aber das ist Zukunftsmusik. Und auch nicht sonderlich wahrscheinlich. Denn das gäbe zum einen eine irrsinnige Verwirrung in der Politik. Zum anderen würde sich das Bundesverfassungsgericht ein Stück weit lächerlich machen, da es ja jetzt pro Wahlwiederholung am 12. Februar entschieden hat.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Prof. Dr. Nils Diederich
  • Eigene Recherchen
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