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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krawalle in der Silvesternacht Branddirektor spricht von Angst unter Feuerwehrleuten
Die Silvesternacht hat Einsatzkräfte der Feuerwehr an ihre Grenzen gebracht. Das sieht auch die Politik. Aber welche Konsequenzen zieht sie?
Auf beispiellose Ausschreitungen folgt ein selten gesehenes Politikeraufgebot: Nach den Krawallen in der Silvesternacht sind am frühen Freitagmorgen die Spitzen der Bundes-, Landes- sowie Bezirkspolitik mit Feuerwehrleuten, die in der Skandalnacht im Einsatz waren, in der Feuerwache Neukölln zum Gespräch zusammengekommen.
Von einer "hitzigen Debatte" sprach Thomas Kirstein, Sprecher der Berliner Feuerwehr, danach bei einer Pressekonferenz umrandet von Feuerwehrautos. Aber auch von einem "guten Gespräch".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, Innensenatorin Iris Spranger und Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (alle SPD) diskutierten zwei Stunden lang hinter verschlossenen Türen mit mehr als zehn freiwilligen und hauptberuflichen Feuerwehrleuten.
Gewalt in Silvesternacht in neuer Dimension
Deren Vorgesetzte betonten beim anschließenden Pressetermin noch einmal: Die Gewalt in der Silvesternacht habe eine gänzlich neue Qualität. "Das macht etwas mit uns", sagte Landesbranddirektor Karsten Homrighausen. Als Feuerwehrmann in Berlin sei man einiges gewöhnt. Aus der Silvesternacht aber berichteten "gestandene Einsatzleiter", dass sie zum ersten Mal in ihrer Berufszeit Angst gehabt hätten. Homrighausens Forderungen an die Politik sind deutlich: "Es darf so nicht weitergehen. Es braucht schon jetzt Entscheidungen, die Silvester 2023/24 greifen."
"So ein Silvester darf es nicht noch einmal geben", betonte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey dann ebenfalls. Sie warnte allerdings auch vor einer "Strohfeuer-Diskussion", die nun aufbrande, aber in wenigen Tagen in Vergessenheit gerate. Die beispiellose Gewalt, die sich an Silvester in Neukölln gezeigt habe, sei nur die "Spitze des Eisbergs" und "Zeichen eines Werteverfalls", den Einsatzkräfte schon seit Langem in ihrer Arbeit spürten.
Faeser: "Widerliche Gewalt"
"Wir wussten: Silvester wird heiß dieses Jahr", so Giffey. Deswegen habe die Berliner Feuerwehr die Zahl der Einsatzkräfte vorab verdreifacht. Aber dass Hinterhalte gelegt würden, dass Einsatzkräfte so massiv angegriffen würden, das habe alle überrascht. "Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass 13-Jährige Einsatzkräften ins Gesicht zielen", sagte Giffey.
Von "widerlicher Gewalt" sprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit Blick auf die Silvesternacht. Obwohl die aus ihrem Ministerium angekündigte Analyse zu den Tatverdächtigen noch aussteht, stellte sie fest: Weit überwiegend handele es sich bei den Tätern um "Jugendliche mit Migrationshintergrund". Es sei nicht richtig, das zu verschweigen, ebenso falsch sei es jedoch, diese Information nun politisch zu instrumentalisieren.
Strafrecht schneller durchsetzen
Was nun aber tun, wie will die Politik Eskalationen wie diese in Zukunft verhindern? Faeser wie Giffey betonten den Zweiklang aus Strafrecht und Prävention. Sie setzten sich auf allen Ebenen dafür ein, dass Strafen für die Täter jetzt und in Zukunft auf dem Fuße folgten. Oft dauerte es so lange, bis Urteile gefällt würden, sodass Jugendliche gar nicht mehr wüssten, weswegen sie eigentlich bestraft würden. Das müsse sich dringend ändern.
Die Bundesinnenministerin will zudem den Zugang zu Schreckschusswaffen stärker beschränken, zukünftig soll für das Führen der Waffen, die in der Silvesternacht laut Faeser ein besonderes Problem waren, eine Erlaubnis nötig sein.
Stärker als Faeser betonte Giffey die Wichtigkeit von Sozialarbeit und Projekten, die sich sowohl an die Jugendlichen als auch direkt an Familien und Eltern in den Brennpunkten richteten. Schmerzlich habe sich in dieser Silvesternacht bemerkbar gemacht, dass Projekte wie die Neuköllner "Stadtteilmütter", bei denen Mütter mit Migrationshintergrund als Multiplikatoren Kontakt mit Familien in sozialen Brennpunkten suchten, in der Corona-Zeit ihre Arbeit einstellen mussten.
Das "Runterfahren aller Angebote" in der Pandemie habe sich "ganz klar ausgewirkt", so Giffey – besonders stark sei das der Fall in den Brennpunkten. Die Angebote müssten nun unbedingt ihre Arbeit wieder aufnehmen, die Sozial- und Elternarbeit verstärkt werden.
Von dem Besuch und den Versprechen der Politiker erwartet mancher Feuerwehrmann in der Wache Neukölln allerdings nicht allzu viel. "Das ist für uns nur Politikum", sagt einer am Rande der Veranstaltung und ahmt mit seiner Hand einen sprechenden Mund nach. "Viel Gerede, nichts wird sich ändern", soll das wohl heißen.
- Besuch der Pressekonferenz in Feuerwehrwache in Neukölln, 06.01.2023