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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Taxisterben in Berlin "Und jetzt noch dieser Scheiß-Tankrabatt"
Berlins Taxifahrern steht das Wasser bis zum Hals. Seit Beginn der Pandemie ist ihre Zahl von 8.300 auf 5.846 gesunken. Ist die Branche noch zu retten? t-online hat mit einem Berliner Urgestein gesprochen.
Rolf Feja, 65, fährt seit 44 Jahren Taxi. "Der eiserne Rolf", wie ihn Kollegen nennen, war bis 2021 Vize-Chef der Taxi-Innung. Im Gespräch mit t-online erklärt er, warum die Konkurrenz durch Uber die Taxifahrer in Berlin stärker trifft als in anderen Städten und was die Politik dagegen tun kann. Und dann war da noch die Geschichte mit Harald Juhnke.
t-online: Herr Feja, Ihre wievielte Kundin bin ich heute?
Rolf Feja: Na, heute sind Sie quasi die zweite.
Es ist Montag, 14 Uhr. Und Sie hatten erst eine Fahrt?
Ich mache jetzt viele Krankenfahrten, und heute hatte ich erst eine Dialyse-Patientin. Micha, mein Fahrer, hatte in der Zwischenzeit fünf Fahrten. Von denen hätte ich auch die eine oder andere übernehmen können. Aber ich hab gesagt: "Nee, Micha, mach du mal."
Bis vor kurzem sah es aus, als sei Corona vorbei. Die Stadt ist wieder voller Touristen. Wieso springt da nicht mehr für die Taxifahrer heraus?
Okay, das Geschäft ist wieder ein bisschen besser geworden. Aber es hat noch lange nicht das Niveau, das wir 2019 hatten. Ich habe mir ein zweites Standbein mit Krankentransporten geschaffen. Kranke Leute gibt es ja leider immer.
Was verhagelt Ihnen denn die Bilanz? Ist es die Konkurrenz durch Uber? Sind es die hohen Spritpreise? Oder ist es die Tatsache, dass Sie den neuen Flughafen nicht mehr anfahren können, weil der Markt jetzt fest im Griff der Taxifahrer aus Brandenburg ist?
Sie haben eigentlich alle Gründe genannt. Ich fang mal mit dem wichtigsten an: mit der Firma Uber. Die hat uns eine Menge Fahrgäste geklaut. Schauen Sie mal, da vorne ist wieder ein Uber-Fahrer.
Woran erkennen Sie den?
Erst mal ist es immer der gleiche Wagentyp. Ein Toyota Prius. Damit werben sie: Wir sind hybrid, blablabla.
Ihr Auto ist ein oller Benziner.
Ein Mercedes Vito, noch'n alter Diesel.
Eine richtige Dreckschleuder?
(lacht) Ja, muss man schon so sagen. Der schmeißt Stickoxide raus. Aber was wollen Sie mit einem Prius? Da fehlt die Struktur zum Laden.
Den meisten Kunden ist das wurst. Die bestellen lieber ein Uber als ein Taxi zum Flughafen, weil das vielleicht zehn Euro billiger ist.
Das ist leider ein Irrglaube. Heute um 14 Uhr mag Uber günstiger sein, aber lassen Sie die Anfrage mal stark steigen, sei es, durch Starkregen oder durch einen BVG-Streik. Dann steigen die Uber-Preise bis ins Drei- oder Vierfache. Viele sagen dann: "Okay, dann fahren wir wieder Taxi." Aber dann gibt’s vielleicht kein Taxi mehr. Uber macht uns platt.
Hat die Taxi-Innung den Anschluss ans digitale Zeitalter verpasst? Sich mit dem Wagen dorthin zu stellen, wo der Algorithmus die meisten Kunden verspricht, macht doch Sinn.
Das größte Problem sind unsere Preise. Die sind tarifgebunden. Die Behörde gibt uns den Preis vor. Selbst jetzt, wo die Benzinpreise explodieren, kann ich nicht neu kalkulieren.
Wo genau steht der Dieselpreis gerade?
Ick hab mich gefreut: bei 1,96 Euro. Das muss man sich mal vorstellen. Wie krank das System ist. Vor einem Jahr waren wir noch bei eins fuffzich. Und jetzt noch dieser Scheiß-Tankrabatt. Das ist doch ein Witz.
Die Mineralölkonzerne stecken ihn sich in die eigene Tasche?
Genau, ich bin kein Ökonom, nur ein Taxifahrer. Aber die freuen sich doch. Besser kann man denen das Geld doch nicht schenken. Wobei der Tankrabatt auch noch den SUV- und Porschefahrern zugutekommt.
Kommt bei Ihnen wirklich gar nichts an?
Nein, das bisschen Gewinn, das wir hatten, ist noch weniger geworden.
Können Sie die Umsatzeinbußen genauer beziffern?
Ich würde sagen, der Umsatz ist seit 2019 um 40 Prozent gesunken. Wir haben aber eine Inflationsrate von acht Prozent. Jeden Tag geben ein bis zwei Kollegen auf.
Haben Sie mal ausgerechnet, was Ihnen noch als Stundenlohn bleibt?
(lacht) Ich glaube, Sie suchen Streit mit mir. Diese zwölf Euro Mindestlohn, die ich meinem Micha seit dem 1. Juni zahlen muss, die würde ich gerne auch als Unternehmer verdienen. Nichts gegen einen höheren Mindestlohn. Aber den sollten alle kriegen.
Das klingt dramatisch. Wie können Sie unter diesen Bedingungen noch weitermachen?
Es gibt unter den Taxifahrern diesen bösen Spruch: Unsere Frauen leisten sich einen Taxifahrer.
Lassen Sie mich raten: Ihre Frau ist verbeamtet?
Nicht ganz so schlimm. Sie ist Krankenschwester. Noch geht es so gerade. Aber ohne den Lebenspartner wäre das eine harte Nummer.
Trotzdem wirken Sie kein bisschen verbittert.
Bin ich auch nicht. Dieser Beruf ist meine Berufung. Im Studium bin ich beim Taxi hängen geblieben. Eigentlich wollte ich Lehrer werden.
Was ist passiert?
Der Radikalenerlass wurde für mich zum Stolperstein. Wenn man damals unterschrieben hat, dass man Isolationshaft für die RAF in Stammheim als Folter ansieht, hatte man keine Chance, verbeamtet zu werden.
Haben Sie es bereut?
Jein. Bereut hat es nur meine Mutter. Ich war das erste Kind, das Abitur machen durfte. Meine Mutter hätte es gerne gesehen, wenn ich Lehrer geworden wäre.
Aber mit dem Wissen von heute: Wären Sie noch einmal Taxifahrer geworden?
Nee, um Gottes willen. Alex, mein Ex-Fahrer, ist in der Pandemie als Busfahrer zur BVG gegangen. Der hat es richtig gemacht. Aber mich nimmt ja keiner mehr. Ich bin ein altes Schlachtschiff.
Stimmt es, dass Sie als Berufsanfänger noch wissen mussten, wo Harald Juhnke wohnt?
(lacht) Harald Juhnke hat in der Lassenstraße im Grunewald gewohnt. Ich hab den zwei- oder dreimal gefahren. Ein sehr unangenehmer Fahrgast.
Erzählen Sie mal.
Na, dass der gesoffen hat wie ein Loch, ist ja ein offenes Geheimnis. Einmal hat er was auf die Neese gekriegt, weil er einen Taxifahrer angepöbelt hat. Für Regisseure war er ein Albtraum.
Wie kommen Sie darauf?
Als wir noch Sprachfunk hatten, da kam morgens um sieben der Rundruf: Weiß einer, wo Haralds Stammtresen ist? Eine Filmfirma hat den gesucht. Alles war gebucht für Dreharbeiten. Nur Harald fehlte. Der arme Regie-Assistent musste die ganzen Taxi-Zentralen abtelefonieren.
Was macht einen guten Taxifahrer aus?
Sie brauchen eine extrem gute Menschenkenntnis. Stellen Sie sich vor, da vorne winkt ein Fahrgast. Ich muss innerhalb von 20 Sekunden abschätzen: Ist der aggressiv? Als Student hab ich noch Tag-und-Nacht-Kneipen angefahren. Die habe ich am Ende ausgelassen.
Zu viele Verrückte?
Sie sagen es. Hinterm Hermannplatz lag "Krellers Bierhaus". So ein Typ steigt ein. "Kennste die Geisterbahn?" – "Klar, kenn ick, die Kneipe." – "Da fährste mich hin und wartest. Da hole ich mir eine Knarre und erschieß das Schwein." Watt machense denn da? Die Tür war noch nicht mal zu, da war ich weg. "Krellers Bierhaus" hab ich nie wieder angefahren. Schauen Sie mal nach rechts, wieder ein Uber. Ohne sein Navi wäre der verloren.
Ich hab auch schon Taxifahrer erlebt, denen ich den Weg erklären musste.
Auch die gibt es, keine Frage. Ich war Funktionär. Ick weeß, was da los ist.
Sollten Sie nicht lieber die Regeln der eigenen Zunft entrümpeln, statt über Uber zu meckern?
Ich habe nichts gegen Konkurrenz. Ich hab jahrelang als Boxer gekämpft. Aber die Waffen müssen dieselben sein.
Und das sind sie nicht?
Nein, wir haben mit der FDP-Staatssekretärin Daniela Kluckert eine der größten Lobbyistinnen für Uber. Die hat gesagt, Uber müsse kontrolliert werden. Das passiert aber nicht. Und das hat zur Folge, dass die Taxen auf der Strecke bleiben. Bei uns wird vom Fiskaltaxameter alles aufgezeichnet, bei Uber wird nix erfasst. Warum fangen denn viele ehemalige Taxifahrer bei Uber an?
Weil es keine Kontrollen gibt?
Genau, und dann kann ich meinen Umsatz selbst definieren. Die Zeche zahlt am Ende der Steuerzahler. Mich fragen oft Leute: "Kann ich für dich fahren? Du kannst 1.000 Euro brutto aufschreiben. Den Rest hol ich mir als Aufstocker vom Jobcenter."
Vor Corona gab es in Berlin 8.300 Taxen, heute sind es 5.846. Was ist aus den Kollegen geworden?
Die sind alle zu Uber gegangen. In derselben Zeit wurden 4.600 Konzessionen für Uber-Wagen vergeben. In Hamburg gibt es 3.000 Taxen und 300 Uber-Wagen. Und warum ist das so? Weil der zuständige Dezernent die Konzessionen kontrolliert.
Und in Berlin?
Da haben wir ein Problem. Für das Taxigewerbe sind zwei Verwaltungen zuständig. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) und der Senat für Umwelt und Mobilität. Leider kooperieren die nicht.
In den Zwanzigerjahren hat der Droschkenkutscher Gustav Hartmann versucht, das Gewerbe zu retten, indem er mit seiner Droschke von Berlin nach Paris gefahren ist. Was würden Sie tun?
(lacht) Da habense ja genau den richtigen Mann getroffen. Ich bin 2019 mit meiner Taxe für unseren Bundesverband durch ganz Deutschland gefahren und hab Mahnwachen in jeder Landeshauptstadt organisiert. Man nennt mich den Eisernen Rolf.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Rolf Feja