Erster Prozesstag gegen Hooligan Drogen und Frauen: 65 Seiten über das Leben von Kevin P.
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Kevin P., Hooligan und Türsteher, steht wegen versuchten Totschlags und weiterer schwerer Vorwürfe vor Gericht. So lief der erste Prozesstag.
Elf Tage sind anberaumt für den Prozess um Hooligan Kevin P., der wegen versuchten Totschlags, zahlreicher anderer Gewalttaten und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz auf der Anklagebank sitzt. Diese elf Tage werde man auch brauchen, erklärt Richter Markus Vogt bereits zu Prozessbeginn. Denn vergleichbare Fälle seien in der Vergangenheit schon "etwas aus den Fugen geraten". Zudem seien zahlreiche Zeugen geladen.
Darunter befinden sich auch Marcel Moberz, ehemaliger Aufsichtsratschef der Alemannia Aachen, und Heiner Backhaus, Cheftrainer des Fußballvereins. Dementsprechend groß ist laut dem Richter auch das öffentliche Interesse an dem Fall. Die Alemannia-Chefs sollen ein Gewaltvideo des Beschuldigten erhalten und für gut befunden haben. Das haben sowohl Moberz als auch Backhaus im Vorfeld öffentlich dementiert.
Anwalt von Kevin P. will Öffentlichkeit ausschließen
Die Zuschauerreihen des Gerichtssaals sind gut gefüllt – mit Zeugen, die zu Kevin P.s Fall befragt werden sollen, interessierten älteren Ehepaaren und einer Studentin, die eine wissenschaftliche Arbeit über Männer und ihr Vermögen, Reue zu zeigen, verfassen möchte. Doch nicht alle finden, dass der Fall Kevin P. unter den Augen der Öffentlichkeit verhandelt werden sollte. Gleich zu Beginn stellt Subai Momen, Kevin P.s Anwalt, einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit.
Seine Begründung: Mit dem Prozess gehe es den "sensationslüsternen Anklagebehörden" allein darum, ein "Medienspektakel" zu veranstalten. Die Bühne dafür solle der Fußballverein sein. Der Prozess diene nur dem Zweck, "zahlreiche Funktionsträger der Alemannia Aachen öffentlich zu diskreditieren". Doch nach einer Sitzungsunterbrechung wird der Antrag abgelehnt.
Anklage: Der Tötungsversuch, die Drogen und weitere Gewalttaten
Die Staatsanwaltschaft verliest die Anklageschrift. Es geht neben dem Tötungsversuch um zahlreiche körperliche Misshandlungen, illegalen Waffenbesitz und den Versuch des Angeklagten, sich als Drogendealer eine dauerhafte Einnahmequelle zu erschließen. Die Anklageschrift ist lang. Als Anführer der Boxstaffel sei es Kevin P. darum gegangen, seinen Opfern zum einen Schmerzen zuzufügen und zum anderen seine körperliche Überlegenheit zu demonstrieren, sagt die Staatsanwältin.
Das könne man anhand von gespeicherten Videos und Chatverläufen, die sich auf dem Kryptohandy des Angeklagten befänden, rekonstruieren. Darauf folgt eine detaillierte Beschreibung seiner Gewalttaten – wobei genau dokumentiert wird, wie viele Schläge mit welchem Utensil (Teleskop-Schlagstock, "beschuhter Fuß", Faust) in welche Körperregion des Geschädigten trafen (Kopf, Schulter, Bein, Brustkorb). Ort des Geschehens ist in den meisten Fällen die Antoniusstraße, Rotlichtviertel und Arbeitsort des angeklagten Türstehers.
Der Vorfall, der die Staatsanwaltschaft veranlasst hat, Anklage wegen versuchten Totschlags zu erheben: Kevin P. soll einen Mann zu Boden geschlagen und dann weitere 13-mal auf den Kopf eingeschlagen haben. Kevin P. habe der Staatsanwaltschaft zufolge einer Prostituierten helfen wollen. Der Mann soll dieser zuvor das Handy weggenommen haben, um sie dazu zu bewegen, ihre Schulden zu begleichen. Nachdem der Türsteher dem Mann laut Anklageschrift potenziell tödliche Verletzungen zugefügt hatte, sei er "die Antoniusstraße entlanggeschlendert, als wäre nichts geschehen."
Moberz und Backhaus sollen auf die Videos reagiert haben
Videos seiner Gewalttaten habe der 38-Jährige an enge Freunde und Bekannte geschickt. Eines soll er laut Staatsanwaltschaft mit den Worten "I love my job" an seine Lebensgefährtin geschickt haben. Auch an Marcel Moberz und Heiner Backhaus habe er ein Video gesendet. Backhaus habe daraufhin laut Staatsanwaltschaft mit den Worten "Richtig so!!!" reagiert. Moberz soll geantwortet haben, dass er gerne gesehen hätte, wie der Geschädigte aufsteht und dass man so etwas auch verdient habe, wenn man jemanden beklaut. Beide Zeugen sind für den Verhandlungstag am Dienstag, 18. Februar, geladen.
Kevin P. äußert sich zu den Vorwürfen vor Gericht. Die Öffentlichkeit solle "vollumfänglich informiert" werden, sagt er und verliest dann eine 65-seitige Erklärung, die er selbst verfasst hat. Mit dieser, so sagt Kevin P., wolle er nichts rechtfertigen. Sein Verhalten sei "geschmacklos" gewesen und sei zu verurteilen. Trotzdem wolle er seine Taten einordnen.
Kevin P. berichtet über schwere Kindheit und Drogenkonsum
Er beginnt damit in seiner Kindheit. Die habe er bei heroinabhängigen Eltern verbracht. Nachts habe er gesehen, wie diese sich Heroin spritzten. Bei dem Dealer seiner Eltern in den Niederlanden habe er mit dessen Sohn gespielt. Zum Geburtstag habe der Dealer ihm eine Carrera-Bahn geschenkt. Die Streitigkeiten der Eltern ängstigten ihn. Dass andere Kinder nicht mitspielen durften, habe ihn geschmerzt. Kevin P. bricht die Stimme weg.
Eine "Ersatzfamilie" habe er dann im Fußball gefunden. Schnell habe er Interesse an den "subkulturellen Gepflogenheiten" der Fanszene gefunden. Er begann, Amphetamin und später Kokain zu nehmen und an sogenannten "Ackerkämpfen" (Kämpfe verfeindeter Hooligangruppierungen auf offenem Feld) teilzunehmen. Die Anerkennung, die den Brutalen und Starken in der Szene zuteilwurde, gefiel ihm. Er wurde Anführer der Ackertruppe "Westwall Aachen", einer Nachwuchsgruppe der Ultra-Gruppierung. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zu dieser Zeit mit Online-Poker.
Frauen und Hunde nehmen große Rollen ein – nicht aber die Gewalt
Kevin P. berichtet ausschweifend über seine erste und zweite Liebe, die anderen Frauen, die Prostituierten und das Kokain. Über Französische Bulldoggen und den Hund, den er sich mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin anschaffte. Es geht häufig um die Liebe zu den Hunden in P.s Erzählung über sein Leben. Es sind die Momente, in denen sich P. besonders emotional zeigt, abschweift und schluchzt.
Auch um seine Lebensgefährtinnen geht es viel. Zunächst um eine, die er besonders liebte, aber dauerhaft betrog und verließ, weil er sich mit einer anderen ein bürgerliches Leben versprach. Dann um eine weitere, die er als sozialen Aufstieg wahrnahm: "Eine Frau mit Haus in Miami, die vorher noch mit einem Millionär liiert war, lag mit mir auf einer Matratze."
Es geht auch um seine jahrelange Drogenabhängigkeit und seinen Rausch in allen Details. Immer wieder verliert Kevin P. sich in Partynacht-Details oder dem Leiden von Hunden. Dann wird er fahrig, greift sich selbst vor, stockt, wiederholt sich, verhaspelt sich und weiß nicht mehr, bei welchem Thema er war. "Sie waren bei den Hunden", erinnert der Richter ihn dann.
Einzig um die Geschädigten und die "ganze Gewaltscheisse", wie Kevin P. die schweren Körperverletzungen nennt, geht es am ersten Prozesstag noch nicht. Von den 65 Seiten über seinen Werdegang sind am Ende des ersten Prozesstages allerdings auch noch 15 übrig.
- Reporterin vor Ort