Der Orden "Wider den tierischen Ernst" Verleihung ist ein politisches Stimmungsbarometer
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Die 75. Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst findet in einem besonders brisanten politischen Klima statt. Wahlkampf-Spannungen sind spürbar.
Sieben Flamingos klettern die Treppen zum Eurogress hinauf, eine Frau in einem teuer aussehenden glitzernden Hosenanzug schreitet die Treppe hinunter wie ein Filmstar. Einmal im Jahr trifft bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst rotzige rheinische Fröhlichkeit auf High Society. Die 75. Ordensverleihung am 8. Februar ist allerdings ein Novum, denn sie findet mitten in der heißen Phase des verkürzten Bundestagswahlkampfs statt. Und das ist spürbar – nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum.
Da ist etwa die Tatsache, dass die NRW-CDU geschlossen fehlt, an dem Abend, an dem der Preis an den SPD-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil überreicht wird. Nicht einmal der 70. Ordensritter Armin Laschet lässt sich zur Traditionsveranstaltung in seiner Heimatstadt blicken. Der "Kölner Stadt-Anzeiger" sprach bereits im Vorfeld von einer "inoffiziellen Absprache" der CDU.
Da ist auch das Raunen der einen und das zu laute Lachen der anderen, während der 50-jährige Comedian Matze Knoop Witze über das Gendern, Winnetou-Verbote in der ARD oder das "Zigeunerschnitzel"-Essen macht.
Da sind die lauten Kommentare, als der frisch gekürte Ordensträger Lars Klingbeil sagt, er sehe in diesem Jahr mehr Sozialdemokraten als Konservative im Raum. Das sei "Wunschdenken" sagt ein Mann mit einer teuer aussehenden Uhr laut. Sogar Buh-Rufe erntet Klingbeil, als er sagt, dass die Sozialdemokraten im kommenden Jahr mit der Internationale (das weltweit am weitesten verbreitete Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung) in den Eurogress einmarschieren würden.
Nicht nur auf der Bühne ist der Wahlkampf spürbar
Und während Anissa Loucif, eine Comedienne mit algerischen Wurzeln, Witze über ihre eigene Abschiebung macht, scrollen einige Zuschauer durch Instagram, andere unterhalten sich über den letzten Skiurlaub. Es wird laut im Saal. Noch unruhiger wird es an diesem Abend nur, als Mona Neubaur (Grüne), NRW-Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, spricht. Sie ist als Feuerwehrfrau verkleidet und erzählt in ernsterem Tonfall und Poetry-Slam-Manier von ihrem Einsatz an der Brandmauer, an der Friedrich Merz gezündelt habe.
Damit, dass die ausgelassene Karnevalsveranstaltung mitten in die brandheiße Wahlkampfphase fallen würde, hat Wolfgang Hyrenbach, Präsident des Aachener Karnevalsvereins (AKV), nicht gerechnet. Er leitet gemeinsam mit WDR-Moderatorin Sabina Heinrich durch den Abend. Über die außergewöhnliche Veranstaltung in diesem Jahr sagt er: "Wir wären keine Karnevalisten, würden wir es nicht mit Humor nehmen". Das AKV-Motto also: "Machen wir das Beste draus".
Das Beste daraus machen, das heißt für den Karnevalisten, den Elefanten im Raum anzusprechen, um anschließend lauthals darüber zu lachen – oder zumindest einen Tusch zu spielen. So nimmt Daniel Günther, Ordenspreisträger des vergangenen Jahres, in seiner Klingbeil-Laudatio die Proteste vor der CDU-Parteizentrale aufs Korn. An Lars Klingbeil gerichtet, sagt er: "Dein Vater Soldat, du langhaariger Punk, so Typen lungern bei uns vor der CDU Geschäftsstelle rum."
Comedian Matze Knoop kommentiert die zunehmende Gewalt gegen Politiker: "Wenn du Ortsvorsteher bei den Grünen bist, musst du gucken, dass du im Zeugenschutzprogramm aufgenommen wirst." Linken-Legende Gregor Gysi und FDP-Galionsfigur Marie Agnes Strack-Zimmermann (an diesem Abend verkleidet als Modeikone Iris Apfel) liefern sich als politische Gegner ein Bühnen-Wortgefecht.
Der "Sitzungspräsident" Volker Weininger trinkt auf der Bühne drei Kölsch und kommentiert den schärfer gewordenen Ton in der gesamten Gesellschaft: "überall Bekloppte" lallt er geschauspielert. Und spricht dann nicht über Hürden und Fallstricke des Wahlkampfes, sondern über echte Probleme, von "normalen Menschen": "Ein Freund von mir in Köln schießt regelmäßig aus dem Fenster, damit die Miete einigermaßen bezahlbar bleibt", sagt er. Und fragt: "Wie willst du als Normalverdiener noch die Miete in der Großstadt zahlen?" Im Saal ist es mucksmäuschenstill. "Ich seh schon, falsches Zielpublikum." Der Mann mit der teuer aussehenden Uhr lacht am lautesten.
AKV-Präsident: Der Karneval bringt Menschen zusammen
Wolfgang Hyrenbach sagt: "Im Karneval bringen wir Menschen zusammen und lachen am liebsten miteinander. Gemeinsam ist es am schönsten – über alle Unterschiede und verschiedenen Ansichten hinweg." Und während die Höhner oder die Vier Amigos auf der Bühne singen, dass die Öcher das Leben lieben, liegen sich alle Zuschauer schunkelnd in den Armen.
Konservative in den Armen von Sozialdemokraten, kommentiert Lars Klingbeil, erfolgreiche Frauen in den Armen von weniger erfolgreichen Männern, Gewerkschafter in den Armen von Unternehmenschefs. Das, was man hier im Aachener Karneval erlebe, dürfe man als Gesellschaft nicht verlieren, sagt er. Man könne miteinander streiten und uneins sein, aber man dürfe nicht jeden zum Gegner erklären, mit dem man nicht hundertprozentig einer Meinung sei. "Konservative liegen überall falsch, aber das sind anständige Menschen", sagt er. Und dass man die Tür im Bundestag, die man den Nazis in der vergangenen Woche einen Spalt weit geöffnet habe, nur mit vereinten Kräften wieder schließen könne.
Dann stimmt Klingbeil eine Hymne auf die Demokratie an – auf die Melodie von Helene Fischers "Atemlos". Und sowohl auf Helene Fischer als auch auf die Demokratie kann sich der ganze Saal irgendwie einigen, den Text haben alle schnell drauf, der Mann mit der teuer aussehenden Uhr, die sieben jecken Flamingos, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und die Frau in dem glitzernden Hosenanzug. "Unser Karneval hat eine verbindende Kraft und gibt den Menschen auch in unsicheren Zeiten Freude und Zuversicht. Und ist er damit nicht auch ein Vorbild für die Politik?", fragt Wolfgang Hyrenbach.
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