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Walther Rathenau: Als Fanatiker Deutschlands fähigsten Politiker töteten


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Attentat auf Walther Rathenau
Als die deutsche Hoffnung im Kugelhagel starb

Von Marc von Lüpke

23.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Walther Rathenau: Am 24. Juni 1922 ermordeten Rechtsextreme den deutschen Außenminister.Vergrößern des Bildes
Walther Rathenau: Am 24. Juni 1922 ermordeten Rechtsextreme den deutschen Außenminister. (Quelle: ullstein-bild)
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Walther Rathenau war ein Streiter für die Weimarer Republik. Doch 1922 ermordeten zwei junge Männer den Außenminister. Dahinter steckte eine gefürchtete Terrorgruppe.

Die Mörder wollten ihr Opfer auf keinen Fall entkommen lassen. Deswegen hatten sie sich nicht nur eine Maschinenpistole beschafft, sondern auch eine Granate. Mit beidem bewaffnet rasten sie am 24. Juni 1922 in ihrem Automobil am Gefährt eines der wichtigsten Männer der jungen Weimarer Republik vorbei: Reichsaußenminister Walther Rathenau.

Als Erstes schossen sie auf Rathenau, dann schleuderten sie die Granate. Ihr Anschlag war erfolgreich. Als sie Augenblicke später die Straße im Berliner Grunewald weitereilten, ließen sie Rathenau schwer verletzt zurück. Helene Kaiser, eine Krankenschwester, eilte dem Politiker noch zu Hilfe. Vergeblich, denn wenig später starb Rathenau – einer geistreichsten und fähigsten, aber auch meistgehassten Politiker, die Deutschland jemals hatte.

Verachtung war ihm gewiss

"Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverfluchte Judensau" – mit diesem Reim hatten Rechtsextreme in ganz Deutschland den Tod des Außenministers herbeigesehnt. Warum? Weil Rathenau für das stand, was sie verachteten: die Weimarer Republik. Als deutschem Juden war ihm der Hass aller Rechten ohnehin sicher.

Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918, der als Demütigung empfundene Friedensvertrag von Versailles ein Jahr später? In der verdrehten Weltsicht der Rechten waren Juden an allem schuld. Es ist eine tragische Ironie, dass Rathenaus Mörder in ihrem verblendetem Hass ausgerechnet den Mann umbrachten, der Deutschlands größte Hoffnung hätte sein können.

Welche Bedeutung Rathenau hatte und noch hätte gewinnen können, beschreibt der Historiker Mark Jones eindrücklich in seinem neuen Buch "1923. Ein deutsches Trauma". Wie er auch die Tat selbst und ihre Hintergründe erklärt als eine Art Fanal für das folgende Krisenjahr 1923. Denn in diesen schweren Zeiten hätte die deutsche Politik Rathenau und seinen Verstand dringend gebrauchen können.

Rathenau, 1867 geboren, war ein Mann mit vielen Begabungen. Als Industrieller arbeitete er daran, die vom Vater begründete Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) zu einem Wirtschaftsgiganten zu formen. In philosophischen Schriften reflektierte er über Menschheit und Kultur. Daneben war er Liberaler und Nationalist zugleich. Letzteres bewegte ihn seit Kriegsbeginn 1914 dazu, sein Organisationstalent in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft zu stellen.

"Ein mutiger Schritt"

Eine Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg? Für Rathenau lange Zeit undenkbar. Als sich aber genau diese im Herbst 1918 abzeichnete, war es Rathenau, der sich mit aller Kraft für eine Fortführung einsetzte. "Für einen deutschen Juden war das ein mutiger Schritt", kommentiert Mark Jones angesichts des damals weit verbreiteten Antisemitismus. Doch der Krieg ging verloren, Kaiser Wilhelm II. ins Exil – und die Demokratie begann.

Zu Beginn des Jahres 1922 übernahm Rathenau das Amt des deutschen Außenministers im Kabinett des Zentrumspolitikers Joseph Wirth. Zuvor war er bereits Minister für den Wiederaufbau gewesen. Beide Ämter konfrontierten ihn mit dem drängendsten Problem der deutschen Politik: den gewaltigen Reparationsforderungen der früheren Kriegsgegner.

Als Realist wusste Rathenau, dass Deutschland die alliierten Forderungen nicht ignorieren konnte, als Pragmatiker wusste er, dass auf lange Sicht sicherlich Erleichterungen im Schuldendienst möglich gewesen wären. Doch viel Zeit war Rathenau nicht mehr vergönnt. "Das Schwein muss gekillt werden", beschrieb Sebastian Haffner als scharfsinniger, zeitgenössischer Beobachter die Haltung der deutschen Rechten gegenüber Rathenau.

Rathenau wusste, dass er in Gefahr war. Harry Graf Kessler, ein enger Freund und fleißiger Tagebuchschreiber, schilderte eine Begegnung mit dem Außenminister. "Guten Tag, wie geht's?", begrüßte er Rathenau. Dieser zückte eine Pistole und antwortete: "So geht's!"

Mordversuch mit Gift

Aus gutem Grund hatte sich Rathenau bewaffnet. Am 21. August 1921 erschossen zwei Rechtsextremisten den früheren Finanzminister Matthias Erzberger bei einem Spaziergang. Sein angebliches "Verbrechen"? Erzberger hatte am 11. November 1918 den Waffenstillstand mit den deutschen Kriegsgegnern unterzeichnet.

Im Juni dann wollten andere Attentäter Philipp Scheidemann mittels Gift umbringen. Nur weil sich er mit einer Waffe wehrte, blieb der sozialdemokratische Politiker verschont. Der Grund: Scheidemann hatte am 9. November 1918 die deutsche Republik ausgerufen.

Erzberger, Scheidemann und schließlich Rathenau: Bei jeder dieser Taten zeichneten Mitglieder der Organisation Consul verantwortlich. Begründet wurde die Terrorgruppe von Hermann Ehrhardt, früher Offizier der Kaiserlichen Marine, der bereits 1920 die Demokratie im sogenannten Kapp-Putsch hatte beseitigen wollen. Vergeblich, anschließend verlegten sich Ehrhardt und Kumpanen auf Attentate.

Es waren dann Erwin Kern als Schütze und Hermann Fischer als Handgranatenwerfer, die Walther Rathenau am 24. Juni 1922 in Berlin ermordeten. Zuvor hatten sie die Gewohnheiten ihres Opfers studiert, so gut wie immer nahm Rathenaus Fahrer morgens den gleichen Weg, so gut wie immer war es die gleiche Uhrzeit. Auch hatten Kern, 23 Jahre alt, und Fischer, 26 Jahre, herausgefunden, dass der Politiker keinen größeren Personenschutz hatte. Rathenau hatte genau dies abgelehnt.

So waren die beiden Mörder samt ihres Fahrers Ernst Werner Techow erfolgreich mit ihrem Plan. Die Flucht gelang allerdings weniger. Bald kamen Ermittler den Tätern auf die Spur, ihre Namen waren schon Ende des Monats reichsweit bekannt. Fahrer Techow wurde verhaftet, Kern und Fischer von der Polizei gestellt. Ein Beamter erschoss Ersteren, sein Komplize beging daraufhin Suizid.

Zu wenig, zu spät

Nach dem Bekanntwerden des Mordes an Walther Rathenau stand Deutschland unter Schock. Reichskanzler Joseph Wirth beklagte im Reichstag: "Zuerst sollen die Führer der Republik, dann soll die Republik selbst fallen." Er werde der Nächste sein, schallte es ihm von rechts entgegen, wie Autor Mark Jones schreibt.

In der Stunde von Rathenaus Tod rückten die Demokraten zusammen. Während im Reichstag eine Trauerfeier abgehalten wurde, strömten am 27. Juni 1922 in Berlin Zigtausende zusammen, um des Toten zu gedenken und ihre Solidarität zu bekunden. Auf mehr als eine Million schätzte Harry Graf Kessler ihre Zahl.

Bald verabschiedete der Reichstag das Republikschutzgesetz, es entstand ein Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik. Zu wenig beherzigt wurden aber die Lehren aus Rathenaus Tod, wie das traurige Ende der Weimarer Republik 1933 beweist. "Mit Worten schreckt man die Banditen nicht", zitiert Mark Jones einen damaligen Reichstagsabgeordneten, der eine härtere Gangart gegen die Rechtsextremen forderte. "Dieser Bestie muss man die Zähne zeigen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mark Jones: 1923. Ein deutsches Trauma, Berlin 1922
  • Harry Graf Kessler: Walther Rathenau. Biografie, Berlin 1928
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