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USA – Historiker zieht Bilanz: "Donald Trump hielt sich für Herrn des Geldes"


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Fehler des neuen US-Präsidenten
"Biden irrt sich gewaltig"

InterviewVon Marc von Lüpke und Florian Harms

Aktualisiert am 19.01.2021Lesedauer: 6 Min.
Joe Biden: Der designierte US-Präsident irrt in einer entscheidenden Aussage, sagt Historiker Adam Tooze.Vergrößern des Bildes
Joe Biden: Der designierte US-Präsident irrt in einer entscheidenden Aussage, sagt Historiker Adam Tooze. (Quelle: Susan Walsh/ap)
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Trump tritt ab, Millionen Menschen atmen auf. Doch als Präsident hat er nicht nur Schlechtes bewirkt – und sein Nachfolger sieht die Lage womöglich zu rosig, erklärt der Historiker Adam Tooze.

Vier Jahre lang hat Donald Trump die USA regiert, seine Amtszeit geht im Urteil vieler Beobachter als die schlechteste in die Geschichte des Landes ein. Er sei "in jeder Hinsicht enthemmt" gewesen, so fasst Adam Tooze Trumps Regierungsstil zusammen. Trotzdem hätten die "Instinkte" des US-Präsidenten in wirtschaftlicher Hinsicht etwas Gutes gehabt. Warum sich die amerikanische Geldschwemme positiv auf das Weltgeschehen auswirkte, Angela Merkel besser noch einmal fürs Kanzleramt kandidieren sollte und auch Deutschland bei den Corona-Impfungen endlich schneller werden muss, erklärt der angesehene Historiker im t-online-Gespräch:

t-online: Professor Tooze, Donald Trumps Amtszeit geht mit Gewalt, Aufruhr und Lügen zu Ende. Die wirtschaftlichen Folgen seiner Regierung sind in den Hintergrund gerückt, dabei betreffen sie Millionen Menschen. Wie hat der Präsident die USA aus ökonomischer Perspektive durch die Corona-Krise geführt?

Adam Tooze: Gar nicht so schlecht. Donald Trump war jedoch kein Präsident, der gewöhnlich regierte. Er hatte Meinungen und Interessen, aber kein Programm. Er wollte, dass die Aktienkurse steigen, die Zinsen niedrig sind und Kredite fließen. Genau das wünscht sich jeder amerikanische Geschäftsmann. In dieser Hinsicht ist Trump ein klassischer Businessman, der schlicht und einfach die US-Wirtschaft am Laufen halten will. Die eigentliche Arbeit ließ Trump andere erledigen: Steven Mnuchin als überpragmatischen Finanzminister etwa, oder Jerome Powell bei der US-Zentralbank. Und nicht zu vergessen die Wirtschaftspolitiker auf beiden Seiten im Kongress.

Das ist ihnen im Sinne Trumps bis zum Ausbruch der Corona-Krise gelungen.

Ja, weil Trump durchaus wirtschaftlichen Instinkt hatte. Erinnern Sie sich an den Januar 2020: Amerikas Wirtschaft war heiß gelaufen, der Arbeitsmarkt praktisch leergefegt. Deshalb standen Millionen Bürger, auch viele Afroamerikaner, unter Präsident Trump besser da als drei, vier Jahre zuvor.

War das Trumps umstrittener Steuerreform zu verdanken, die Erleichterungen für Arbeitnehmer und vor allem für Reiche brachte?

Sie war ein wichtiger Hebel, aber zynisch. Die Republikaner im Kongress beschließen immer zuerst die Steuereinschnitte und versprechen ihren konservativen Anhängern, dass sie danach, aus Sorge um die Schulden, die Sozialausgaben kürzen werden. Zu den Kürzungen kommt es aber in der Regel nicht. Daraus ergeben sich Defizite, die die Wirtschaft anheizen, womit es sich natürlich leicht lebt. Die Arbeit am Schuldenberg überlässt man dann den Demokraten. Die haben sich zweimal, unter Bill Clinton und Barack Obama, für dieses Spiel hergegeben.

Adam Tooze, Jahrgang 1967, lehrt Zeitgeschichte an der Columbia University in New York und ist Direktor des dortigen European Institute. Der Brite ist Experte für Wirtschaftsgeschichte, sein Buch "Crashed. Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben" gilt als das wichtigste Standardwerk zum Thema.

Welche Folgen hat das jetzt in der Corona-Krise?

Für viele andere Länder sogar positive! Die Welt hat der amerikanischen Geld- und Wirtschaftspolitik während Corona viel zu verdanken. Das Defizit der USA ist größer als das aller Länder in der Eurozone zusammen – aber die Geldschwemme hat auf die Weltwirtschaft stabilisierend gewirkt. Trotz der Handelskonflikte mit China und der EU steigt das Handelsdefizit.

Also hat Trump für die Wirtschaft tatsächlich Positives geleistet?

Im Weißen Haus sitzt kein wirtschaftlicher Stratege. Trump ist kein deutscher Bundeskanzler Helmut Schmidt, der die Stabilität der Weltwirtschaft im Auge behalten hat. Seine Instinkte sind rein pragmatisch: Trump hielt sich für den Herrn des Geldes – also ließ er neues Geld drucken, mit der Begründung, dass die Wirtschaft dies brauche. Ich will Trump nicht applaudieren, aber die Effekte haben sich als erheblich erwiesen. Das hat Trump auch bei der Wahl im November genützt.

Tatsächlich erhielt er mehr Wählerstimmen als jeder andere republikanische Kandidat zuvor.

Weil viele Amerikaner sich erinnerten, dass es ihnen Anfang 2020 nicht schlecht gegangen war. Nicht nur den Weißen, sondern auch Latinos und Afroamerikanern. Die Republikaner haben sich während der Corona-Krise geschickt als Pro-Wirtschaftspartei und gegen die Lockdowns inszeniert. Die großen Unternehmer haben ihnen das nicht abgenommen, aber beim Kleinbürgertum ist die Story prima angekommen.

Donald Trumps Amtszeit lässt sich aber nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bewerten. Er hat Hass geschürt, die Spaltung des Landes vertieft, ist zweimal durch ein Amtsenthebungsverfahren angeklagt worden. Wie fällt Ihr Gesamturteil seiner Präsidentschaft aus?

Trumps Amtszeit war enthemmt. In jeder Hinsicht, wirtschaftlich wie politisch. Trotz Vollbeschäftigung hat seine Regierung ein riesiges Defizit aufgehäuft, das ist historisch einmalig. Und sie war destruktiv. Er hat Teile des amerikanischen Staatsapparats gegen die Wand gefahren.

Sie meinen seinen Bruch mit etablierten Prozessen in der US-Politik?

Auch die, ja. Vor allem aber ist in seiner Amtszeit sichtbar geworden, welche beängstigenden Milieus sich in der republikanischen Partei breitgemacht haben. Bei den Republikanern ist alles dabei: von Menschen, die Positionen der Mitte ähnlich wie Angela Merkel vertreten, bis hin zu Extremisten wie am äußersten rechten Rand der AfD.

Warum sind nicht mehr Amerikaner schockiert über den Extremismus in dieser großen, alten Partei?

Viele sind es ja, aber viele andere finden es sogar gut. Die USA sind so stark gespalten wie seit sehr langer Zeit nicht. Joe Biden hat mit Blick auf den Kapitolssturm behauptet: "Wir sind besser als das." Aber da irrt er sich gewaltig. Denn Amerika ist genau das: eine Mischung aus Liberalen und Radikalen, aus Biden und Trump. Man tröstet sich, indem man das Gute im Bösen sucht, und verfällt dabei leicht in die Verharmlosung.

Die Corona-Krise verschärft die Spaltung in Amerika. Kann es noch einmal zu so einer bedrohlichen Lage wie im vergangenen März kommen, als das Fundament des globalen Finanzsystems ins Wanken geriet?

Das Risiko besteht immer, aber die Lage ist heute stabiler. Der Schock im März war beispiellos, weil der Markt für US-Staatsanleihen, auf dem die ganze Welt ihre Liquiditätsreserven aufbaut, in Unordnung geraten war und nicht mehr funktionierte. Es brachen so große Lücken zwischen Angebot und Nachfrage auf wie nie zuvor in der Geschichte. Wenn Sie mit Akteuren von damals sprechen, spüren Sie immer noch die enorme Furcht. Aber die US-Zentralbank hat sich entschlossen gezeigt, diesen Markt um jeden Preis zu stabilisieren. Deshalb sind wir gegen einen Kollaps des Finanzsystems nun weitgehend gewappnet, zumindest in den wohlhabenden westlichen Ländern.

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Könnten die Mutationen des Coronavirus uns noch einmal in so eine gefährliche Krise wie im März stürzen?

Das ist ein wichtiger Punkt: Was ist, wenn der Albtraum Bergamo überall Realität wird? Bislang haben es die westlichen Länder aber noch nicht erlebt, dass die Gesundheitssysteme flächendeckend wegen Überlastung versagen. Selbst in New York ist die Situation gemeistert worden.

Und nun haben wir mit den Impfstoffen ein effektives Mittel gegen Corona.

Ja, wir haben die Lösung – aber wir kriegen es nicht hin! Es ist unfassbar, wie erschreckend niedrig die Zahl der bisher Geimpften ist. Impfen muss jetzt höchste Priorität haben. Wir müssten eigentlich Tag und Nacht impfen. Zur Not sollten wir die Menschen um drei Uhr nachts aus dem Bett holen. Würden wir es in einem Monat schaffen, die am stärksten gefährdeten Menschen zu immunisieren, würde sich die Lage schlagartig verbessern: Das Gesundheitssystem würde entlastet, die Lockdowns könnten gelockert werden, die Wirtschaft würde wieder anspringen.

Da Sie selbst zu der Zeit der Spanischen Grippe vor hundert Jahren geforscht haben, ziehen Sie doch mal einen Vergleich: Machen wir heute ein besseres Krisenmanagement als die Menschen damals?

Unsere Bereitschaft, eine solche gesundheitliche Bedrohung zum beherrschenden politischen Thema zu machen, ist erstaunlich. Einen derartigen Stillstand wie jetzt den Lockdown hat es während der Spanischen Grippe nirgendwo gegeben, auch nicht während der großen Influenzawellen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Allerdings werden wir in den kommenden Jahren unsere Reaktionen überdenken müssen. Die reichsten Länder haben eine große Tragfähigkeit. Das gilt nicht unbedingt für die Schwellen- und Entwicklungsländer, wo der gesellschaftliche und wirtschaftliche Schaden zum Teil riesig ist.

Wem ist es zu verdanken, dass die EU in dieser Krise stabil geblieben ist?

Drei Gruppen: Erstens haben die Südländer – vor allem Italiener, Spanier und Griechen – die herablassende Kritik aus dem Norden stoisch ertragen. Es ist wirklich unglaublich, was diese Menschen über sich ergehen lassen mussten. Zweitens hat die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen eine bemerkenswerte Dynamik entwickelt. Und drittens ging nichts ohne Deutschland, seine Vermittlung und seine Bereitschaft zur gemeinsamen Verschuldung.

Welchen Anteil hat Angela Merkel daran?

Angela Merkels Bereitschaft, nach einigem Zögern, sich für eine europäische Reaktion auf die Corona-Krise einzusetzen, ist historisch. Auch deshalb wäre ein nationalistischer Schwenk in Berlin nach der Bundestagswahl im September fatal.

Das klingt fast so, als wünschten Sie sich, dass Angela Merkel doch noch einmal antritt?

Angesichts der grassierenden Unsicherheit greift man nach jeder Stütze. Würde Merkel weitermachen, hätten wir in der Gleichung eine Unbekannte weniger. Aber sich an "ewig Merkel" zu klammern, ist auch ein Armutszeugnis.

Gibt es ein anderes Land, das Europas neuer Stabilitätsanker werden könnte?

Nein. Deutschland spielt eine einzigartige Rolle in der EU. Es ist weder wirtschaftlich noch politisch dominant. Aber es hat das entscheidende Gewicht. Das wiederum macht es für Berlin entscheidend, dass es eine relative neutrale Position einnimmt. Jeder politische Vorstoß Frankreichs löst eine Gegenreaktion anderer Länder aus, zum Beispiel der Osteuropäer. Bei Deutschland ist das weniger der Fall. Man bemängelt häufig, dass aus Berlin kein zukunftsweisender Entwurf für Europa komme. Zu wenig Initiative. Aber Berlin muss gerade angesichts seines Gewichtes vorsichtig agieren. Auch in dieser Hinsicht kommt nach Merkel Unsicherheit auf Europa zu.

Professor Tooze, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Adam Tooze via Zoom
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