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Volkstrauertag für Weltkriegsopfer: Was wurde aus den Kriegsgefangenen?


Volkstrauertag für Weltkriegsopfer
Was wurde aus den deutschen und russischen Kriegsgefangenen?

dpa, Ulf Mauder

17.11.2019Lesedauer: 3 Min.
Karteikarte mit mehreren Fotos: Deutschland will erstmals große Datenmengen zu sowjetischen Kriegsgefangenen an Russland übergeben.Vergrößern des Bildes
Karteikarte mit mehreren Fotos: Deutschland will erstmals große Datenmengen zu sowjetischen Kriegsgefangenen an Russland übergeben. (Quelle: Marc Müller/dpa-bilder)

Fast 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sind die Schicksale von Millionen Kriegsgefangenen aus Deutschland und Russland ungeklärt. Zum Volkstrauertag wird auch an sie erinnert.

Zu Tausenden suchen Deutsche und Russen auch mehr als sieben Jahrzehnte nach Kriegsende noch nach ihren damals in Gefangenschaft geratenen Angehörigen. Für den Historiker Dmitri Stratievski gehört dieses Kapitel des Zweiten Weltkrieges bis heute zu den dunkelsten, die noch auf umfassende Aufarbeitung warten. Wenn an diesem Sonntag (17. November) zum Volkstrauertag an die Opfer der Kriege erinnert wird, dann geht es auch um die Schicksale von Millionen Kriegsgefangenen. Weil Russen und Deutsche nun ihre Archive leichter zugänglich machen, könnten noch viele Menschen Gewissheit erlangen über vermisste Angehörige.

Von einem "Meilenstein" spricht der 45-jährige Stratievski am Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Moskau. Deutschland will nun erstmals große Datenmengen zu sowjetischen Kriegsgefangenen an Russland übergeben – keine Originale, sondern in digitalisierter Form. "Es ist für viele Russen wichtig zu wissen, was aus ihren Vorfahren geworden ist, wo sie begraben liegen", sagt Stratievski der Deutschen Presse-Agentur.

Russland unterstützt Aufarbeitung noch nicht lange

Eine Vereinbarung, die der Präsident des Bundesarchivs, Michael Hollmann, und der Direktor des Russischen Staatlichen Militärarchivs, Wladimir Tarassow, im September unterschrieben, soll Fortschritte bringen. Bisher lief das oft nicht reibungslos. Zum einen gab es eben keinen Zugriff von Russland aus auf die in deutschen Archiven verwahrten Dokumente. Zum anderen unterstützt der russische Staat noch nicht lange diese Form der Aufarbeitung der Vergangenheit.

"Die sowjetischen Kriegsgefangenen waren eine der größten Opfergruppen des nationalsozialistischen Regimes", sagt Stratievski. In Deutschland sei das bis heute kaum im Bewusstsein. Von den mehr als fünf Millionen sowjetischen Soldaten, die während des Zweiten Weltkriegs in deutsche Gefangenschaft gerieten, fielen mehr als drei Millionen systematischen Misshandlungen zum Opfer. Zum Vergleich: In der Sowjetunion gerieten nach Angaben des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge drei Millionen Soldaten der Wehrmacht in Gefangenschaft, von denen mehr als eine Million starben.

Viele Schicksale ungeklärt

In Deutschland erinnern heute ehemalige Kriegsgefangenenlager an die sowjetischen Schicksale – wie zum Beispiel die Gedenkstätte Sandbostel in Niedersachsen, wo am Volkstrauertag der Kriegsopfer gedacht wird, und Zeithain in Sachsen und Buchenwald in Thüringen. Vielen Gefangenen drohte aber auch nach ihrer Rückkehr in die Heimat Verbannung oder Tod. Unter Sowjetherrscher Josef Stalin seien sie wie Verräter behandelt worden, erklärt Stratievski. "Deshalb versuchte auch mancher, nach Kriegsende in Deutschland zu bleiben", sagt der Experte.

Erst 1995 erhielten die sowjetischen Kriegsgefangenen in Russland den Status "Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg", wie die Moskauer Zeitung "Kommersant" anmerkte. Das russisch-deutsche Archivabkommen sei nicht hoch genug zu schätzen, sagte der Experte Sergej Balandjuk von der Organisation elektronischer Archive ELAR in Moskau dem Blatt. Bis heute sei das Schicksal von zwei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen ungeklärt.

Interesse der Angehörigen weiter sehr hoch

Das neue Archivprojekt bringt aber nicht nur Russen Vorteile, die nach ihren Angehörigen in deutscher Gefangenschaft suchen – und etwa auch ihre Gräber finden wollen. Durch die neue Vereinbarung erhofft sich auch der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) einen leichteren Zugang zu russischen Archiven mit weniger bürokratischem Aufwand. "Wir haben nach wie vor viele offene Schicksale", sagt die Leiterin der DRK-Suchdienst-Leitstelle, Dorota Dziwoki.

Das Interesse der Angehörigen sei so viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin sehr hoch, sagt Dziwoki. Damals seien Deutsche auch von den Sowjets verschleppt worden. Die noch bis Ende 2023 finanzierte Suche nach den Vermissten sei nicht zuletzt deshalb sehr aufwendig, weil die Namen oft nur nach dem Hören in russische Schrift übertragen worden. Allerdings habe die digitale Datenbank des DRK bereits heute Angaben zu 20 Millionen Menschen.

Kriegsgefangene fanden wenig Beachtung

Die Aufarbeitung der Vermissten-Schicksale – vor allem von gefallenen Wehrmachtssoldaten – gibt es also schon lange. Die Kriegsgefangenen aber fanden vergleichsweise wenig Beachtung. Zuletzt hatten 2016 der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein russischer Kollege Sergej Lawrow zu dem Versöhnungsprojekt erklärt, dass deren Geschichte soweit wie möglich aufgeklärt werden solle. Doch Forscher brauchen vor allem den Zugang zu Archiven, der jetzt besser werden soll.


Es sei nun das erste Mal, dass staatliches Archivgut digitalisiert zur Nutzung an Russland übergeben werde, sagt Projektkoordinatorin Heike Winkler in der Berliner Stelle des Volksbundes, der in diesem Jahr 100-Jähriges feiert. Besonders wichtige Bestände gebe es im Bundesarchiv in Berlin-Reinickendorf und in der Abteilung Militärarchiv in Freiburg. Für die Forschung zu den Kriegsgefangenen hat das DHI in Moskau auch eine Stelle ausgeschrieben.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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