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Gedenkstätte in Hohenschönhausen: Ist das Geschichtsüberwältigung?


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Gedenkstätte Hohenschönhausen
Woher kommt der Streit um das Berliner Ex-Stasi-Gefängnis?


Aktualisiert am 06.11.2019Lesedauer: 7 Min.
Wachturm an der Gedenkstätte Hohenschönhausen: 11.000 politische Gefangen saßen insgesamt in der Untersuchungshaftanstalt der Stasi. (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Wachturm an der Gedenkstätte Hohenschönhausen: 11.000 politische Gefangen saßen insgesamt in der Untersuchungshaftanstalt der Stasi. (Archivbild) (Quelle: ullstein-bild)
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Das ehemalige Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen in Berlin ist eine Touristenattraktion. Doch in den letzten Jahren gab es viel Streit um die Gedenkstätte. Was ist passiert? Ein Besuch am umstrittenen Ort.

Irgendwann kann die Frau nicht mehr an sich halten: "Und was macht das mit einem?", platzt es aus ihr heraus. Es ist ein Montagmittag in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, einer ehemaligen Haftanstalt der Staatssicherheit in Berlin. Rund vierzig Leute haben sich im Gefängnishof um Gilbert Furian versammelt. Furian – weißes Haar und heller Trenchcoat – war 1985 für sieben Monate in Hohenschönhausen inhaftiert. Anschließend saß er in weiteren Stasi-Gefängnissen, mehr als zwei Jahre waren es insgesamt. Sein Vergehen: Er hatte Punks interviewt und Hefte mit den Gesprächen unter Freunden und Bekannten verteilt. Heute führt der einstige Gefangene Besucher über das Gelände der ehemaligen Haftanstalt.

Gerade hat Furian von einem Erlebnis aus seiner Haftzeit nach Hohenschönhausen erzählt, von einem Vorfall aus einem anderen Gefängnis der Staatssicherheit, den er als besondere Demütigung erinnert: eine Leibesvisitation vor den Augen anderer Gefangener. "Ich habe das nicht hier hereingelassen", sagt Furian und legt eine Hand auf seine Brust. Sein Rezept, um ein Stasi-Gefängnis zu überstehen? Auf Stand-by schalten. "So habe ich es geschafft, ohne Knacks hier herauszukommen."

In den Zellen gab es keine Fenster

Furian ist einer von rund 40 ehemaligen Häftlingen, die heute als Besucherbegleiter in Hohenschönhausen arbeiten. 11.000 politische Gefangene saßen in dem Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit, die das Gelände von 1951 bis 1989 als Haftanstalt betrieb. Für die Inhaftierten war das Gefängnis ein Gebäude im Nirgendwo: Sie erfuhren nicht, wo sie sich befanden. Geschlossene Transporter brachten die Menschen in das Gefängnis. Statt Fenstern gab es Glasbausteine in den Räumen, die einen Schimmer von Tageslicht hereinließen. Zu zweit oder allein lebten die Häftlinge in den Zellen. Auf den Gängen begegneten ihnen außer den zuständigen Wärtern keine anderen Menschen, sie sollten in Hohenschönhausen so wenig Gesichter sehen wie möglich.

Nicht nur Zeitzeugen führen heute über das Gelände, sondern auch Historiker. Doch dass die Gedenkstätte so beliebt ist, hat sie vermutlich den ehemaligen Häftlingen zu verdanken, die dort über ihre Leidenszeit berichten: Viele der Besucher – jährlich sind es rund eine halbe Million – wünschen sich eine echte Zeitzeugen-Führung. Hohenschönhausen ist ein beliebtes Ziel für Ausflüge und Klassenfahrten. Was Lehrern oft schwer gelingt, passiert hier fast von allein: Geschichte ist plötzlich ganz nah. Das machen die grauen Mauern und der Stacheldraht, die langen Gänge, die engen Zellen und eben auch die ehemaligen Häftlinge.

Nach 18 Jahren kündigte die Gedenkstätte ihrem Direktor

Nur wenige der Besucher dürften wissen, dass eine schwierige Zeit hinter der Gedenkstätte liegt. Im letzten Jahr musste der Direktor Hubertus Knabe seinen Posten nach 18 Jahren räumen, weil sein Stellvertreter Mitarbeiterinnen sexuell belästigt haben soll. Umstritten war Knabe schon zuvor. Nach Knabes Entlassung schrieb der DDR-Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung": "Unter seiner (Knabes, Anm. d. Red.) Verantwortung war die Gedenkstätte mit einer Überwältigungsstrategie versehen worden: Niemand sollte aus dem Lernort herauskommen und eine andere Auffassung als der Gedenkstättenleiter über die DDR haben."

Zu Knabes Kritikern zählt auch der Historiker Rainer Eckert. Er war Mitglied des Stiftungsrats von Hohenschönhausen und saß im wissenschaftlichen Beirat – bis er, so erzählt es Eckert selbst, herausgedrängt wurde: "Wie fast alle linksliberalen Kritiker."

Eckert kennt Knabe schon lange, sie duzen sich sogar. "Ich saß damals in der Personalkommission, die Hubertus eingestellt hat. Ich fühle mich verantwortlich für das, was passiert ist", sagt der Historiker heute. Knabe hat aus Eckerts Sicht teilweise zweifelhafte Mittel eingesetzt, um die Besucher von seiner Sicht auf die DDR zu überzeugen: "Das war Geschichtsüberwältigung."

Knabe will sich nichts vorwerfen lassen

Knabe will Fragen zu dem Thema nur per Mail beantworten. Er sei im Ausland, schreibt er. Das erstaunt: Denn laut Veranstaltungskalender des Politischen Bildungsforums Brandenburg soll Knabe in dem angefragten Zeitraum als Referent bei einer Abendveranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Potsdam aufgetreten sein.

Auf die Mails – es werden mehrere – antwortet der ehemalige Direktor aber rasch. Für Eckerts Entlassung aus dem Beirat sei nicht er selbst zuständig gewesen, schreibt er, sondern der Stiftungsratsvorsitzende. Seines Wissens sei Eckert ersetzt worden, "um dem Bedeutungszuwachs der Gedenkstätte Rechnung zu tragen." Mit anderen Worten: Eckert sei nicht mehr prominent genug für die Position gewesen.

Auch Geschichtsüberwältigung lässt sich Knabe nicht vorwerfen. Für die pädagogische Arbeit sei er als Direktor der Gedenkstätte nicht zuständig gewesen. Und er habe nie Einfluss auf die Inhalte genommen, die in der Gedenkstätte vermittelt wurden. "Ich kann mich an keine einzige Beschwerde eines Schülers oder eines Lehrers erinnern, dass sie sich 'überwältigt' gefühlt hätten. Im Gegenteil: Die Lehrer wollten immer unbedingt eine Führung mit einem Zeitzeugen und waren oft enttäuscht, wenn dies nicht möglich war", schreibt Knabe.

Im Fünf-Minuten-Takt schalteten die Wärter das Licht an

Den Eindruck gewinnt man auch in der Gedenkstätte. Neben einer Zellentür zeigt Gilbert Furian, der ehemalige Häftling, eine lange Reihe von Lichtschaltern. Er drückt den zweiten Schalter von oben: Über der Tür springt eine Lampe an, die zeigt, dass nun auch innen Licht brennt. In der Untersuchungshaftanstalt passierte das alle fünf Minuten, jede Nacht. "Was Menschen als Folter empfinden, ist sehr verschieden", sagt Furian. "Für meinen Zellennachbarn war klar, dass die Wärter das machen, um uns verrückt zu machen. Ich habe das nie so empfunden."

Als sie einmal zum Duschen geschickt wurden, habe der Zellennachbar Panik bekommen: Er hatte Angst, vergast zu werden. Furian schüttelt den Kopf: "Da ist ihm wohl ein Gedankensprung in der Geschichte unterlaufen, eine Konfusion." Er selbst habe sich einfach gefreut, nach langer Zeit mal wieder duschen zu können.

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Was Furian erzählt, zeigt einerseits, dass es viele Zeitzeugen gibt, die sich ihrer großen Verantwortung bewusst sind: Dass sie wissen, dass ihre Geschichte eine von vielen ist. Andererseits spricht Furian damit eines der Probleme an, die entstehen, wenn Zeitzeugen Geschichte vermitteln. Die Frage ist: Was würde sein damaliger Zellennachbar heute erzählen?

Nicht alle Erinnerungen decken sich

"Erinnerung ist sehr fragil", sagt der Historiker Rainer Eckert, "Zeitzeugen neigen dazu, die Geschehnisse mit der Zeit zu verzerren." Als ein neues Konzept für die Dauerausstellung in Hohenschönhausen entworfen wurde, gab es immer wieder Uneinigkeit unter ehemaligen Gefangenen, erinnert sich Eckert: "Das geht bei kleinen Dingen los. Die Häftlinge konnten sich nicht einmal einigen, ob es manchmal auch Bohnenkaffee im Gefängnis gab oder ob das 'Neue Deutschland' komplett gelesen werden durfte."

Und es geht natürlich um viel mehr als Zeitungen und Heißgetränke. In Hohenschönhausen befand sich ein Haftkrankenhaus, in dem die Stasi eine Krankenstation unterbrachte. "Unter einigen Häftlingen ging das Gerücht um, dass es hier Medikamentenversuche gegeben hätte", sagt Furian, als er mit seinen Besuchern zwischen alten medizinischen Apparaturen steht, "ich habe mich an solchen Spekulationen nie beteiligt."

In der Dauerausstellung in Hohenschönhausen geht es auch um Folter, die teilweise zum Einsatz kam. Bis 2013 konnte man hier den Nachbau einer sogenannten Chinesischen Wasserfolter besichtigen: einer Apparatur, von der kaltes Wasser auf ein gefesseltes Opfer tropft. Ob es ein solches Instrument in dem Gefängnis jemals wirklich gab, ist nicht belegt. Ein einzelner Zeitzeuge hatte davon berichtet, andere Quellen gibt es nicht.

Gelingt jetzt ein Neuanfang in der Gedenkstätte?

Heute steht die Apparatur hinter verschlossenen Türen. "Die Wasserfolter wird den Besuchern nicht mehr gezeigt", sagt Helge Heidemeyer. Der neue Leiter der Gedenkstätte sitzt in seinem Büro auf dem Gelände, ein heller Raum mit bedrückender Aussicht: Von hier lässt sich das ganze Gefängnis überblicken. Vor zwei Monaten hat Heidemeyer – ein freundlicher Mann mit runder Brille – die Gedenkstätte übernommen. Er steht für den Neuanfang, den sich viele für Hohenschönhausen wünschen.

Bevor die Belästigungsvorwürfe in der Gedenkstätte bekannt wurden, kämpfte Hohenschönhausen schon mit anderen Schwierigkeiten: Von einem Rechtsdrift der Gedenkstätte war in der Presse zu lesen. Im Mai 2018 trennte sich Hubertus Knabe schließlich von einem Zeitzeugen, der in seinen Führungen den Holocaust angezweifelt hatte. Wenige Monate später stellte Knabe auch die Zusammenarbeit mit dem Förderverein der Gedenkstätte ein, als bekannt wurde, dass deren Vorstandsvorsitzender für die rechte Zeitung "Junge Freiheit" schrieb.

"Man muss eher aufpassen, dass man die Besucher nicht überwältigt"

Gibt es ein Problem mit Rechtsextremismus in der Gedenkstätte? "Schon Herr Knabe hat an dieser Stelle eine klare Position bezogen", sagte Heidemeyer. Auch sonst verliert er kein böses Wort über seinen Vorgänger. Trotzdem wird schnell klar, dass Heidemeyer vieles anders machen will. "Die Vermittlung von Repressionsgeschichte fällt einem Ort wie Hohenschönhausen leicht", sagt Heidemeyer, "man muss eher aufpassen, dass man die Besucher nicht überwältigt."

Zeitzeugen-Führungen wird es weiterhin geben. Heidemeyer sieht in ihnen einen besonderen Schatz. Und er macht deutlich, dass den ehemaligen Häftlingen sehr bewusst ist, welche Verantwortung sie tragen: "Wir müssen wissenschaftliche Standards einhalten. Darüber herrscht bei allen ein breiter Konsens." Neben dem pädagogischen Auftrag hat die Gedenkstätte eine weitere Aufgabe, die Heidemeyer am Herzen liegt: "Hohenschönhausen soll auch ein Ort für die DDR-Opfer sein. Wir verstehen uns auch als mentale Heimat für alle, die unter dem System gelitten haben."

Dass vielen Darstellungen der DDR die Zwischentöne fehlen, findet Heidemeyer auch. Aber er verweist darauf, dass es nicht der Gedenkstätte allein zufallen kann, die Erinnerung zu gestalten. In Zukunft will Hohenschönhausen stärker mit anderen Gedenkstätten zusammenarbeiten: "Das Gefängnis war ein wichtiger Teil der DDR. Trotzdem kann Hohenschönhausen allein nicht die DDR repräsentieren."

Bis heute ist die Erinnerung an die DDR umkämpft

Der Streit um Hohenschönhausen ist auch ein Streit darum, wie DDR-Erinnerung in Deutschland aussehen soll: Auf der einen Seite stehen die, die in der DDR mehr als die Stasi sehen wollen; auf der anderen Seite diejenigen, die das für eine Verklärung halten. Rainer Eckert, der Historiker, ärgert sich, wenn er das hört. "Wir haben so viel für die Aufarbeitung geleistet wie in keinem anderen Land der Welt", sagt er. Aber er gibt zu, dass von dieser Arbeit vielleicht nicht genug bei der breiten Masse angekommen ist.

Fehlt nach 30 Jahren noch immer ein Konsens darüber, wie über die DDR gesprochen werden kann? Es wäre zu einfach, die Kritik an der Gedenkstätte auf die Zeitzeugen abzuwälzen. Mehr noch: Wer hört, wie reflektiert ein ehemaliger Häftling wie Gilbert Furian von der DDR erzählen kann, ahnt, dass die Zeitzeugen in Hohenschönhausen nicht das Problem, sondern Teil der Lösung sein könnten.

Zum Schluss der Führung steht Furian mit den Besuchern wieder im Hof der Gedenkstätte. Und er sagt noch einen Satz, mit dem er – das ist zu hören – schon viele Führungen beendet hat: "Jetzt habe ich für Sie noch eine gute Nachricht: Sie dürfen wieder raus!"

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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