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Piltdown-Mensch: Geschichte eines großen Wissenschaftsbetrugs


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Englischer Archäologie-Skandal
Die unglaubliche Geschichte des "Piltdown-Menschen"


Aktualisiert am 23.06.2019Lesedauer: 5 Min.
Rekonstruktion des angeblichen Piltdown-Menschen: Der Knochenfund stellte sich als Betrug raus.Vergrößern des Bildes
Rekonstruktion des angeblichen Piltdown-Menschen: Der Knochenfund stellte sich als Betrug raus. (Quelle: United Archives International/imago-images-bilder)

Aufregung in Großbritannien: Ein Urzeitschädel erwies sich 1912 als Bindeglied zwischen Mensch und Affe. Oder doch nicht? Zahlreiche Forscher fielen auf die schlecht gemachte Fälschung herein.

Eine gute Ehefrau weiß, was ihr Mann braucht. Hélène Dawson richtete deshalb kurz vor dem Jahreswechsel von 1909 auf 1910 folgende Bittworte an den britischen Innenminister Herbert Gladstone: "Mein Ehemann … hat seit einem Vierteljahrhundert seine Freizeit dem wissenschaftlichen Bestreben gewidmet und viel für die Sammlungen im 'British Museum of Natural History' getan. Seine Dienste blieben bislang ohne Lohn und ich denke, Sie stimmen mir zu, dass ihm eine gewisse Anerkennung gebührt."

In der Tat hatte der Anwalt und Hobby-Archäologe Charles Dawson zu dem Zeitpunkt bereits rund 50 Publikationen zu archäologischen, historischen und paläologischen Themen verfasst ohne dass die Wissenschaft ihn dafür jemals gebührend würdigte. Als dann auch noch Dawsons jüngerer Bruder von König Edward VII. zum Ritter geschlagen wurde, griff Hélène zur Feder. So konnte es ihrer Ansicht nach nicht weitergehen.

Bindeglied zwischen Affen und Menschen?

Ihr Brief blieb ohne Erfolg, der Innenminister reagierte nicht. Nur wenig später sollte der Name Charles Dawson trotzdem berühmt werden: Als Entdecker des Piltdown-Menschen, des lange vermuteten, aber bis dato unnachweisbaren fehlenden Bindeglied zwischen Affe und Mensch in der Evolution. Piltdown-Mensch war nur der Name, den die Sensationspresse dem Fund nach seinem Entdeckungsort, dem Dorf Piltdown in der Nähe von Uckfield in Südostengland, gab. Sein wissenschaftlicher Name aber lautete Eoanthropus dawsoni: Dawsons Mensch der Morgenröte.

Angeblich hatten Arbeiter die sterblichen Überreste des menschlichen Vorfahren in einer Kiesgrube entdeckt, den Schädel zunächst für eine versteinerte Kokosnuss gehalten und zum Spaß aufgebrochen. Erst Dawson erkannte den wahren Wert des Fundes und kontaktierte Arthur Smith Woodward, den Kustos der geologischen Abteilung des British Museums. Gemeinsam kehrten die beiden Herren zurück in die Kiesgrube und siehe da: Im Kies lag auch noch der passende Unterkiefer.

Während der Schädel eindeutig menschliche Züge hatte, ähnelte der Unterkiefer mit den zwei darin erhaltenen Zähnen allerdings dem eines Affen. Diese Kombination entsprach genau dem, was britische Wissenschaftler schon seit langer Zeit suchten. Eoanthropus dawsoni war der Beweis ihrer Theorie der Evolution: Zunächst, so glaubten die ehrenwerten Gelehrten, sei das Gehirn gewachsen, erst später habe sich mit der gewonnenen Geisteskapazität auch die Ernährung und damit der Kauapparat gewandelt. Das Alter des Fundes schätzte Woodward auf eine halbe Million Jahre.

Noch ein Zufallsfund

Als Dawson und Woodward am 18. Dezember 1912 ihren Fund auf einem Treffen der Geological Society of London präsentierten, schieden sich auf der Stelle die Geister. Während die einen Eoanthropus dawsoni frenetisch als Brückenschlag zwischen Affe und Mensch feierten, schüttelten andere energisch die Köpfe und zweifelten an der Echtheit des Ensembles. Bereits im Folgejahr erschien in der Fachzeitschrift "Nature" ein Artikel, in dem der Autor David Waterston vom Kings College in London zum Schluss kam, dass hier Menschenschädel und Affenkiefer zu einer Chimäre zusammengefügt worden waren.

Viele der Kritiker verstummten jedoch, als Dawson ein weiteres Ass aus dem Ärmel zog. In Sheffield Park, nur drei Kilometer vom Fundort des ersten Eoanthropus dawsoni entfernt, verkündete er, habe er Schädelfragmente sowie einen Zahn eines zweiten Exemplars entdeckt. Selbst auf Drängen Woodwards wollte Dawson ihm den genauen Fundort allerdings nicht preisgeben und bevor sie ihn gemeinsam aufsuchen konnten, verstarb Charles Dawson.

Er hörte nicht mehr, wie Henry Fairfield Osborn, Präsident des American Museum of Natural History, im Licht der neuen Funde erklärte, der Schädel und der Kiefer gehörten nun "ohne jeden Zweifel" zusammen und damit einen vorläufigen Schlussstrich unter die Diskussion zog. Dawson hatte es geschafft: Er hatte den Beweis geliefert, dass die britische Wissenschaft mit ihrer These zur Evolution recht hatte. Und mehr noch, die Weiterentwicklung zum intelligenten Homo sapiens hatte just in Britannien ihren Anfang genommen.

Cricket-Schläger aus der Urzeit?

Da erstaunte es kaum noch, dass Dawson bei den ersten Schädelfragmenten ebenfalls ein kurioses, längliches, aus einem großen Knochen geschnitztes Gerät entdeckt hatte, für das der Forschergemeinde nur ein Vergleichsbeispiel einfiel: ein Cricket-Schläger, wie er im britischen Nationalsport eingesetzt wird.

So schnell der Ruhm gekommen war, so schnell verflog er allerdings auch wieder. In den 1920er- und 1930er-Jahren tauchten weitere Funde in China, Indonesien und Afrika auf, die einen ganz anderen Weg der Evolution zeichneten. Eoanthropus dawsoni verkümmerte am Stammbaum der Menschheit mehr und mehr zu einem abstrusen Seitenast ohne weitere Triebe. Die Wissenschaft dagegen wartete mit immer besseren Untersuchungsmethoden auf.

Willard Frank Libby entwickelte 1946 die Radiokarbondatierung, für die er 14 Jahre später mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet werden sollte. Wenig später wurde die Altersbestimmung über den Fluoridgehalt der Knochen populär. Mikroskope wurden stärker, chemische Analyseverfahren feiner. Dem konnte Eoanthropus dawsoni nicht länger Stand halten.

Überraschende Herkunft

Der Todesstoß für den Hominiden kam im November 1953, als eine Gruppe von Forschern ganz prominent im "Time Magazine" die Wahrheit verkündete: Der Piltdown-Mensch ist eine Fälschung. Die Schädel sind keine halbe Million Jahre alt, sondern stammen aus dem Mittelalter. Der Unterkiefer und die Zähne ebenso – sie gehörten einst einem Orang-Utan, dessen Zähne mit der Feile nachbearbeitet wurden.

Bei der rötlichen Patina der Knochen, die ein hohes Alter vortäuschen sollte, handelte es sich um eine Eisenlösung und Kaliumdichromat. Selbst das hohe Gewicht, sonst ein untrügliches Zeichen für ein hohes Alter, war künstlich: Hohlräume in Knochen und Zähnen hatte der Fälscher mit winzigen Steinchen gefüllt und dilettantisch mit Zahnarztkitt verschlossen. Und der Cricketschläger? Ein Elefantenknochen, grob in Keulenform geschnitzt, mit einem Messer aus Stahl.

Damit stand zwar fest, dass die Briten nicht die Speerspitze der Evolution waren. Doch wer hatte diesen Betrug zu verantworten? War es Dawson gewesen, der Hobby-Archäologe, der nach wissenschaftlichem Ruhm und Anerkennung gierte? Oder Woodward, der dem leichtgläubigen Dawson geschickt die richtigen Knochen unter die Nase geschoben hatte? Waren die beiden vielleicht Komplizen gewesen? Sogar Arthur Conan Doyle stand zeitweilig unter Verdacht. Der Autor der Sherlock-Holmes-Romane lebte ganz in der Nähe der Fundstelle und hatte sich in jenen Jahren mehrfach als Anhänger dubioser pseudowissenschaftlicher Theorien hervorgetan.

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Wer war der Fälscher?

Diese letzte Frage konnte tatsächlich erst 2016 abschließend geklärt werden. In einem Open-Science-Aufsatz der Royal Society erklärten nicht weniger als sechzehn Forscher: "Methode und Knochen sprechen für nur einen Fälscher – und dieser war höchstwahrscheinlich Charles Dawson."

Nur er kannte beide angeblichen Fundstellen der Piltdown-Relikte. Und als Amateursammler verfügte er über hervorragende Kontakte zu zwielichtigen Händlern, die ihn mit alten Orang-Utan-Knochen und Menschenschädeln versorgen konnten. "Zudem war Dawson ein guter Netzwerker und wusste genau, was die britische Forschergemeinde damals bei einem Missing Link zwischen Affen und Menschen erwartete: ein großes Gehirn, ein affenähnliches Gesicht und stark fossilisierte Knochen", schreiben die Forscher.

Und schließlich spräche auch die laienhafte Ausführung der Manipulationen für den Rechtsanwalt. "Der Fälscher war kein ausgebildeter Konservator", heißt es in dem Aufsatz. "Einige Aspekte seiner Arbeit sind unfachmännisch und führten dazu, dass Knochen brachen, Kitt zu schnell aushärtete und Zähne beschädigt wurden."

Trotzdem möchten sie Eoanthropus dawsoni in der Wissenschaftsgeschichte nicht missen. "Die Fälschung des Piltdown-Menschen hat uns eine wertvolle Lektion erteilt", betonen die Forscher zum Abschluss. "Denn sie warnt Wissenschaftler bis heute davor, sich bei Neuentdeckungen von vorgefassten Meinungen leiten zu lassen. Stattdessen sind gerade dann wissenschaftliche Integrität und Strenge nötig."

Verwendete Quellen
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