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Schlacht am Little Bighorn: Brachten sich General Custers Soldaten selbst um?


Schlacht am Little Bighorn
Brachten sich General Custers Soldaten selbst um?

Von t-online, Angelika Franz

12.07.2018Lesedauer: 5 Min.
Schlacht am Little Bighorn: Ende Juni 1876 erlitt die US-Armee in Montana eine vernichtende Niederlage gegen eine Koalition verbündeter Stämme.Vergrößern des Bildes
Schlacht am Little Bighorn: Ende Juni 1876 erlitt die US-Armee in Montana eine vernichtende Niederlage gegen eine Koalition verbündeter Stämme. (Quelle: John Parrot/imago-images-bilder)

Aus Angst vor Verstümmelung sollen sich 1876 zahlreiche US-Soldaten in der Schlacht am Little Bighorn selbst getötet haben. Eine Forscherin ging dem Verdacht nun nach.

Für die Armee der Vereinigten Staaten ist die Schlacht am Little Big Horn eines ihrer größten Traumata. Am 25. und 26. Juni 1876 traf das etwa 700 Mann starke 7. US-Kavallerie-Regiment unter der Führung von George Armstrong Custer am Little Bighorn River im heutigen Montana auf etwa 2.500 Krieger der Lakota- und Dakota-Sioux, Arapaho und Cheyenne.

Am Abend des 26. Juni waren 268 amerikanische Soldaten tot und 55 schwer verwundet. Custer kam bei der Schlacht ebenso ums Leben wie zwei seiner Brüder, sein Neffe und ein Schwager. Angeblich überlebte von Custers eigener Kompanie nur Comanche, das Pferd von Captain Miles W. Keogh.

Beide Seiten kämpften mit den gleichen Waffen

Mehr noch als der Tod so vieler Soldaten liegt jedoch ein schlimmer Verdacht wie ein dunkler Schatten über der Erinnerung an diese Schlacht. Es könnten, mutmaßten bereits Zeitgenossen, mehr Männer durch die eigene Hand gestorben sein, als von den feindlichen Kriegern getötet wurden. 14 von 30 Augenzeugenberichten erzählen, dass viele der Männer Suizid begingen, um nicht lebend in die Hände des Gegners zu fallen.

Die Anthropologin Genevieve Mielke von der University of Montana hat nun für ihre Masterarbeit die in den 1980er und 1990er Jahren gefundenen Knochen der Toten sowie Augenzeugenberichte studiert, um die Wahrheit herauszufinden.

Wie lässt sich nun nach mehr als 140 Jahren noch herausfinden, ob jemand Suizid beging oder von Feinden getötet wurde? Zumal die Waffen, die beide Seiten benutzten, die gleichen waren: Die amerikanischen Ureinwohner schossen nicht nur mit Gewehren, die sie bereits in zurückliegenden Gefechten von US-Soldaten erbeutet hatten, sondern sammelten auch im Laufe der Schlacht von Little Bighorn die herumliegenden Waffen ihrer toten Feinde ein und nutzten sie. Projektile lassen sich mit modernen forensischen Methoden zwar einzelnen Waffen zuordnen, nur wessen Hand tatsächlich am Abzug lag, kann niemand mehr sagen.

Suche nach Beweisen

Auf dem diesjährigen Jahrestreffen der Society for American Archaeology präsentierte Mielke ihre Untersuchungskriterien. Zunächst einmal ist die wahrscheinlichste Art des Suizids ein Schuss mit einer Kugel in den Kopf. Auf dem Schlachtfeld ist dies die schnellste und sicherste Art, seinem Leben ein Ende zu setzen. Entscheidend ist jedoch auch das Kaliber. Die Soldaten besaßen sowohl Gewehre als auch Pistolen.

Rein technisch ist es wesentlich leichter, sich eine Pistole an den Kopf zu halten, als ein Gewehr mit einem langen Lauf so zu positionieren, dass zum einen der Abzugshahn von der "falschen" Seite aus bedient werden kann, und zum anderen die Mündung im richtigen Winkel auf dem Schädel aufsitzt. Eine großkalibrige Gewehrkugel mag zwar mehr Schaden anrichten als eine kleinkalibrige Pistolenkugel, ist aber wesentlich schwieriger von eigener Hand abzufeuern.

Schließlich spielen auch die Art, wie der Schädelknochen splittert, sowie mögliche Schmauchspuren am Knochen eine Rolle. Denn sie geben Auskunft darüber, wie weit die Mündung vom Kopf entfernt war, als der Schuss abgegeben wurde. Nur ein Schuss, bei dem die Mündung quasi auf dem Knochen aufsaß, kommt als Suizid in Frage.

Herz aus dem Körper geschnitten

Außerdem untersuchte Mielke, ob der Körper Spuren von sonstiger Gewalteinwirkung aufwies. Die Stammeskrieger waren dafür gefürchtet, dass sie ihre Feinde verstümmelten. Auch bei der Schlacht von Little Bighorn gab es dafür reichlich Beispiele. Custer selber fand man mit durchstochenen Trommelfellen und ohne seinen linken kleinen Finger. Seinem Bruder Tom schnitten die Sieger das Herz aus dem Leib. Viele Soldaten wurden skalpiert. Und Custers Adjutant Captain William W. Cook schnitten sie den Backenbart aus dem Gesicht.

Zeigt ein toter Körper Spuren derartiger Misshandlungen, ist es allerdings unwahrscheinlich, dass er jemandem gehört, der Suizid beging – denn für die amerkanischen Ureinwohner waren Menschen, die sich selber das Leben genommen haben, mit einem Tabu belegt. Kein Krieger hätte sie angefasst, geschweige denn Trophäen von ihren Körpern mitgenommen.

Die Angst vor den Gräueltaten der jeweiligen Feinde schürte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts große Angst auf beiden Seiten - sowohl unter den amerikanischen Soldaten, als auch unter den verschiedenen Stämmen. Denn jede Kultur praktizierte Kriegsverbrechen, die der anderen Seite unvorstellbar grausam vorkamen. Während amerikanische Männer bei dem Gedanken daran, den Skalp zu verlieren, vor Schrecken erbleichten, war für die Ureinwohner die Vergewaltigung ihrer Frauen der blanke Horror.

Überreste schon lange bestattet

Auf US-Seite jedenfalls kursierten viele schreckliche Geschichten von skalpierten Schädeln, herausgerissenen Fingernägeln, gebrochenen Gliedmaßen und sogar kannibalistischen Handlungen. Die Angst davor, lebendig in die Hände der Feinde zu fallen, trieb tatsächlich viele amerikanische Soldaten in den Suizid.

Traf dies auch auf die Toten von Little Bighorn zu? Auf den ersten Blick nicht so häufig, wie man aus den historischen Berichten vermuten würde. Von den 31 Toten aus den zwei vorhergegangenen Ausgrabungen konnte Mielke nur bei dreien eindeutige Verletzungen an der rechten oder linken Schläfe feststellen, die tatsächlich durch einen Schuss aus nächster Nähe entstanden waren. 22 der Toten wiesen dagegen Spuren von Misshandlungen auf.

Allerdings konnte die junge Anthropologin die Knochen nicht selber in die Hand nehmen – sie wurden schon vor langer Zeit erneut bestattet. Mielke musste sich auf die Untersuchungsberichte ihrer Kollegen verlassen, die 1983 und 1997 auf die Überreste geschaut hatten. Da weder bei der einen noch bei der anderen Gruppe von Toten möglicher Suizid eine Fragestellung gewesen war, ist es gut möglich, dass entsprechende Hinweise übersehen wurden.

Suizid ist ein Tabuthema bei den US-Streitkräften

Bei den Toten von 1997 handelte es sich zudem um Soldaten, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu Custers Kompanie C gehört hatten und somit von den schwersten Kämpfen verschont geblieben waren. "Zweifellos gab es Selbstmorde unter Custers Männern", fasst Mielke ihre Ergebnisse zusammen, "allerdings womöglich nicht in dem Ausmaß, wie beschrieben." Die Anthropologin hofft, mit ihrer Arbeit zumindest eine Debatte über Suizide in der Armee der Vereinigten Staaten angestoßen zu haben.

Noch 2009 kamen auf 100.000 US-Soldaten 21,7 Suizide. "Das Thema Selbstmord beim Militär ist heutzutage ein Tabu, auch wenn es immer noch hochaktuell ist", findet sie. "Durch diese Diskussion über Suizide bei der Army, egal ob im Jahr 1876 oder 2018, wird hoffentlich die Aufmerksamkeit auf diese allgegenwärtige Problematik gelenkt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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