Spektakulärer Fund zu Maria Stuart So sah die geköpfte Königin vor ihrem Ende aus
In einer völlig verunglückten Hinrichtung wurde die schottische Königin Maria Stuart 1587 enthauptet. Jetzt entdeckte eine Forscherin eine letzte Hinterlassenschaft der Monarchin.
Bis zum letzten Atemzug klammerte sie sich an ihre Würde. Als Maria Stuart, Königin von Schottland, am Morgen des 8. Februar 1587 hingerichtet werden soll, schreitet sie aufrecht zum Schafott. Die englische Herrscherin Elisabeth I. hat ihren Tod befohlen wegen Hochverrats. Mit einem milden Nicken nimmt Maria Stuart die Entschuldigung des Scharfrichters entgegen, der ihr gleich mit dem Beil den Kopf abschlagen wird – ein üblicher Austausch von Floskeln vor einer Hinrichtung.
Während Maria den Kopf auf den Richtblock legt, die Wange gegen das harte Holz gepresst, die Arme weit zur Seite gestreckt, rezitiert die gläubige Katholikin immer und immer wieder ihr letztes Mantra: "In deine Hände, o Herr, befehle ich meinen Geist." Der Anblick von so viel Würde bringt die Hände des Scharfrichters zum Zittern. Er verfehlt den Hals der Königin.
Keine Hinrichtung, sondern eine Schlachtung
Auch der zweite Schlag trifft nicht voll sein Ziel, immer noch hängt Marias Haupt am zuckenden Körper. Er muss am Ende die Beilschneide als Messer benutzen, um die letzten Sehnen durchzutrennen. Das Publikum hält den Atem an – dies ist keine Hinrichtung, es ist eine Schlachtung. Als der Kopf endlich zu Boden rollt und der Scharfrichter sein Werk präsentieren will, löst sich die Perücke mit den üppigen rotbraunen Locken. Heraus kullert ein Schädel, an dem nur noch dünne, graue Strähnen kleben. Marias Würde ist nun vollends dahin.
Ein Stück davon fand allerdings jüngst die Kunsthistorikerin und Restauratorin Caroline Rae wieder, als sie im Auftrag des Londoner Courtauld Institute of Art das Porträt des schottischen Kanzlers Sir John Maitland untersuchte. Unter dem Konterfeit Maitlands entdeckte die Forscherin die übermalten Züge Maria Stuarts – voller Würde und ungebrochen. Der Künstler begann das Porträt der schottischen Königin vermutlich, während sie in England in Haft saß. Es ist ein letzter Blick auf die stolze Frau, die Maria versuchte, zu sein.
Wie ein Geist
Nach ihrer Hinrichtung gab der Maler sein Vorhaben auf, übermalte die teure Leinwand und nutzte sie statt dessen für das Gemälde von Sir John Maitland. Das Bild von Maria Stuart, das Rae mit Hilfe von Röntgentechnik wieder sichtbar machen konnte, lugt wie ein Geist aus den Zügen des Kanzlers hervor.
Möglich machte die Entdeckung das Bleihydroxidkarbonat, das die Künstler im 16. Jahrhundert für weiße Farbe verwendeten. Die bleihaltige chemische Verbindung erscheint auf Röntgenaufnehmen klar und deutlich. Mit diesem sogenannten Bleiweiß skizzierte der Maler Marias Gesicht, Kleidung und Hände. Ihre Gesichtszüge waren bereits fast fertig gestellt, als er sein Projekt aufgab, ebenso die Kopfbedeckung und die rechte Hand. Schon lange hatten sich die Kunsthistoriker gefragt, warum bei dem qualitativ ansonsten hochwertigen Porträt Sir John Maitlands der Hut und der Kragen des Kanzlers so merkwürdig schief saßen.
"Sicherheitsverwahrt" von der eigenen Cousine
Die Antwort ist ganz einfach: Er trägt die umgearbeitete Kleidung der schottischen Königin auf. Der Künstler, der Maria als letzter porträtierte, war vermutlich Adrian Vanson. Der Holländer arbeitete als Hofmaler für Jakob VI., Marias Sohn, während diese bereits in England in Haft saß, sicherheitsverwahrt von ihrer eigenen Cousine Elisabeth I. Als Hofmaler war Vanson an Edinburgh gebunden, wahrscheinlich konnte er Maria nie selber im Gefängnis besuchen.
Das musste er allerdings auch nicht, denn als Vorlage für Porträts konnten damals Miniaturen dienen - kleine, handliche Bildchen, die oft als Andenken oder auch Versprechen herumgetragen wurden. Zwei dieser Miniaturen von Maria fertigte Vansons Kollege Nicholas Hilliard an, als er die Königin 1578 im Gefängnis besuchte. Sie zirkulierten am schottischen Hof, als Vanson 1579 seine Arbeit dort aufnahm.
Wiederholungstäterin
Sein großes Porträt von Maria Stuart beginnt der niederländische Maler wahrscheinlich im Sommer 1586. Doch kaum hat er damit angefangen, wird publik, dass Maria erneut in ein Mordkomplott gegen Elisabeth verwickelt ist – bereits zum zweiten Mal. Anhänger der katholischen Königin planen, die protestantische Elisabeth zu ermorden und statt dessen Maria auf den englischen Thron zu bringen. Jakob muss sich dringend von seiner Mutter distanzieren. Denn die unverheiratete Elisabeth hat selber keine Kinder, Jakob ist ihr nächster Verwandter – und damit ihr Erbe.
Will er nach ihrem Tod sowohl Schottland als auch England regieren, darf er es sich nicht mit der strengen englischen Monarchin verscherzen: keine Sympathiebekundungen für Maria mehr, keine netten Briefe an seine Mutter, keine schönen Bilder. Vansons begonnenes Porträt wandert zunächst in eine Ecke. Bis er 1588 eine Leinwand braucht, um Jakobs' Kanzler Maitland zu malen. In Marias Kragen setzt er den Hals des Kanzlers, ihre rechte Hand wird zu seiner. Nur das Gesicht lässt sich beim besten Willen nicht für Maitlands Züge nutzen. Vanson lässt den Kanzler am Ende in die andere Richtung blicken als die Königin.
Ein Teil ihrer Würde
"Die Entdeckung dieses verborgenen Porträts von Maria, Königin von Schottland, ist eine aufregende Offenbarung", freut sich Rae. "Nicht nur, weil wir dadurch mehr Wissen über die Entstehung und Verbreitung von Maria Stuart-Porträts im 16. Jahrhundert sammeln können. Sondern auch, weil sie hilft, Adrian Vanson besser zu verstehen: einen niederländischen Künstler, der in das Schottland von Jakob VI. auswandert und dort rasch zum Hofmaler aufsteigt."
Zumindest einen Teil ihrer Würde bekam Maria Stuart am Ende so doch zurück. 1612, neun Jahre nach Elisabeths Tod, lässt James die sterblichen Überreste seiner Mutter nach London in die Westminster Abbey überführen. Er gewährt ihr ein Grab, das einer englischen Königin würdig ist: in der Kapelle ihres Urgroßvaters Heinrich VII., direkt gegenüber den Gebeinen ihrer Cousine.