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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hoher Stress, zu viel Fett? Neue Erkenntnisse: Ötzi hatte es mit dem Herzen
Vor mehr als 5.000 Jahren fiel der berühmte Ötzi einem Mord zum Opfer. Allerdings war der Steinzeitmensch ohnehin dem Tod geweiht. Weil er ein Leiden hatte, das auch heute viele Menschen betrifft, wie Forscher nun herausfanden.
Ötzi starb einen grausamen Tod. Erst traf ihn eine Pfeilspitze in die Schulter und zerriss lebenswichtige Blutgefäße, dann gab ihm ein schwerer Schlag auf den Hinterkopf den Rest. Entweder durch eine Waffe oder durch den Aufprall auf harten Boden.
Aber angenommen, der Mann, dessen Mumie 1991 in den Ötztaler Alpen gefunden wurde, hätte den Angriff überlebt. Wäre ihm dann erst viele Jahre später ein friedlicher Tod auf der heimischen Fell-Liege im Kreis seiner Lieben beschieden gewesen? Vermutlich nicht, stellten Patrizia Pernter, Beatrice Pedrinolla und der ehemalige Chef der Röntgenabteilung im Krankenhaus Bozen, Paul Gostner, bei einer neuen computertomografischen Untersuchung seiner Mumie fest.
Stark zersetztes Gewebe
Denn Ötzi litt an Arterienverkalkung. Auch wenn er am Tag seines Todes vor etwa 5.250 Jahren noch scheinbar quicklebendig das Tisenjoch hinaufsprintete, als der tödliche Pfeil ihn traf, baumelte über seinem Kopf bereits das Damoklesschwert eines Herzinfarktes.
Die Bozener Radiologen entdeckten drei längliche Kalkablagerungen im Bereich von Ötzis Herz, die längste von ihnen misst 4,2 Millimeter. Welche Gefäße des Eismann-Herzens sie genau verstopften, lässt sich leider nicht mehr sagen, dazu ist das Gewebe zu stark zersetzt. Theoretisch könnte es sich an der Stelle sogar um Klappenverkalkungen oder um eine Verkalkung des Herzbeutels, ein sogenanntes "Panzerherz", handeln.
Der Herzbeutel aber ist auf dem Computer-Scan gut erkennbar, zu ihm gehören die Kalkplättchen nicht. Und nach einer Verkalkung der Herzklappen, wie sie in Folge einer Entzündung entstehen kann, sehen die hellen Flecken auf den Röntgenbildern auch nicht aus, ihre Form passt nicht zu dieser Diagnose. Die deutet in der Tat auf verkalkte Adern hin. Außerdem liegen die länglichen Kalkpfropfen zwischen bläschen- und schlauchförmigen Strukturen – aller Wahrscheinlichkeit nach die Reste der Adern.
Hoher Stress, fettreiche Ernährung?
Die Radiologen fanden darüber hinaus noch weitere Kalkablagerungen. Auch im Bereich der Halsschlagader und an den Arterien der Schädelbasis entdeckten sie die verdächtigen weißen Flecken auf den Scans. Offenbar neigte der Eismann also zu Gefäßverkalkungen. Ein heutiger Arzt hätte nun als erstes eine Liste möglicher Ursachen abgefragt: Raucht der Patient? Ist er vielleicht besonders hohem Stress ausgesetzt? Bewegt er sich zu wenig? Leidet er an Diabetes? Ernährt er sich besonders fettreich?
Zumindest auf die letzte Frage hätte Ötzi wahrheitsgemäß mit ja antworten müssen. Wenigstens seine letzte Mahlzeit, ein Stück Alpensteinbock-Speck, war sogar extrem fett – und drei Gallensteine lassen vermuten, dass er durchaus ein Freund guten Essens war. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Kalkablagerungen nicht auf eine ungesunde Ernährungsweise, sondern auf Ötzis genetische Veranlagung zurückzuführen sind.
Seit im Jahr 2012 das Genom des Eismannes veröffentlicht wurde, wissen die Forscher von seiner erblichen Anfälligkeit für Herz- und Gefäßkrankheiten. Die neuen Scans bestätigen nun, dass seine genetische Veranlagung ihn bereits eingeholt hatte. Für Radiologin Pernter steht deshalb fest, dass Ötzi nicht nur einer der ältesten nachgewiesenen Fälle für Gefäßverkalkungen ist, sondern auch "ein medizinisches Beispiel dafür, dass eine genetische Disposition der vermutlich wichtigste auslösende Faktor für Arterio- und Koronarsklerose ist", wie sie in einer Pressemitteilung erklärt.
Schwer kranker Mann
Vorherige Studien hatten dem Mann aus dem Eis bereits einen schlechten Gesundheitszustand attestiert. Ötzi litt an kariösen Zähnen, Parodontitis und Knieproblemen, neigte zu Magengeschwüren und hatte sich vermutlich auch eine Lyme-Borreliose eingefangen. Die Zeiger seiner Lebensuhr rückten definitiv dem Ende entgegen – was mit etwa 45 Jahren in der Kupfersteinzeit auch durchaus der Norm entsprach.
Insgesamt war es bereits die dritte computertomografische Untersuchung, die der Patient Ötzi im Bozener Spital über sich ergehen lassen musste. Doch bei den beiden ersten gab es ein anatomisches Problem: den linken Arm des Eismannes. Denn der liegt nicht gerade neben dem Körper, sondern fast im rechten Winkel über der Brust und ragt auf der rechten Seite weit über die Schulter hinaus. Damit ist Ötzi zu breit für die Röhre eines herkömmlichen Computertomografen.
Arm einfach gebrochen
Erst die Anschaffung eines neuen Gerätes mit einem größeren Durchmesser erlaubte es, eine vollständige Ganzkörperaufnahme zu machen. Der merkwürdige Winkel störte schon den Bestatter, der die Leiche nach der Bergung in einen Sarg legen wollte – er brach ihn kurzerhand, damit er den sperrigen Leichnam hineinstopfen konnte.
Warum Ötzi auf seinem Arm zu liegen kam, ist noch nicht geklärt – eine bequeme Sterbeposition war es keinesfalls. Entweder landete er nach einem Schlag auf den Hinterkopf im Fall auf dem Arm und starb, bevor er sich bequemer hinlegen konnte. Oder aber sein Mörder drehte den bereits toten Körper um, damit er ihm den Pfeilschaft aus der Wunde ziehen und wiederverwenden konnte. Die Mühe aber, ihn zurückzudrehen, machte er sich nicht mehr. Die Organe im linken Brustkorb jedenfalls, das Herz und der Lungenflügel, wurden so zusammengequetscht, dass sie bis heute nur schwer zu untersuchen sind.
- Eigene Recherche