Katastrophe in der Frühen Neuzeit Wie eine mysteriöse Seuche die Azteken beinahe ausgerottet hat
Eine unbekannte Epidemie wütete im Mexiko des 16. Jahrhunderts. Und brachte die Azteken an den Rand der Auslöschung. Jetzt sind Forscher dem geheimnisvollen Erreger näher auf die Spur gekommen. Er ist auch heute noch gefürchtet.
Was der spanische Arzt und Naturforscher Francisco Hernandez de Toledo im Jahr 1576 mit penibler Genauigkeit beschrieb, war grauenerregend: Um ihn herum verendeten die Jahrzehnte zuvor von den spanischen Eroberern unterworfenen Azteken elendiglich an einer furchtbaren Krankheit. Zunächst litten sie unter hohem Fieber, Kopfschmerzen und Schwindel.
Dann verfärbte sich ihre Zunge schwarz, ihr Urin wurde dunkelbraun, ihr Körper trocknete aus und sie krümmten sich vor Schmerzen in Brust und Bauch. Am Ende bildeten sich Beulen hinter den Ohren, zogen bis ins Gesicht und den Hals hinunter, und die Erkrankten begannen, aus Nase, Augen und Mund zu bluten. Nach drei bis vier Tagen erlöste endlich der Tod die Opfer. "Cocoliztli" nannten die Azteken diese schreckliche Krankheit, in ihrer Sprache "Nahuatl" das Wort für Seuche.
Schnell und tödlich
Cocoliztli war schnell und extrem tödlich. Die Spanier hatten die Krankheit auf ihren Schiffen aus der Alten Welt mitgebracht – wie die Pocken, die um das Jahr 1520 etwa acht Millionen Azteken das Leben kosteten. Allerdings war Cocoliztli noch weitaus tödlicher. 1545 raffte die Seuche 12 bis 15 Millionen Einheimische dahin, bei einem weiteren Ausbruch 1576, den Francisco Hernandez de Toledo persönlich miterlebte, noch einmal weitere zwei Millionen. Als die Epidemie langsam auslief, waren von den ursprünglich knapp 22 Millionen Azteken in Mexiko gerade noch eine Million am Leben.
Was aber war dieser furchtbare Erreger? Die Beschreibungen von Hernandez wollten nicht so recht zu den bekannten Epidemien des 16. Jahrhunderts passen – weder denen der Alten, noch denen der Neuen Welt. Deshalb rätselten Forscher lange, um welche Krankheit es sich bei Cocoliztli gehandelt haben könnte.
Einzigartiger Fundort
Typhus wurde verdächtigt, ebenso wie die Masern oder eine weitere Form der Pocken. Nun hat ein internationales Forscherteam vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, der US-amerikanischen Universität Harvard und dem Nationalen Institut für Anthropologie und Geschichte Mexikos den Verdächtigen ausfindig machen können: Es handelt sich um "Salmonella enterica", genauer gesagt "Paratyphi C", ein Verwandter des Typhus.
Sie fanden ihn in Teposcolula-Yucundaa im Hochland des Bundesstaates Oaxaca. Dort liegt der einzige Friedhof, auf dem historisch verbürgt tatsächlich Opfer der Cocoliztli-Epidemie von 1545 begraben wurden. Wissenschaftlich betrachtet ist damit der Friedhof von Teposcolula-Yucundaa ein Glücksfall. Denn als die Seuche vorübergezogen war, verlegten die Überlebenden das bis dahin hochgelegene Dorf in ein benachbartes Tal, der Friedhof mit den Toten der Epidemie blieb durch die Jahrhunderte unberührt.
Der große Unbekannte
"In Teposcolula-Yucundaa bot sich uns die einzigartige Gelegenheit, die Frage nach den mikrobiellen Ursachen dieser Epidemie zu beantworten", freut sich Åshild Vågene vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Erstautorin der Studie. Bei Ausgrabungen zwischen 2004 und 2010 wurden Proben aus dem Zahninneren von 29 Toten entnommen.
Normalerweise wissen Forscher, wonach sie suchen. Sie haben einen bestimmten Erreger im Verdacht, eine Epidemie ausgelöst zu haben, und testen ihre Proben auf genau diesen Erreger. Damit finden sie jedoch auch nur, wonach sie gezielt suchen – Überraschungen sind nicht vorgesehen. Der Cocoliztli-Erreger aber war der große Unbekannte. Das Team setzte deshalb erstmals ein neuartiges, hocheffizientes Computerprogramm ein, um zunächst die in den Proben enthaltene bakterielle DNA charakterisieren zu können.
Ein Toter aus Norwegen
In der Zeitschrift "Ecology and Evolution" präsentierten sie nun ihre Ergebnisse: Zehn der Proben, also mehr als ein Drittel, enthielten DNA-Spuren des Bakteriums Salmonella enterica. Damit war die Suche allerdings noch nicht zu Ende, denn Salmonella enterica kommt in sehr vielen sehr verschiedenen Unterarten vor.
Mit einer speziell für diese Studie entwickelte DNA-Anreicherungsmethose gelang es den Forschern, die kompletten Genome zu entschlüsseln. Sie fanden bei allen zehn Proben die Unterart Paratyphi C, die heute kaum noch – weder in Europa noch in Amerika – anzutreffen ist. Lediglich in Afrika und Asien werden noch vereinzelte Infektionen mit dieser Unterart gemeldet. Allerdings gab es sie einst in Europa: Ein Toter aus Norwegen, der um das Jahr 1200 starb, ist der einzige bekannte Fall.
Als blinder Passagier?
Damit konnte zumindest nachgewiesen werden, dass vor der Entdeckung Amerikas Salmonella enterica Paratyphi C in Europa existierte und als blinder Passagier auf den Schiffen mit in die Neue Welt gereist sein konnte.
Ist ein Patient mit Salmonella enterica Paratyphi C infiziert, bricht bei ihm ein enterisches Fieber aus. Die bekannteste Form dieser Krankheit kennen wir heute noch als Typhus. Hohes Fieber, Dehydration und eine schwere Magen-Darm-Infektion sind die lebensbedrohlichen Symptome dieser Erkrankung. Seit der Entdeckung von Antibiotika ist das enterische Fieber behandelbar, trotzdem geht eine Schätzung aus dem Jahr 2014 immer noch von 129.000 allein durch Typhus verursachten Todesfällen pro Jahr aus.
"Nicht zwingend ein Begriff für nur eine Krankheit"
Ob Salmonella enterica Paratyphi C allerdings für alles Leid des 16. Jahrhunderts verantwortlich gemacht werden kann, muss vorerst ungewiss bleiben. "Beide Epidemien, 1545 und 1576, wurden zwar bei diesem Namen genannt", schränkt Vågene gegenüber t-online.de ein, "aber es muss nicht zwingend ein Begriff für nur eine Krankheit sein." Fest steht nur, dass die Toten von Teposcolula-Yucundaa im Jahr 1545 an Salmonella enterica Paratyphi C starben. "Wir können leider ebenso wenig mit Sicherheit sagen, dass der Erreger tatsächlich auch in anderen Teilen Mexikos präsent war."
Die Ergebnisse sind jedoch nicht nur in Bezug auf die Identifizierung des unbekannten Todbringers in Teposcolula-Yucundaa spektakulär. Mit ihrer ungewöhnlichen Bestimmungsmethode haben die Forscher ganz neue Wege betreten: "In der Vergangenheit haben wir in der Regel einen bestimmten Erreger oder eine kleine Gruppe von Krankheitserregern ins Visier genommen, für die es zuvor eine Indikation gab. Deshalb ist es ein wichtiger Beitrag dieser Studie, dass es uns gelungen ist, Informationen über eine in dieser Population zirkulierende mikrobielle Infektion zu gewinnen, ohne dass wir vorher genauer spezifizieren mussten, wonach wir suchten", erklärt Alexander Herbig, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und ebenfalls Erstautor der Studie.
"Entscheidender Fortschritt"
"Dies ist ein entscheidender Fortschritt in den Methoden, die uns zur Erforschung vergangener Krankheiten zur Verfügung stehen. Wir können nun die Anwesenheit zahlreicher infektiöser Organismen in archäologischem Material überprüfen", führt Herbig weiter aus. Kirsten Bos, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte ergänzt: "Das ist besonders relevant für Fälle, in denen die Ursache einer Krankheit zuvor nicht bekannt war."