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Serbien weist Schuld am Ersten Weltkrieg von sich


Serbien weist Kriegsschuld von sich
"Princip schoss auch auf Hitler"

t-online, dpa, mab

Aktualisiert am 14.02.2014Lesedauer: 6 Min.
Sarajevo: Gavrilo Princip wird nach dem Attentat auf Franz Ferdinand von Österreich-Ungarn am 28. Juni 1914 abgeführt. Einen Monat später beginnt der Erste Weltkrieg.Vergrößern des Bildes
Nach seinem Attentat auf Franz Ferdinand wird Gavrilo Princip (Mitte) abgeführt - aus serbischer Sicht als Held (Quelle: picture alliance / Mary Evans Picture Libary)
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Als Auslöser des Kriegsausbruchs 1914 gilt das von Gavrilo Princip verübte Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo. Serbien aber möchte sich mit Hilfe eines alten Briefes von jeder Verantwortung reinwaschen. "Wir sind nicht schuld am Krieg", titelt die Zeitung "Telegraf". Princip gilt vielen Serben als Nationalheld, auch wenn er die Rache Adolf Hitlers auf sein Land gezogen habe.

Die Verehrung Princips in Serbien äußert sich nun auch in Form eines Denkmals. Eine Statue werde zum 100. Jahrestag des Attentats am 28. Juni in Belgrad und eine identische in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo errichtet. Auftraggeber sei die Regierung. Das titelt die serbische Zeitung "Novosti". "Das serbische Volk macht auf diese Weise das Unrecht an Princip wieder gut, der niemals bisher ein Denkmal erhalten hat", heißt es in dem regierungsnahen Blatt.

Mehrheit feiert Attentäter als Held

Bisher waren nur einige Straßen nach dem Attentäter benannt, der 1918 im Alter von nur 23 Jahren in der Haft in Theresienstadt starb und gemeinsam mit zehn Gesinnungsgenossen der Befreiungsbewegung "Mlada Bosna" ("Junges Bosnien") in Sarajevo begraben liegt. Einer Umfrage aus dem Herbst 2013 zufolge verehren 65 Prozent der Serben Princip als Nationalheld.

Im Westen würden Princip und "Mlada Bosna" mit Osama bin-Laden und dem islamistischen Terrornetzwerk Al-Kaida verglichen - das will Serbien nicht länger hinnehmen. Auch würden Parallelen zwischen Serbien und dem Iran gezogen. Der Balkanstaat, Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft, ist es aber vor allen Dingen leid, als Mitverursacher des Ersten Weltkriegs dargestellt zu werden.

Das hat die Staatsspitze um den nationalistischen Präsidenten Tomislav Nikolic nun zum wiederholten Male klargemacht. Nikolic kritisierte in Serbiens führender Tageszeitung "Politika", den "neuen Versuch, Serbien unberechtigt und ohne Grund zum von vornherein Schuldigen zu erklären, der wiederholt in der Geschichte Unglücke im Weltmaßstab hervorgerufen hat".

Land fühlt sich als Sündenbock

Premierminister Ivica Dacic flankierte das Staatsoberhaupt mit der Haltung: "Jeder Versuch, Serbien als den Schuldigen für den Ersten Weltkrieg auszumachen, ist eine Verbiegung und Revision der Geschichte."

Das Ausland, so die weithin kolportierte Befürchtung, ziehe eine Linie vom Ersten Weltkrieg zu den Bürgerkriegen. Ob in Kroatien, in Bosnien oder im Kosovo: Immer seien die Serben die einzig Bösen gewesen - völlig zu Unrecht in serbischer Lesart. Die serbische Kampagne versucht unverdrossen den Eindruck zu vermitteln, das Land werde für die Kriege des gesamten 20. Jahrhunderts ungerechtfertigt als Sündenbock diffamiert.

Clarks Darstellung provoziert

Die nationale Erregung in Serbien nimmt weiter Fahrt auf, seit der Cambridge-Historiker Christopher Clark in seinem internationalen Bestseller "Die Schlafwandler" die Debatte um die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs und die Schuldfrage neu belebt. Clark argumentiert, dass sowohl Deutsche und Österreicher als auch Briten, Franzosen und Russen zum Krieg bereit waren, um ihre außenpolitische Ziele zu erreichen.

Dabei spricht der Historiker auch von einer aggressiven Ideologie des serbischen Königreichs, das sich bereits während der Balkankriege 1912/1913 expansionistisch verhalten und nach der Vorherrschaft auf dem Balkan sowie gegenüber dem Osmanischen Reich gedrängt habe. Die serbischen Expansionspläne und die der Donau-Monarchie führten aus Clarks Sicht im Sommer 1914 zur direkten Konfrontation, hätten diese aber auch schon früher hervorrufen können.

Kein Wort zur eigenen Machtpolitik

Seit Wochen laufen serbische Medien zudem Sturm gegen eine angebliche Geschichtsverklärung durch die Kriegsverlierer Österreich und Deutschland. Das Attentat werde als Ursache für das bis dato dunkelste Kapitel der Menschheitsgeschichte bewusst überhöht und das verheerende Machtstreben Wiens und Berlins dabei verschleiert.

Nicht erwähnt in diesem Zusammenhang wird freilich, dass auch Belgrad machtpolitische Ziele verfolgte und Serbiens Größe mehren wollte, was zwischenzeitlich auch gelang.1918 wurde das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gegründet. Das spätere multiethnische und -religiöse Jugoslawien, von Tito über Jahrzehnte zusammengehalten, zerfiel 1991 wieder in seine Einzelteile, was die Serben in blutigen Bürgerkriegen vergeblich zu verhindern suchten.

Vermeintlicher Unschuldsbeweis: ein Brief von 1913

Der international renommierte Regisseur Emir Kusturica, ein bosnischer Serbe dem in der Vergangenheit wiederholt nationalistische Propaganda unterstellt wurde, will nun mit einem Dokumentarfilm die vermeintliche Wahrheit ans Licht bringen. Bei der Ankündigung seines Vorhabens Anfang Januar präsentierte der Cannes-Gewinner ein Dokument aus dem Belgrader Staatsarchiv, das Serbiens Unschuld beweisen soll.

Es handelt sich dabei um einen Brief des damaligen Wiener Militärgouverneurs in Bosnien und Herzegowina, Oskar Potiorek, an den österreichischen Finanzminister, Leon Bilinski, vom 28. Mai 1913. Genau 13 Monate später ereignete sich das Attentat. Einen weiteren Monat später erklärte Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg - und das Unheil nahm seinen Lauf.

Serbien "ungefährlich machen"

In der vorgelegten serbischen Übersetzung des Briefes schreibt Potiorek von einem "unausweichlichen großen Krieg in einigen Jahren", auf den man sich "systematisch vorbereiten müsse", und dass man "Serbien niemals zu einem verlässlichen Freund machen kann".

Eine entscheidende Stelle aber lässt die serbische Fassung aus: Potiorek forderte keinesfalls, Serbien anzugreifen. Vielmehr schlug er vor, man müsse das Land als potentiellen Kriegsgegner durch ein zu schließendes Handels-, Zoll- und Militärabkommen "ungefährlich machen". Tatsächlich verhandelten Wien und Belgrad noch im Frühsommer 1914 über die Aufteilung einer wichtigen Eisenbahnlinie durch den Balkan.

Österreichs Kriegspläne

Serbische Historiker vertreten aber die These, der Brief belege, dass das Habsburgerreich bereits ein Jahr vor Kriegsbeginn die militärische Auseinandersetzung mit seinem Nachbarn geplant habe. Wien sei also schuld am Krieg. "Das ist unsere Antwort auf den Versuch, die Geschichte umzudeuten", erklärte Kusturica.

Der Brief sei "eine der bedeutendsten Quellen zur Erforschung der Kriegsschuldfrage", behauptete auch der Staatsarchiv-Direktor Miroslav Perisic, ein Freund Kusturicas. Bisher sei das Dokument von allen "revisionistischen Historikern totgeschwiegen" worden, weil sie sonst die Auslösung des Weltkriegs nicht auf "Serbien und Russland" hätten abschieben können.

In der internationalen Fachwelt löst das serbische Getue nur Kopfschütteln aus. Der Brief sei "nichts Großartiges", stellte der österreichische Historiker Manfried Rauchensteiner klar und ergänzte: "Wieso der Brief je in Belgrad gewesen sein soll, ist mir schleierhaft." Darauf hin erklärte das serbische Staatsarchiv dann sogleich, man verfüge natürlich nicht über das deutschsprachige Original, sondern über eine etwa 1930 angefertigte maschinengeschriebene Abschrift.

"Hitlers Rache" an Serbien

Das Magazin "Vreme" hat zur Untermauerung der Unschulds-These ein angeblich bislang unbekanntes Foto in der Bayerischen Staatsbibliothek ausgemacht. Es zeigt Adolf Hitler, der an seinem 52. Geburtstag im April 1941 ein Geburtstagsgeschenk betrachtet: eine Gedenktafel, welche die Wehrmacht kurz zuvor bei ihrem Einmarsch in Sarajevo erbeutet hatte.

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"An diesem historischen Platz hat Gavrilo Princip die Freiheit verkündet", ist auf der Tafel in kyrillischer Schrift zu lesen. Der gebürtige Österreicher Hitler habe die Niederlage des Deutschen und des Habsburger Kaiserreiches immer als Schmach empfunden, schreibt "Vreme". Die Eroberungen des Dritten Reichs auf dem Balkan seien daher "Hitlers Rache".

"Princip schoss auch auf Hitler", folgert der Journalist Muharem Bazdulj daraus in der Tageszeitung "Novosti". Und die Macher von "Blic" sind sich ebenfalls sicher: "Hitler hasste die Serben wegen Gavrilo Princip."

Serbien fühlt sich als Opfer einer Kampagne

Die Zeitschrift "Akter" kommt unter Verweis auf den Historiker Dragoljub Zivojinovic gar zu dem Schluss, die EU wolle ihre Mitglieder befrieden und versöhnen, "und muss daher die Verantwortung alleine auf Russland und Serbien abwälzen". Und es gehe laut "Politika" darum, das mächtigste europäische Land, Deutschland, von jeder Schuld rein zu waschen.

Serbien muss sich aus Brüsseler und Berliner Sicht erst noch als beitrittswürdig erweisen. Das kratzt am Selbstbewusstsein der Serben. Selbst die Staatsführung wittert eine Verschwörung.

Auch im vergangenen Sommer, als es um den Beginn von Beitrittsverhandlungen ging, pflegten die Medien Stereotype. "Nach den Türken hasst Deutschland am meisten die Serben": Mit dieser Titelgeschichte machte das Magazin "Nedeljnik" auf, weil vor allem Deutschland Bedingungen für einen serbischen EU-Beitritt stellte. Dazu gehört die Kooperation der serbischen Justiz mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal.

Gebietsvergrößerung mit Blutzoll erkauft

"Wie immer in seiner Geschichte, sowohl vor als auch nach dem Großen Krieg, befand sich Serbien auf der Seite der Sieger", behauptete Staatspräsident Nikolic am 11. November des vergangenen Jahres. Dies tat er in einer Rede zum Gedenken an den Waffenstillstand, mit dem der Erste Weltkrieg 95 Jahre zuvor faktisch endete.

Unbestritten ist, dass Serbien - gemessen an der Bevölkerungsgröße - die meisten Verluste während des Ersten Weltkrieges zu beklagen hatte: 1,2 Millionen Serben, ein Viertel der Bevölkerung, fanden den Tod. Dem Blutzoll stehen jedoch enorme Gebietsgewinne gegenüber, weshalb der Blick zurück auch durch nostalgischen Pathos geprägt ist.

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