Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ringen um Waffenruhe "Die Ukraine ist für die USA nicht wichtig"

Donald Trump spricht von einem Fortschritt in seinen Friedensplänen für Russland und die Ukraine. Doch die Teil-Waffenruhe spielt vor allem Putin in die Karten, findet Russland-Experte Stefan Meister.
Mit Spannung waren die Telefonate von US-Präsident Donald Trump mit den Präsidenten von Russland und der Ukraine, Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj, erwartet worden. Am Ende steht die jeweilige Absicht, die Energieinfrastruktur des anderen Landes vorerst nicht mehr weiter anzugreifen. Zudem brachte Trump eine US-amerikanische Kontrolle der ukrainischen Atomkraftwerke ins Spiel.
Stefan Meister, bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) für Russland zuständig, erklärt im Interview mit t-online, warum das Abkommen der Ukraine zunächst mehr nützt, Putin Trump aber trotzdem eine Niederlage beigebracht hat.
t-online: Herr Meister, Trump hat sich mit Putin und Selenskyj auf einen beschränkten Waffenstillstand für die Energieinfrastruktur geeinigt. Für welche der beiden Seiten ist das Abkommen nützlicher?
Stefan Meister: Ich bezweifle, dass Russland ein Interesse an dem Abkommen hat. Aber wenn es tatsächlich funktioniert, nutzt es der Ukraine mehr. Die Angriffe Russlands sind deutlich massiver als die der Ukraine. Die Ukrainer können die russische Infrastruktur bei Weitem nicht so stark angreifen – sie haben nicht die Masse an Drohnen. Sie greifen vor allem kriegsrelevante Güter und Infrastruktur in Russland an.
Es gibt aber auch die Ansicht, Russland profitiere von den Abkommen mehr, weil die Ukraine auch russische Ölanlagen attackiert, auf deren Einnahmen Russland stark angewiesen ist. Derweil hat die Ukraine den Winter gut überstanden und benötigt momentan weniger Energie.
Das sehe ich nicht so. Die Energieinfrastruktur der Ukraine ist so massiv zerstört worden, dass das Land den nächsten Winter nur schwer überleben wird. Sie hat den Winter zwar relativ gut überstanden, aber nur, weil er am Anfang relativ mild war. In den vergangenen Wochen und Monaten wurde aber noch massiv Infrastruktur zerstört.
Wie ist der Zustand in Russland?
Die russische Situation ist schwieriger einzuschätzen, weil es nahezu keine Informationen über die dortigen Schäden gibt. Wir sehen aber, dass es gezielte Angriffe auf die Ölförderung gab. Deswegen nützt eine Waffenruhe auch Russland, weil es diese Anlagen schützt. Aber die russischen Angriffe haben eine ganz andere Dimension, 1:100 oder vielleicht sogar 1:200. Zudem hat Russland deutlich bessere Abwehrsysteme und kann seine Anlagen deutlich besser schützen.

Zur Person
Dr. Stefan Meister ist Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dabei beschäftigt er sich insbesondere mit der russischen Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik. Auch Russlands Beziehungen zu seinen postsowjetischen Nachbarn beobachtet er.
Sie zweifeln, ob das Abkommen wirklich eingehalten wird. Tatsächlich gab es kurz nach Bekanntwerden bereits wieder russische Angriffe, auch auf Energieinfrastruktur. Auch die Ukraine griff erneut an. Wie wird es nun weitergehen?
Russland spielt auf Zeit. Es hat kein Interesse an einem Waffenstillstand, Putin ist Trump taktisch an einem ganz kleinen Punkt entgegengekommen. Ansonsten wiederholen er und seine Offiziellen weiterhin ihre Maximalforderungen, was de facto zu einer Kapitulation der Ukraine führen würde. Das zeigt offensichtlich, dass Russland keinerlei Interesse an einem Waffenstillstand hat und bestätigt das Desinteresse Russlands. In den nächsten Wochen wird es deshalb viele taktische Schritte geben, möglicherweise wird Russland die Ukraine beschuldigen, das Abkommen zu brechen oder Reaktionen provozieren. So hält Putin Trump hin und limitiert dessen Verhandlungsposition, ohne die Absicht zu haben, wirklich etwas zu machen.
Putin hat auch eine Waffenruhe im Schwarzen Meer ins Spiel gebracht.
Die ist deutlich wichtiger für Russland. Das Schwarze Meer ist die erfolgreichste militärische Operation der Ukraine. Denn dort steht Russland massiv unter ukrainischem Druck und hat ein Drittel seiner Schwarzmeerflotte verloren. Deswegen hat Putin großes Interesse, dass die Ukraine einem Waffenstillstand dort zustimmen würde.
Ein unerwarteter Teil der Gespräche war der Plan der USA, ukrainische Atomkraftwerke zu übernehmen. Die USA sprechen von allen, Selenskyj sagt, es gehe nur um das russisch kontrollierte AKW in Saporischschja. Was bringt es Trump?
Das ist eine sehr eigenwillige Diskussion. Ich kann nicht sagen, was die USA damit anfangen wollen. Trump möchte, egal was er verhandelt, immer einen Deal machen, bei dem die USA ökonomische Vorteile haben. Aber ob man unter den aktuellen Bedingungen dort Strom produzieren kann, den man verkaufen kann, halte ich für zweifelhaft. Das sind erneut Verlautbarungen von Trump, die nie richtig ausbuchstabiert werden. Ich glaube, er weiß selbst nicht so genau, was er da sagt und was er letztlich will.
Aber wären das nicht auch Sicherheitsgarantien für die Ukraine? Russland könnte die Atomkraftwerke der USA nicht angreifen, ohne eine Eskalation zu befürchten.
Definitiv. Dann ist aber die Frage, ob die USA militärische Truppen schicken würden, was Trump eigentlich ausgeschlossen hatte. Es ist unklar, ob Russland es dennoch probieren und austesten würde. Aber letztlich ist nichts ausformuliert und die Amerikaner haben keine Strategie. Trump müsste erst einmal genau definieren, was er dort plant und wie das Eigentum übertragen werden soll.
Sie glauben also, dass der Vorschlag möglicherweise gar nicht umgesetzt wird?
Ich habe Zweifel, ob die USA die Atomkraftwerke tatsächlich übernehmen, wenn Trump gleichzeitig sagt, er werde keine Truppen in die Ukraine schicken und er werde keinerlei Sicherheitsgarantien geben. Ich wüsste nicht, wie das aussehen sollte.
Trump sagte nach den Gesprächen, man sei auf dem richtigen Kurs. Sehen Sie, dass es eine Entwicklung gab?
Dabei ist gar nichts herausgekommen. Es ist ein Scheitern Trumps und dieses Scheitern verkauft er als Erfolg. Es gab ein kleines, taktisches Entgegenkommen Russlands, was letztlich nichts wert ist. Ohne eine andere Verhandlungstaktik der Amerikaner, die die Russen wirklich unter Druck setzt, wird die Ukraine entweder kapitulieren oder massive Zugeständnisse machen müssen. Man ist momentan nicht bereit, Russland zu zwingen, bestimmte Dinge zu tun, sondern setzt auf den guten Willen eines Akteurs, der keine Glaubwürdigkeit besitzt. Dieser Ansatz ist gescheitert.
In einem Statement des Weißen Hauses heißt es, man suche mit europäischen Partnern nach weiteren Patriot-Raketensystemen für die Ukraine. Sollte das dem Land Hoffnung geben?
Für Trump ist das ein Businessdeal. Jemand wird dafür bezahlen müssen. Und da ist er bereit, Waffen- und Abwehrsysteme zuliefern, wenn es einen guten Deal gibt und letztlich Europa dafür bezahlt. Alles basiert auf ökonomischen Interessen. Das hat nichts mehr mit Verbündetenunterstützung für eine freie Ukraine zu tun. Das ist eine Geschäftsbeziehung.
Es wird in den kommenden Tagen weitere Gespräche in verschiedenen Konstellationen geben. Ab Montag beraten Vertreter der USA getrennt sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine in Saudi-Arabien über eine mögliche Waffenruhe. Was ist davon zu erwarten?
Ich bin sehr skeptisch, dass dabei etwas Sinnvolles herauskommt. Aber es gibt auch andere Szenarien. Es kann einen taktischen Waffenstillstand geben, dem Russland zustimmt, um sich wieder aufzurüsten und die Ukraine erneut anzugreifen. Es kann auch einen Waffenstillstand geben, der nicht funktionieren wird, weil die Russen hybrid und mit geringer Intensität weiter Krieg führen. Aber es kann auch komplett scheitern. Dann ist die Frage, ob die Amerikaner die Ukrainer massiv mit Waffen beliefern oder ob sie bestimmte Dinge einfach akzeptieren werden, weil sie mit Russland andere Deals machen wollen.
Welches langfristige Verhältnis strebt Trump denn zu beiden Staaten an?
Es ist offensichtlich, dass die Amerikaner ohne russische Zugeständnisse bereits wichtige Verhandlungsteile aufgegeben haben. Die Ukraine ist für die Amerikaner nicht wichtig. Trump würde sie im Prinzip an Russland abgeben, um Putin auf seine Seite zu ziehen, etwa mit Blick auf den Iran, China, die Arktis. Deswegen bin ich skeptisch, ob dabei etwas Gutes für die Ukraine herauskommt.
- Interview mit Stefan Meister