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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet."Siegesplan" der Ukraine Es gibt Licht am Ende des Tunnels
Präsident Selenskyj stellt im ukrainischen Parlament seinen "Siegesplan" vor. Die Ukraine braucht dringend Hoffnung auf ein Kriegsende. Doch es bleibt völlig unklar, wie sie Wladimir Putin an den Verhandlungstisch bringen möchte.
Die Spannung war groß. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Mittwoch seinen "Siegesplan" vorgestellt. Endlich. Seit über einem Monat rätseln internationale Beobachter darüber, wie die Ukraine den Krieg mit Russland beenden oder gar gewinnen will. Immerhin ist die Lage zumindest im Osten der Ukraine für die Verteidiger weiterhin dramatisch schlecht. Aber Selenskyj hatte seine Ideen bereits US-Präsident Joe Biden vorgestellt, er sprach mit Bundeskanzler Olaf Scholz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron – und sogar mit dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump.
Gemessen an diesen illustren und vor allem machtvollen Gesprächspartnern ist das Ergebnis des nun öffentlich gemachten Plans eher ernüchternd. Doch das war eigentlich nicht anders zu erwarten. Denn ob die Ukraine gestärkt in Verhandlungen mit Wladimir Putin gehen kann, liegt vor allem in den Händen des Westens. Und an dieser politischen Front sieht es für Kiew aktuell eher düster aus.
Deshalb wird Selenskyjs "Siegesplan" der Ukraine nicht den Weg zu einem Sieg ebnen. Vielmehr formuliert er aus ukrainischer Perspektive viel Maximales – maximale Bitten gegenüber dem Westen, maximale Positionen gegenüber Russland. Selenskyj möchte seiner Bevölkerung und dem Westen Hoffnung auf ein Kriegsende machen, ein Licht am Ende des Tunnels zeigen. Doch dieser Plan wird wahrscheinlich nicht aufgehen, weil viele Vorschläge Selenskyjs schlichtweg Luftschlösser sind.
Nato-Beitritt als Schutzgarantie
Ein Beispiel dafür ist der Nato-Beitritt. Die Ukraine will in die Nato, was aus ihrer Perspektive verständlich ist. Aber das Militärbündnis nimmt kein Land mit ungelösten Territorialkonflikten auf, als ein solcher ist der Krieg mit Russland aber einzuordnen. Außerdem muss jedes Nato-Mitgliedsland einer Erweiterung zustimmen – also auch Ungarn oder die Türkei. Doch vor allem der ungarische Regierungschef Viktor Orbán würde das wegen seiner Nähe zu Russland vermutlich auch ohne Krieg verweigern.
Darüber hinaus erneuerte Selenskyj seine Bitte, dass westliche Staaten der Ukraine dabei helfen sollen, russische Kampfflugzeuge abzuschießen. Das ist utopisch. Auch Länder wie Deutschland oder die USA lehnen eine Flugverbotszone ab, weil sie nicht in einen direkten Krieg zwischen der Nato und Russland gezogen werden möchten.
Dieser große Krieg wäre aber die Konsequenz, wenn die Ukraine der Nato sofort beitreten würde.
Das weiß Selenskyj natürlich. Sein "Siegesplan" dokumentiert zudem, dass er sich darüber im Klaren ist, dass dieser Krieg am Ende am Verhandlungstisch entschieden wird. Das wird dann auch der Zeitpunkt sein, zu dem der ukrainische Nato-Beitritt wieder auf den Tisch kommen wird. Denn für einen möglichen Friedensschluss braucht die Ukraine Sicherheitsgarantien, also die Versicherung, dass Russland das Land nicht erneut in ein paar Jahren angreifen wird. Diese Schutzgarantien kann eigentlich nur die Nato leisten, doch bislang wird im Westen darüber kaum diskutiert.
Eben das muss sich mit Blick auf mögliche Verhandlungen ändern – und deswegen thematisiert Kiew den Nato-Beitritt immer wieder. Es ist also eine Positionierung mit Blick auf die Zukunft und nicht als umgehende Forderung zu verstehen.
US-Wahl stiftet Unsicherheit
Dagegen bleibt völlig unklar, wie die Ukraine Russland mittelfristig an den Verhandlungstisch zwingen möchte – und eben dafür braucht es jetzt eine Strategie. Denn eines steht fest: Aktuell sendet Moskau keinerlei Signale, dass man an Gesprächen überhaupt interessiert ist. Putin wartet ab, immerhin sieht er sich aktuell auf der Siegerstraße und hofft wahrscheinlich auf einen Sieg von Donald Trump bei der US-Wahl.
In drei Wochen wird in den USA gewählt und danach wird es in den Vereinigten Staaten eine Zeit des Übergangs geben. Joe Biden tritt als US-Präsident ab, Kamala Harris oder Donald Trump ziehen ins Weiße Haus ein. In dieser Zeit werden die Amerikaner mit dem politischen Machtwechsel beschäftigt sein, nicht mit dem Krieg in der Ukraine. Deshalb hofft Kiew natürlich darauf, dass Biden noch in seiner Amtszeit die militärische Unterstützung erweitert. Putin wiederum könnte von innenpolitischem Chaos in den USA profitieren.
Die Ukraine schaut also mit bangem Blick auf die US-Wahl. Selenskyjs Analyse in seinem Plan ist vollkommen zutreffend: Die Ukraine braucht eine stärkere Verteidigung, ein größeres Abschreckungspotenzial gegenüber Russland. Aber woher nehmen? Die europäischen Unterstützer der Ukraine können militärisch nur noch wenig Hilfen leisten, die Verantwortung dafür liegt bei den Amerikanern. Und auch in den USA gilt es als unwahrscheinlich, dass eine neue US-Regierung weiterhin riesige Hilfspakete im Wert von 60 Milliarden US-Dollar für Kiew schnürt, da die US-Bevölkerung diese Ausgaben sehr kritisch sieht.
Westliche Unterstützer sind am Zug
Die westliche Unterstützung für die Ukraine ist aktuell brüchiger denn je. Das ist die bittere Erkenntnis und gleichzeitig der wahre Hintergrund des "Siegesplans". Die ukrainische Führung möchte der eigenen Bevölkerung und den westlichen Partnern demonstrieren, dass es Hoffnung auf einen Sieg gibt. Und dieser Sieg – so die Botschaft Selenskyjs – liegt gar nicht so weit entfernt, wenn die Ukraine ausreichend Unterstützung bekommt.
Deswegen muss im Westen mehr getan werden, um dieses Ziel zu erreichen. Er muss mehr Hilfslieferungen bewilligen, aber auch die Zielbeschränkungen für weitreichende Waffen aufheben. Nur so kann die ukrainische Armee Putins Kriegslogistik in Russland ernsthaft bedrohen. Und nur so kann der Kremldespot mittelfristig an den Verhandlungstisch gezwungen werden.
- Eigene Recherche