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Scholz' Friedensinitiative: Putin lässt den Kanzler abblitzen


"Auf dem Nullpunkt"
Putin lässt den Kanzler abblitzen

Von t-online, cc

Aktualisiert am 03.10.2024 - 06:58 UhrLesedauer: 4 Min.
Russlands Gewaltherrscher Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt (Archivbild).Vergrößern des BildesRusslands Gewaltherrscher Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt (Archivbild). (Quelle: ---Kay Nietfeld/dpa/Sputnik über AP)

Der Kanzler denkt laut über ein Telefonat mit Kremlchef Putin nach. Moskau reagiert umgehend. Und dann zieht Scholz noch einen seltsamen Vergleich zur Vergangenheit.

Der Kanzler arbeitet schon seit einer Weile an seinem Image als Friedenskanzler. Gebetsmühlenartig betont er, dass die finanzielle, politische und militärische Unterstützung der Ukraine nicht zur Debatte stehe und Deutschland alles tue, damit die Ukraine den Krieg den Aggressor Russland nicht verliere. "Solange es nötig ist", wie Olaf Scholz dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj noch im Juni persönlich versicherte: "Darauf kannst Du Dich verlassen!".

Zuletzt betonte der Kanzler auffallend häufig die politische Seite dieser Zusage. Er wolle sich um Frieden zwischen Moskau und Kiew bemühen, hieß es. Entsprechende Gespräche müsse es bald geben. Auf welcher Grundlage die stattfinden sollten, sagte der Kanzler nicht.

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass sich das Kanzleramt um ein Gespräch mit Russlands Diktator Wladimir Putin bemühe, wie unter anderem die Wochenzeitung "Die Zeit" berichtete. Eine offizielle Anfrage zu einem solchen Gespräch hatte es bisher nicht gegeben. Offenbar lotete man in Berlin aber entsprechende Möglichkeiten aus.

Dass die Bereitschaft zur Diplomatie in Moskau gegenwärtig begrenzt sein könnte, zeigt die Reaktion des Kreml. Die fiel eher kühl aus. "Auf den ersten Blick gibt es keine gemeinsamen Themen (für ein Gespräch), unsere Beziehungen wurden faktisch auf den Nullpunkt geführt und nicht auf unsere Initiative hin", sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow russischen Nachrichtenagenturen zufolge. Putin sei und bleibe aber offen für einen Dialog, schob Peskow hinterher.

Moskau: Klassische Täter-Opfer-Umkehr

Inhaltlich bleibt Putin bei seiner Linie: Verhandlungen ja, aber nur zu russischen Konditionen. Putins Lesart des Ukrainekriegs lautet: Schuld sind nicht wir, sondern die anderen, also der Westen. Seit zweieinhalb Jahren verkauft er seinem Volk den mörderischen Feldzug gegen die Ukraine als notwendige Maßnahme, um angebliche imperialistische Gelüste des Westens einzudämmen. Es ist eine Erzählung, die sich der klassischen Täter-Opfer-Umkehr bedient.

Der Kanzler telefonierte zuletzt im Dezember 2022 rund eine Stunde lang mit Putin, er forderte eine diplomatische Lösung und den Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine. Der Kremlherrscher lehnte ab. Man habe sich gesiezt, berichtete Scholz hinterher über das Telefonat. Die Gesprächsatmosphäre dürfte also eher frostig gewesen sein.

Scholz betonte dennoch, er wolle die Gesprächskanäle zum Kreml offenhalten, so die Bereitschaft dafür auf der Gegenseite vorhanden sei.

Einige Monate später signalisierte Kremlsprecher Peskow dann tatsächlich Dialogbereitschaft. "Es ist notwendig, zu reden", sagte er im Mai 2023. Putin sei offen für einen Austausch, verfolge dabei "aber natürlich das grundlegende Ziel des Schutzes der Interessen unserer Bürger." Was er damit meinte, war die Bereitschaft der Ukraine, weitere ihrer Gebiete aufzugeben, den Verzicht auf einen Nato-Beitritt und eine sogenannte "Entnazifizierung". Darunter versteht die russische Führung die Einsetzung einer moskauhörigen Regierung in Kiew. Mit anderen Worten: die Ukraine solle sich Putin vollständig unterwerfen.

Ukraine muss weitere Gebietsverluste hinnehmen

Auf diese Forderungen konnte weder die Ukraine noch der Westen eingehen. Also blieben die Telefone stumm. Nun also ein weiterer Versuch der Kontaktaufnahme. Ob und wie sich die Positionen seit dem letzten Gespräch im Dezember 2022 im Kanzleramt verändert haben, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass sich der Grenzverlauf in der Ukraine inzwischen verändert hat – und zwar zugunsten Russlands.

Erst am Mittwoch musste der ukrainische Generalstab den Verlust der logistisch bedeutenden Bergbaustadt Wuhledar an die russische Armee einräumen. Seit Monaten verschiebt der Kreml mithilfe seiner Truppen die Grenze im Donbass immer weiter nach Westen, dringt tiefer in das ukrainische Kernland vor. Das schwächt die Position Kiews. Während Putin im Kreml zuschaut, wie seine Verhandlungsmasse immer größer wird, befindet sich Selenskyj seit Monaten auf einer Art Betteltour durch Washington und Europas Hauptstädte, um mehr Waffen und weiter reichende Befugnisse für den ukrainischen Abwehrkampf zu erhalten.

Scholz lehnt eine Aufhebung der Reichweitenbeschränkung für westliche Waffen konsequent ab. Ihm sei es wichtig, eine "faire" Lösung für die Ukraine zu finden, sagte er am Mittwoch bei einem Bürgerdialog in Schwerin. Russland müsse akzeptieren, dass es nicht einfach eine Kapitulation der Ukraine "als Voraussetzung für den Frieden begreifen" könne.

Die Formulierung lässt aufhorchen. Bislang hatte Scholz gesagt, dass Russland seine Truppen abziehen müsse und die territoriale Integrität der Ukraine nicht zur Disposition stehe. Was er nun unter einer "fairen Lösung" versteht, erklärte er nicht. Dafür machte er den Schwenk zu Willy Brandt und dessen Ostpolitik in den späten Sechzigerjahren. Scholz äußerte sich in Schwerin anerkennend über Brandts Satz, die "Oder-Neiße-Grenze für immer anerkennen" zu wollen, wie unter anderem die "Welt" berichtet. In diesen Kontext stellte er sein Handeln in der Ukrainepolitik.

Scholz erinnert an die brandtsche Ostpolitik

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Brandt hatte mit dem "Oder-Neiße"-Satz die Übernahme ostdeutscher Gebiete durch Polen nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch anerkannt. Damit war klar, dass Bonn die modernen Grenzen Polens nicht infrage stellen würde. Brandts Friedenspolitik, seine ausgestreckte Hand Richtung Warschau, zielte somit auch auf die Anerkennung der deutschen Schuld, wie er mit dem berühmten Kniefall von Warschau 1970 auch symbolisch unterstrich. Damit wurde er zum Wegbereiter der Entspannungspolitik.

Willy Brandt ist wahrlich keine schlechte Referenz, wenn es um Friedensinitiativen geht. Scholz sagte nun beim Bürgerdialog, hierzulande werde es keine Politiker mehr geben, "die in den Geschichtsbüchern blättern und schauen, wo waren früher die Grenzen, um dann Krieg zu machen". Deshalb sei es "so wichtig, dass Grenzen nicht infrage gestellt werden".

Wie aber kann die Brandtsche Ostpolitik zum Leitsatz für die Ukrainepolitik des heutigen Kanzlers werden? Schließlich ist nicht die Ukraine der Aggressor, sondern Russland. Nicht Kiew hat die Grenzen verschoben, sondern der Kreml. Es wäre demnach an Putin, die Geschichtsbücher aus der Hand zu legen und die modernen Grenzen der Ukraine nicht mehr anzuzweifeln. Dann müsste Russland sich aber nicht nur aus dem östlichen und südlichen Teil des Landes zurückziehen, sondern auch die seit 2014 annektierte Krim wieder räumen.

Kaum vorstellbar, dass dies Scholz' Maxime ist, mit der er in die Friedensverhandlungen mit Moskau einsteigen will. Was genau es mit der Brandt-Referenz auf sich hat, wird er dem Autokraten Putin sicherlich erklären. Falls der mal anrufen sollte.

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