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Experte zur Taurus-Debatte: "Scholz vertraut der Ukraine nicht"


Diskussion um Taurus-Lieferung
"Scholz vertraut der Ukraine nicht"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 17.03.2024Lesedauer: 4 Min.
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Olaf Scholz: Der Bundeskanzler ist gegen eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. (Quelle: Annegret Hilse/reuters)

Warum stellt sich der Bundeskanzler gegen die Lieferung des Marschflugkörpers? Militärexperte Fabian Hoffmann sieht weiter keine technischen Probleme.

Dass Olaf Scholz gegen die Lieferung von Marschflugkörpern des Typs Taurus an die Ukraine ist, hat er bereits mehrfach erläutert. Recherchen von t-online haben allerdings neue Erkenntnisse geliefert, warum sich der Kanzler bisher so vehement gegen eine Lieferung gestellt hat. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, soll in einem geheimen Teil einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am Montag dazu Einzelheiten genannt haben. So haben es Teilnehmer t-online berichtet.

Doch sind die Argumente nachvollziehbar? t-online hat bei dem Rüstungsexperten Fabian Hoffmann nachgefragt.

t-online: Herr Hoffmann, nach unseren Recherchen sieht es so aus, als habe sich Bundeskanzler Olaf Scholz auch deshalb gegen die Lieferungen von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine entschieden, weil die Abgabe der Waffe in ihrer vollen Funktionsfähigkeit aus seiner Sicht die deutsche Verteidigungsfähigkeit schwächen würde. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Fabian Hoffmann: Ich glaube, dass der Kanzler es aus politischen Gründen nicht will. Scholz vertraut der Ukraine nicht. Die Behauptung, dass die Abgabe dieses Systems die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands untergraben würde, teile ich nicht. Ich halte das für eine Ausrede. Der Taurus ist ein wichtiges Waffensystem, auch für die Verteidigungsstrategie der Bundesrepublik Deutschland. Aber wenn der Taurus jetzt auf einmal so unverzichtbar wäre, müsste man sich fragen, warum die 300 Taurus-Marschflugkörper, die momentan nicht einsatzfähig sind, erst jetzt instandgesetzt werden sollen, wie ebenfalls schon berichtet wurde.

Den Abgeordneten soll im Verteidigungsausschuss auch erläutert worden sein, dass der Marschflugkörper in zwei Varianten geliefert werden kann. Können Sie das genauer erläutern?

Es gibt nur eine Taurus-Variante. Allerdings gibt es, grob gesagt, zwei Versionen der Missionsplanung: eine einfache und eine erweiterte Version. Der Taurus hat mehrere Navigationssysteme: GPS, ein Radar für den Höhenabgleich, eine bildbasierte Navigation sowie die Endzielsuche, wodurch er per Infrarot-Bilderkennung direkt auf sein Ziel zufliegt. In der abgespeckten Variante wird für den Großteil des Fluges nur GPS benutzt. Das ist relativ simpel und würde auch in der Ausbildung für ukrainische Soldaten wenig Zeit beanspruchen. Vermutlich geht es da um wenige Wochen.

Fabian Hoffmann vom Oslo Nuclear Project
(Quelle: aesthesia photography – Katsis)

Zur Person

Fabian Hoffmann ist Research Fellow am Oslo Nuclear Project. In der norwegischen Hauptstadt forscht er zur Verbreitung, dem Einsatz und der Nutzung nichtnuklearer strategischer Waffen, insbesondere konventioneller Präzisionsschlagwaffen, und deren Auswirkungen auf die Nuklearstrategie und die allgemeine Nuklearwaffenpolitik.

Um die "Vollversion" bedienen zu können, bräuchte es also mehr Zeit?

In dem Fall muss man eine Menge an Zieldaten in die Missionsplanung integrieren, darunter auch Höhenmessdaten, die dann mit dem Höhenmessradar während des Fluges abgeglichen werden, sowie Referenzpunkte für die bildbasierte Navigation. Man kann auch dafür sorgen, dass der Taurus feindlichen Radaranlagen ausweicht, indem man die relevanten Daten einspeist. Für die finale Zielsuche muss man ebenfalls das Ziel modellieren: Wenn ich zum Beispiel einen Brückenpfeiler treffen will, muss ich dem Taurus vorher ein Bild davon einprogrammieren. Das wird dann mit der Kamera des Marschflugkörpers abgeglichen. Je genauer ich das Ziel modelliere, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ich das Ziel nachher auch punktgenau treffe. Bei der einfachen Missionsplanung und je nachdem welches Ziel angegriffen wird, ist eine weniger aufwendige Modellierung eventuell ausreichend.

In dieser Sitzung hieß es wohl auch, dass die Ukraine nicht in der Lage wäre, die technische Infrastruktur für die vollumfängliche Version des Taurus selbst zu stellen und Deutschland sie deshalb nicht abgeben dürfe. Wie komplex soll das denn bei einer Waffe sein, die die Bundeswehr bereits seit 2005 besitzt?

Auch dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Es müssen sehr viele Daten eingespielt werden, bevor der Marschflugkörper abgefeuert wird. Aber die Rechenleistung hat sich seit 2005 enorm gesteigert. Daran kann es nicht liegen. Hinzu kommt: Die Ukraine besitzt ein eigenes Marschflugkörper-Programm. Für viele Daten sollte es überhaupt keine deutsche Unterstützung brauchen. Natürlich habe ich keine Einzelheiten, wie das Taurus-System funktioniert. Aber außer Deutschland besitzen auch andere Nationen den Taurus. Dass die Waffe dann ausschließlich mit deutscher Unterstützung oder deutschen Rechensystemen funktionieren soll, halte ich für unwahrscheinlich.

Rein technisch sehen Sie also weiter keine Gründe, die Waffen nicht zu liefern?

Gerade aus den Reihen der SPD haben wir zuletzt immer wieder eigenartige Begründungen gehört, warum eine Lieferung technisch nicht möglich ist. Ich glaube, hier hören wir die nächste. Wenn der politische Wille da wäre, das System zu liefern, könnte man auch versuchen, technische Probleme, wenn es sie denn gibt, mit der Ukraine zu beheben. Ich bin mir sehr sicher, dass es da Wege gibt.

Warum vertraut Scholz der Ukraine nicht?

Er hat offenbar Angst, dass eine solche Lieferung eine russische Reaktion gegenüber Deutschland hervorruft. Seine höchste Priorität ist es, einen Angriff auf Deutschland zu verhindern. Es geht nicht darum, dass die Ukraine gewinnt oder dass Russland verliert, sondern dass Deutschland nicht in den Krieg hineingezogen wird. Scholz sieht in der Lieferung dabei ein Risiko. Da kann ich ihn sogar verstehen: Die Ukraine kann ihm natürlich versprechen, dass sie den Taurus zum Beispiel nicht auf russischem Gebiet einsetzt. Garantieren kann das niemand.


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Aber?

In unserer aktuellen Situation lassen sich gewisse Risiken nicht vermeiden. Der Taurus kann nicht alles im Kriegsverlauf ändern. Aber er wäre Teil einer Summe von Fähigkeiten, die der Ukraine helfen würde, erfolgreicher zu sein. Wir befinden uns in einem Abnutzungskrieg. Gerade jetzt wäre es wichtig, auch Ziele hinter der Frontlinie zu bekämpfen, um etwa die Versorgung zu unterbrechen. Meine Schätzung ist, dass der Ukraine spätestens Anfang nächsten Jahres die Marschflugkörper ausgehen werden, wenn sie keine neuen Lieferungen mehr erhält. Ohne den Taurus würde dann die Ukraine eine Fähigkeit weniger haben. Wir sollten auch bedenken, dass ein russischer Sieg in der Ukraine erhebliche Risiken für unsere eigene Sicherheit mit sich bringen würde, die meiner Meinung nach die Risiken einer Taurus-Lieferung bei Weitem übersteigen.

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Verwendete Quellen
  • Interview mit Fabian Hoffmann
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