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Ukraine-Krieg: Präsident Selenskyj will Mobilisierungsgesetz beschließen


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Ukraine braucht Soldaten
Selenskyjs unpopuläre Entscheidung


15.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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Wolodymyr Selenskyj bei einem bilateralen Treffen in New York (Archivbild): Der ukrainische Präsident muss bald eine Mobilisierungswelle verkünden. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Zuletzt hat die Ukraine mit groß angelegten Drohnenangriffen auf Russland Aufmerksamkeit erregt. Dahinter könnte eine schwierige innenpolitische Entscheidung stehen.

Pünktlich zu Beginn der Scheinwahlen zur russischen Präsidentschaft sendet die Ukraine explosive Signale nach Moskau. Seit Dienstag verbreiten pro-ukrainische Milizen in den russischen Grenzregionen Belgorod und Kursk Unruhe. Und dazu flogen Dutzende Drohnen in dieser Woche in Richtung Russland. Die Mehrzahl der unbemannten Flugobjekte konnte wohl abgefangen werden – doch die übrig gebliebenen Drohnen trafen die russische Wirtschaft ins Mark. Am Dienstag und Mittwoch gerieten drei Ölraffinerien in verschiedenen Regionen Russlands nach Drohnenattacken in Brand, am Freitag trafen sie eine weitere Anlage.

Die drei ersten getroffenen Raffinerien machten allein rund zwölf Prozent der russischen Kapazitäten zur Ölverarbeitung aus, schreiben die Militärexperten Christian Mölling und András Rácz in einem Beitrag für das ZDF. Hinter den Angriffen stehe eine "systematische, gut geplante Kampagne" der Ukraine: "Ziel ist es, die russische Wirtschaft und insbesondere den Kraftstoffsektor zu schwächen und ein Gefühl der Instabilität in Russland zu erzeugen", so die Experten. Auswirkungen auf die Treibstoffversorgung der russischen Truppen in der Ukraine seien jedoch nicht zu erwarten. Ein weiterer Grund für die großangelegten Angriffe liegt wohl an anderer Stelle.

Video | Video zeigt Drohnenangriffe in Russland
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Quelle: t-online

Krieg im Informationsraum

Kriege werden nicht nur mit Soldaten und Militärgerät an Land, zu Wasser und in der Luft ausgefochten – vielleicht noch wichtiger ist der Kampf um den sogenannten Informationsraum. Sowohl Russland als auch die Ukraine versuchen seit Beginn des russischen Angriffskriegs, die Deutungshoheit über Erfolge und Rückschläge zu erringen. Davon hängt ab, ob die Verbündeten weitere Unterstützung für sinnvoll erachten und die eigenen Bürger sich hinter ihrer Führung versammeln oder doch kriegsmüde werden.

Aktuell hat die Ukraine an der Front einen schweren Stand: Ihr fehlt es an Munition, die Partner in Berlin, Paris und Washington scheinen vor allem mit sich selbst beschäftigt zu sein, und Russlands Truppen haben zuletzt mit der Eroberung von Awdijiwka Mitte Februar einen mindestens symbolisch bedeutsamen Erfolg errungen. Kiew braucht nun positive Nachrichten, um sowohl innenpolitisch als auch nach außen Stärke zu demonstrieren. Denn für Präsident Wolodymyr Selenskyj steht eine unpopuläre Entscheidung an.

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Die Ukraine muss mobilisieren – aber viele wollen nicht in den Krieg

Der Ukraine gehen langsam, aber stetig die Soldaten aus. Viele ihrer Einheiten kämpfen schon monatelang an den ihnen zugeteilten Frontabschnitten. Manch ein Soldat steht bereits seit zwei Jahren in Schützengräben. "Natürlich ist die Moral niedrig und es geht auf Kosten der Motivation", beschrieb ein Soldat die Situation kürzlich im Gespräch mit der "Financial Times". Die Führung in Kiew arbeitet bereits seit Wochen an einem Gesetz für eine neue Mobilisierung. 500.000 frische Kräfte sollen eingezogen werden – doch der Prozess gestaltet sich als schwierig.

Am 31. März soll über den umstrittenen Gesetzestext abgestimmt werden. Die Abgeordneten der ukrainischen Rada haben auf einen ersten Entwurf mit mehr als 4.000 Änderungsanträgen geantwortet. Zu Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 haben sich viele Ukrainer freiwillig gemeldet. Rund 330.000 Soldaten werden derzeit an der Front eingesetzt, schätzt die "Financial Times". Diese Kräfte sind nun erschöpft – und ein großer Teil der übriggebliebenen Zivilisten scheint wenig Interesse daran zu haben, an der Front zu kämpfen.

Laut einer Umfrage des ukrainischen Meinungsforschungsinstituts InfoSapiens sind 48 Prozent der bisher nicht eingezogenen Männer nicht bereit zu kämpfen. 34 Prozent gaben an, für einen Fronteinsatz bereit zu sein. Die restlichen 18 Prozent zeigten sich unentschlossen. Die Hauptgründe für die Ablehnung einer Mobilisierung waren demnach die Angst vor dem Tod oder einer Verstümmelung, die Aussicht auf eine unzureichende Ausbildung, ein nicht absehbares Ende des Einsatzes sowie fehlende Waffen und Munition.

Das neue Mobilisierungsgesetz sieht laut der "Financial Times" vor, das Mobilisierungsalter von zuvor 27 Jahren auf 25 Jahre abzusenken. Außerdem müssen sich Männer auf einem Onlineportal registrieren. Wenn sie das nicht tun, soll es Strafen geben, die noch nicht näher definiert seien. Es könnte etwa Hausbesuche von Rekrutierungsbeamten geben oder der Einzug der Fahrerlaubnis drohen.

Männer, die als "kritisch" für die Wirtschaft betrachtet werden, sollen von der Mobilisierung ausgenommen sein. Dafür müssen sie sich wohl mit höheren Abgaben von ihrem Lohn finanziell am Krieg beteiligen. Allein die Mobilisierungswelle könnte die Ukraine laut dem Bericht 20,8 Milliarden US-Dollar (umgerechnet etwa 19,1 Milliarden Euro) kosten.

Werden bald kampfmüde Truppen abgelöst?

Die ukrainische Führung und das Militär scheinen sich der Unpopularität der bevorstehenden Entscheidung bewusst zu sein. Präsident Selenskyj versuchte am Montag mit Blick auf die Front die Stimmung etwas aufzuhellen: "Die Lage ist viel besser als in den vergangenen drei Monaten", sagte er im französischen Fernsehen.

Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj, nannte die Situation an der Front zwar "schwierig". Trotz dieser Lage gelinge es aber, "die Ablösung von Einheiten, die seit Langem an der Front im Einsatz sind, einzuleiten", schrieb Syrskyj auf seinem Telegramkanal. Der Oberkommandierende machte weiter Hoffnung: "Dies wird zur Stabilisierung der Lage beitragen und sich positiv auf die Moral unserer Soldaten auswirken."

Ob Selenskyj und Syrskyj recht behalten werden, bleibt abzuwarten. Die Analysten der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) zumindest zeigten sich skeptisch: An Frontsektoren, die umkämpft sind und an denen ein russischer Durchbruch drohe, sei eine Ablösung der Einheiten unwahrscheinlich. Das dürfte vor allem die Ostukraine und die Region um Kupjansk in der Oblast Charkiw betreffen. Allerdings deute die Ankündigung Syrskyjs darauf hin, "dass das ukrainische Kommando davon ausgeht, dass sich die Lage in den nicht näher bezeichneten Abschnitten der Frontlinie ausreichend stabilisiert hat, um die ukrainischen Truppen zu rotieren".

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Russland hofft auf "Hilfe" aus dem Westen

Russland bleibt unterdessen nicht untätig: Laut den ISW-Experten ziehen die Kremltruppen vor allem in der Ostukraine Einheiten zusammen, um die Geschwindigkeit ihrer dortigen Offensive beizubehalten oder sogar zu erhöhen. Der Druck auf die ukrainischen Truppen soll aufrechterhalten werden, damit diese nicht in die Lage kommen, ihre Verteidigungsstellungen zu befestigen. Doch auch Russland hat dabei Probleme: Seit Beginn des Angriffskriegs hätten die russischen Streitkräfte noch nicht bewiesen, dass sie "solide mechanisierte Manöver" durchführen können, um größere Gebiete schnell einzunehmen, heißt es vom ISW.

Es ist paradox, doch Russland scheint bei seiner Offensive auf Mithilfe aus dem Westen angewiesen zu sein. Verzögern sich die Munitionslieferungen der westlichen Unterstützer an die Ukraine, steigt das Risiko russischer Durchbrüche wie in Awdijiwka. Wenn die ukrainischen Soldaten nicht auf russisches Artilleriefeuer antworten können, sind sie gezwungen, sich zurückzuziehen. Gut ausgerüstete ukrainische Streitkräfte hätten hingegen bereits bewiesen, "dass sie russische Streitkräfte daran hindern können, selbst bei groß angelegten russischen Offensivbemühungen marginale Gewinne zu erzielen", schreiben die ISW-Experten. "Und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass ukrainische Streitkräfte mit ausreichender westlicher Sicherheitshilfe in der Lage wären, die derzeitige Frontlinie zu stabilisieren."

Eine Verschnaufpause könnte der anstehende Frühlingsbeginn für die Ukrainer bereithalten. Wenn gefrorene Böden auftauen und mehr Niederschläge zu erwarten sind, verwandelt sich vor allem die Ostukraine in eine Schlammlandschaft – "Rasputiza" (zu Deutsch "Wegelosigkeit") wird diese Periode genannt. Schweres, gepanzertes Militärgerät hat dann vielerorts kein Durchkommen. Mehr dazu lesen Sie hier. Auch die russischen Streitkräfte werden diese Periode nutzen, um sich zu konsolidieren und mancherorts neu aufzustellen. Eine neue russische Offensive wird ab Ende Mai erwartet, wenn die Schlammlandschaften wieder trocken sind.

Verwendete Quellen
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