Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Talk bei Lanz Russlandkenner zeichnet düsteres Bild der Lage
Will der Westen gar nicht, dass die Ukraine den Krieg gewinnt?, fragt eine russische Menschenrechtlerin bei "Lanz". SPD-Mann Stegner spricht von "fetischhafter Debatte".
Der öffentlich ausgetragene Zwist zwischen Berlin und Paris bei der Ukraine-Hilfe alarmiert die russische Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa. Dies sei ein Zeichen "dafür, dass man nicht wirklich will, dass Putin den Krieg ganz verliert und die Ukraine den Krieg gewinnt", sagte sie am Mittwochabend bei "Markus Lanz". Wie schon zu Beginn des Krieges komme Unterstützung nur "tropfenweise".
Die Gäste
- Irina Scherbakowa, Bürgerrechtlerin
- Ralf Stegner (SPD), Außenexperte
- Marcus Bensmann, "Correctiv"-Journalist
- Christian Mölling, Militärexperte
"Es ist nicht so einfach getan: Liefert alles, was sie wollen, dann wird das schon werden", entgegnete der SPD-Außenexperte Ralf Stegner. In der Debatte würden "immer verrücktere Dinge" vorgeschlagen und es werde so getan, als stünde Deutschland kurz vor dem Eintritt in den Krieg. "Es wird nur über die Frage diskutiert 'Wie wird der Krieg geführt' und nicht 'Wie kann man ihn beenden'", kommentierte Stegner unter anderem die seiner Ansicht nach "fetischhafte Debatte" über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern.
Stegner bei Lanz
Da wollte es Lanz mal genau wissen. Sind wirklich deutsche Soldaten nötig, um die Marschflugkörper in der Ukraine zu programmieren? Das ist ein entscheidendes Gegenargument gegen die Lieferung, da dann Bundeswehrpersonal ins Kriegsgebiet geschickt werden müsste. Die Bedienung von Taurus könne Experten zufolge ukrainischen Soldaten beigebracht werden, "das ist keine große Sache", sagte Lanz.
"Das können Sie nicht beurteilen, ich auch nicht", zog sich Stegner – auch Obmann im Bundestagsunterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung – wie so oft auf vermeintliche Unwissenheit zurück. Lanz hakte nach: In Spanien oder Südkorea sei Taurus doch auch im Einsatz, ohne dass dort deutsche Soldaten präsent sein müssten. Diese Länder befänden sich nicht im Krieg, entgegnete der Sozialdemokrat.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
"Ich verstehe die Logik nicht", sagte da Scherbakowa und Lanz stimmte zu. Die Ukraine blute aus und habe nur 30 Prozent dessen bekommen, was ihr versprochen worden sei, kritisierte die Mitgründerin der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Memorial. Es gehe nicht nur um Taurus, sondern um die Unterstützung allgemein. Dass die in weiten Teilen ausbleibe, sei für Wladimir Putin und seinen "Mafiastaat" ein Zeichen der Schwäche.
"Wir haben in der gesamten Bandbreite nicht geliefert, was die Ukraine braucht", pflichtete Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Scherbakowa bei. Die Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beschrieb er mit den Worten: "Wasch mich, aber mach mich nicht nass."
Ukrainische Soldaten würden sterben, auch weil Deutschland es nicht geschafft habe, mehr Munition zu liefern. Andere Länder würden deutlich mehr ihres Bruttosozialprodukts in die Hilfe für die Ukraine stecken und dafür eine "Wohlstandsbeschneidung" hinnehmen, sagte Mölling.
Kriegswirtschaft in Deutschland?
Ähnlich sah es bei Lanz der "Correctiv"-Investigativjournalist und Russlandkenner Marcus Bensmann. "Wir haben das nicht begriffen, dass wir natürlich auch auf Kriegswirtschaft umstellen müssen", sagte er. Denn: "Wenn die Ukraine fällt und die USA sich aus der transatlantischen Bindung verabschieden, wird Europa unter russische Dominanz fallen."
Der Ernst der Lage ist nach Ansicht von Bensmann noch nicht allen gewahr geworden – inklusive womöglich Scholz. Von dem forderte er eine "Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede", wie jene, mit der der britische Premierminister Winston Churchill sein Land zu Beginn des Zweiten Weltkriegs auf Entbehrungen eingestellt hatte. "Wenn Russland gewinnt, gibt es hier keine Demokratie mehr", warnte Bensmann beispielsweise vor vom Kreml gesteuerten Regierungen in Osteuropa, über die Putin direkt Einfluss auf die Europäische Union nehmen könnte.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Bensmann hatte 2020 den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny in Freiburg getroffen, kurz vor dessen Rückkehr nach Russland und sofortiger Verhaftung. "Ich muss zurück", habe Nawalny seine Heimkehr begründet. Als Politiker könne er im Exil nicht glaubwürdig sein – denn auch das wäre vom Kreml als Schwäche ausgelegt worden, schilderte Bensmann im ZDF Nawalnys Motivation.
"Das war wirklich Mord auf Raten", bekräftigte Scherbakowa ihre Anklage zum Tod Nawalnys. Er habe noch schrecklichere Haftbedingungen als Michail Chodorkowski erleiden müssen – von 300 Tagen Einzelhaft in einer winzigen, armseligen Zelle bis zu Wasser, das kochend heiß habe getrunken werden müssen. "Er war Putins gefährlichster Gegner", würdigte Scherbakowa ihren Weggefährten.
- ZDF: "Markus Lanz" vom 28. Februar 2024