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GRU, FSB, SWR: Putin setzt im Krieg in der Ukraine auf alle Geheimdienste


Spitzel, Mörder, Doppelagenten
Die dunkelste Seite des Kreml

Von t-online, cry

21.08.2023Lesedauer: 7 Min.
Russlands Präsident Wladimir Putin Mitte August im Kreml: Durch den Ex-Geheimdienstler an der Staatsspitze haben die russischen Nachrichtendienste eine enorme Macht gewonnen.Vergrößern des Bildes
Russlands Präsident Wladimir Putin Mitte August im Kreml: Durch den Ex-Geheimdienstler an der Staatsspitze haben die russischen Nachrichtendienste eine enorme Macht gewonnen. (Quelle: IMAGO/Sergey Guneev)
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Kremlchef Wladimir Putin war einst Geheimdienstmitarbeiter. Während seiner Präsidentschaft sind sie die mächtigsten Organe des Staates geworden. Und mischen im Krieg gegen die Ukraine mit.

Der Krieg in der Ukraine wird nicht nur auf den Schlachtfeldern geführt, sondern auch im Verborgenen. Sowohl Russland als auch die Ukraine setzen auf unterschiedliche Geheimdienste, um den Gegner auszuspionieren, Schwachstellen zu finden und die eigenen Verbündeten im Ausland noch enger an sich zu binden.

Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 und deren Gegenwehr trugen deutliche Fingerabdrücke der Nachrichtendienste, sagt Militärhistoriker Sönke Neitzel in einem Interview mit der Universität Potsdam. "Das beginnt schon bei der offensichtlich falschen Vorstellung, welche die russischen Dienste über die Widerstandsfähigkeit der Ukraine gezeichnet haben, und reicht bis zu dem genauen Bild, das die Ukrainer von dem russischen Angriff hatten. Deshalb konnten sie sich gut vorbereiten und haben die Schlacht um Kiew gewonnen."

Doch wer sind die wichtigsten Akteure im Informationskrieg auf russischer Seite? Ein Blick auf das Vermächtnis des sowjetischen KGB in Russland: Das sind die Geheimdienste des Kreml.

Aus eins mach zwei: Der KGB wird aufgesplittet

Er war ebenso berühmt wie berüchtigt und ist der Ursprung der zentralen Nachrichtendienste in Russland und ehemaligen Sowjetstaaten wie der Ukraine: Der KGB, zu Deutsch "Komitee für Staatssicherheit", war einst Moskaus Geheimwaffe. Von 1954 bis 1991 galt der KGB als "Schild und Schwert" der UdSSR und war als eigenes Ministerium organisiert – der pastellgelbe Prachtbau, der inoffiziell als "Lubjanka" bezeichnet wird und am gleichnamigen Platz der Hauptstadt liegt, war Hauptquartier, Archiv und zentrales Gefängnis des Sowjetgeheimdienstes.

Dort wurden Spionageeinsätze und Auftragsmorde im In- und Ausland geplant, Verbindungsleute gebrieft, die Bewachung der Staats- und Parteiführung organisiert, es wurde verhört und gefoltert. Denn der KGB war als Überwachungssuperorgan konzipiert, das laut den Memoiren seines letzten Vorsitzenden, Wadim Wiktorowitsch Bakatin, über rund 480.000 Angestellte verfügte: Geheimpolizei, In- und Auslandsgeheimdienst, alles in einem. Zahlreiche Mitglieder der heutigen Elite in Russlands Politik und Militär begannen ihre Karrieren einst beim KGB, darunter auch Präsident Wladimir Putin.

Nach dem Zerfall der UdSSR blieb nur das Gefängnis in der "Lubjanka" in Betrieb. Die Sicherheitsorgane spalteten sich in die heutigen, voneinander unabhängigen Dienste FSB und SWR auf.

Mordanschläge im Staatsdienst: Inlandsgeheimdienst FSB

Mit dem FSB wurde der Inlandsdienst des KGB abgelöst. Der "Föderale Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation" hat abgesehen von der Auslandsspionage und dem Schutzdienst für den Präsidenten und die Regierung nahezu alle Aufgaben des ehemaligen KGB übernommen. Insbesondere kümmert sich der FSB um die Inlandsspionage, den Staatsschutz und die Sicherung der russischen Grenzen. Von den Schätzungen zufolge rund 350.000 offiziellen Mitarbeitern der Behörde sollen demnach circa 200.000 Grenzsoldaten sein.

Die Behörde hat das ehemalige KGB-Gebäude am Lubjanka-Platz übernommen und hat in den vergangenen Jahren eine zunehmend zentrale Rolle unter den Staatsorganen Russlands eingenommen. Kein Wunder: Nach Beginn seiner Laufbahn beim KGB setzte Wladimir Putin seinen Weg beim FSB fort und schaffte es dort bis ganz an die Spitze; von Sommer 1998 bis Sommer 1999 leitete er den Inlandsgeheimdienst.

Kurz darauf ernannte er – inzwischen zum Ministerpräsidenten aufgestiegen – seinen engen Vertrauten und als anti-europäischen Hardliner bekannten Nikolai Platonowitsch Patruschew zum Chef des FSB und unterstellte die Behörde direkt dem Präsidentenamt, das er im darauffolgenden Jahr übernehmen sollte. Lesen Sie hier mehr zu Putins Vertrautem Nikolai Patruschew.

Im Ausland wird der FSB vor allem mit russischem Staatsterrorismus in Verbindung gebracht. Mitarbeitern der Behörde werden unter anderem mehrere Bombenanschläge auf Moskauer Hochhäuser im Jahr 1999 vorgeworfen, bei denen 367 Menschen ums Leben kamen, und die als vom Kreml inszenierter Auslöser für den Zweiten Tschetschenienkrieg gelten.

Auch die tödliche Vergiftung des ehemaligen russischen Doppelagenten Alexander Litwinenko mit Polonium-210 in Großbritannien im Jahr 2006 und die Nervengiftanschläge unter anderem auf die Oppositionspolitiker Alexei Nawalny (2020) und Wladimir Kara-Mursa (2015 und 2017) werden der Behörde zur Last gelegt. Der britische Historiker Mark Galeotti schrieb hierzu in einem Gastbeitrag für die "Moscow Times" im Jahr 2019: "Es gibt immer mehr Fälle, die darauf hindeuten, dass Moskau organisierte Kriminalität als verdecktes Instrument für die "dunklen Seiten" seiner Außenpolitik einsetzt."

Im Zusammenhang mit Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen die Ukraine trat der FSB unter anderem im April 2022, zwei Monate nach Beginn des Überfalls, in Erscheinung. Damals beharrte Präsident Putin darauf, der Inlandsgeheimdienst habe ein Attentat ukrainischer Neonazis auf Wladimir Solowjow, den Chef-Propagandisten des Kreml im russischen TV, vereitelt.

Die Beweise hierfür waren laut Beobachtern jedoch alles andere als belastbar: Vorweisen konnte die Behörde nur drei PC-Spiele der "Sims"-Serie, abgelaufene ukrainische Reisepässe und ein Buch, das vom vermeintlichen Attentäter signiert worden sein solle. Die auf FSB-Aufnahmen sichtbare handschriftliche Signatur lautete "Unterschrift unleserlich".

Zuletzt machte der FSB unmittelbar nach dem abgebrochenen Aufstand der Wagner-Söldner gegen die Militärführung in Moskau von sich hören: Einheiten des Inlandsgeheimdienstes durchsuchten ein Luxusanwesen des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin in St. Petersburg und veröffentlichten angebliche Beweise für dessen charakterliche Schwäche. Darunter: eine Foto-Collage abgehackter Köpfe, die angeblich in Prigoschins Wohnzimmer gehangen haben soll und zahlreiche Fotos, die ihn mit verschiedenen Perücken und Bärten verkleidet zeigen sollen.

Der Geheimdienst-Experte Andrej Soldatow sieht den FSB rund um den Wagner-Aufstand im Interview mit der "Zeit" als ziemlichen Versager. Die Rolle der Behörde als Frühwarnsystem des Kreml habe nicht funktioniert: "Ich denke nicht, dass sie vom geplanten Marsch auf Moskau keine Kenntnis hatten. Sie wussten schlichtweg nicht, wie sie das Ganze an den Präsidenten herantragen sollten, schließlich pflegen Prigoschin und Putin eine enge Beziehung. Jeder kritische Bericht könnte am Ende dem Geheimdienstler selbst schaden", so Soldatow. Als ehemaliger KGB-Mann habe Putin für solche Fehler aber womöglich Verständnis, nimmt der Experte an, "deswegen geht er nicht gegen die Dienste vor."

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Fake News und Industriespionage: Auslandsgeheimdienst SWR

Der SWR hat die zivile Auslandsspionage vom KGB geerbt. In voller Länge als "Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation" bekannt, ist die Behörde seit Kurzem vor allem für Industriespionage zuständig. War der Aufgabenbereich des SWR zuvor recht breit gefächert, gilt die neue Priorität seit vergangenen Sommer. Mit der Entscheidung, ein Hauptaugenmerk auf Wirtschaftsspitzelei im Westen zu legen, reagierte Präsident Putin im August 2022 auf die zunehmend strikten westlichen Sanktionen gegen Russland, die im Zusammenhang mit seinem Krieg gegen die Ukraine unter anderem von den USA, der EU und deren einzelnen Mitgliedstaaten erlassen wurden.

Andere Aufgaben, wie die Gegenspionage – also das Auskundschaften anderer Geheimdienste – dürfte jedoch gerade in der aktuellen Situation weiter sehr wichtig sein. Nicht zuletzt, da die Ukraine sich wohl auch stark auf Informationen europäischer und amerikanischer Geheimdienste stützt. "Nach allem, was an Informationen durchsickert, scheint die Unterstützung durch die westlichen Nachrichtendienste für das Lagebild der ukrainischen Streitkräfte von unschätzbarem Wert zu sein", so der Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Potsdam.

Der Experte geht davon aus, dass vor allem die US-Nachrichtendienste der Ukraine auch militärische Zieldaten für ihre Gegenoffensive liefern. Für den SWR dürften diese Informationsflüsse demnach besonders relevant sein.

Die Behörde, die ihren Hauptsitz etwas außerhalb des Moskauer Autobahnrings hat, kümmert sich gleichzeitig weiter darum, ausländische Agenten zu rekrutieren, Auslandseinsätze eigener Agenten in Politik, Journalismus, Wirtschaft und Forschung zu organisieren und verstärkt auch gezielt Falschinformationen im Ausland zu verbreiten.

Strategen des Ukraine-Überfalls: Militärgeheimdienst GRU

Hinter dem Kürzel GRU steht der militärische Geheimdienst Russlands, der aus historischer Sicht als einziges Sicherheitsorgan schon immer eigenständig war. Zwar kommt in dessen offiziellem Namen "Hauptverwaltung des Generalstabs der Streitkräfte der Russischen Föderation", der zentrale Begriff "Aufklärung" seit 2010 nicht mehr vor. Doch weder Präsident Putin noch die Bevölkerung haben diese Namensänderung bisher übernommen.

Schon 1918 als Militärgeheimdienst der Sowjetunion gegründet, ist der Dienst dafür zuständig, alle Informationen zu besorgen, zu prüfen und weiterzugeben, die für die russischen Streitkräfte relevant sein könnten. Außerdem fällt dem GRU die Aufgabe zu, potenzielle Spione in den eigenen Reihen des Militärs aufzudecken. Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz sind rund 12.000 Personen hauptamtlich für den GRU im Einsatz und ebenso wie Personal von SWR und selbst FSB auch an Wirtschaftsspionage im Ausland beteiligt.

Mit dem Kommando "Speznas", das eine Fledermaus im inoffiziellen Wappen trägt, verfügt der Militärgeheimdienst zudem über eine Spezialeinheit. Diese kann im Verborgenen selbstständig hinter feindlichen Linien operieren und wird vor allem zur sogenannten "unkonventionellen Kriegsführung" eingesetzt – wohl auch im Krieg gegen die Ukraine. So hat beispielsweise ein Rechercheteam der BBC mindestens 151 Mitarbeiter der Speznas unter den bis August 2022 namentlich bekannten Toten des russischen Überfalls auf das Nachbarland identifiziert.

Auch bei der Planung des Angriffs auf die Ukraine in den Wochen vor dem 24. Februar 2022 dürfte der GRU federführend gewesen sein. Die Annahme des Kreml, die angebliche "Spezialoperation" mit erhofft großen Gebietsgewinnen und dem erwünschten Fall Kiews würde nicht mehr als drei Tage dauern, stellte sich schnell als fatale Fehleinschätzung heraus.

Militärhistoriker Neitzel sieht hier den GRU in der Verantwortung: "Ganz offensichtlich lag dem russischen Angriff eine falsche Lagebeurteilung zugrunde. Die Frage ist nur, wer hier welchen Fehler gemacht hat. Wurden Informationen nicht weitergegeben? Wurde die Situation bewusst optimistisch umgedeutet, um politisch zu gefallen? Oder hat man von den Vorbereitungen der Ukrainer schlicht zu wenig mitbekommen?"

Auch denkbar wäre ihm zufolge, dass die Empfehlungen des Nachrichtendienstes nicht auf dessen tatsächlicher Analyse basierte, sondern nach der Überzeugung des Kreml ausgerichtet worden sei: "Das kam in der Geschichte immer wieder vor und wäre nichts Neues", so Neitzel. Denn: Nachrichtendienste und ihre Führungselite verfolgen stets auch Eigeninteressen – nicht zuletzt zwecks Selbsterhaltung.

Verwendete Quellen
  • uni-potsdam.de: "Secret Intelligence war selten völlig secret" – Der Militärhistoriker Sönke Neitzel über die Rolle der Geheimdienste im Ukraine-Krieg"
  • foreignpolicy.com: "Famous KGB Spies: Where Are They Now?" (englisch)
  • bbc.com: "Элитные специалисты. Кого именно потеряла российская армия в Украине" (russisch)
  • themoscowtimes.com: "Gangster Geopolitics: The Kremlin’s Use of Criminals as Assets Abroad" (englisch)
  • zeit.de: "Putin hat sich leider als ein geschickter Taktierer erwiesen"
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