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Wehrpflicht: SPD stichelt in Debatte gegen CDU


Schwarz-roter Zoff um Wehrpflicht
Brisanter Frontverlauf


Aktualisiert am 28.03.2025Lesedauer: 5 Min.
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Boris Pistorius (SPD) (l-r), CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Lars Klingbeil (SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag. (Quelle: Maurizio Gambarini)
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Die Wehrpflicht spaltet die schwarz-roten Verhandler. Die Union will junge Männer auch gegen ihren Willen einziehen, die SPD pocht auf Freiwilligkeit. Wer setzt sich durch?

Kommt die Wehrpflicht zurück? In den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD ist diese Frage ein zentraler Streitpunkt. Die Union will den verpflichtenden Dienst an der Waffe zurückbringen, die SPD setzt hingegen auf Freiwilligkeit, will junge Menschen mit Anreizen zur Bundeswehr locken. Eine Einigung ist – bislang – nicht in Sicht.

Ein Dokument der schwarz-roten Verhandler, das t-online vorliegt, zeigt, wie weit die Vorstellungen von Union und SPD auseinanderliegen. Im Abschlusspapier der Arbeitsgruppe 12 (Außen, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte) heißt es auf Seite acht trocken: "Wiedereinführung der Wehrpflicht / Neuer Wehrdienst: Nicht geeint".

Das Papier ist bezeichnend: Anstatt sich auf eine gemeinsame Linie zu verständigen, gibt jede Seite nur ihre eigene Position wieder – ein schwarz-roter Flickenteppich. Die Union schreibt etwa: "Die massive Bedrohungslage gebietet eine glaubwürdige Abschreckung. Dazu ist ein konsequenter und rascher Aufwuchs unserer Streitkräfte notwendig. Deswegen wird die Aussetzung der Wehrpflicht beendet."

Schwarz-roter Flickenteppich

Auch die SPD pocht auf "glaubhafte Abschreckung" – schlägt aber den gegenteiligen Weg vor: Wahlfreiheit statt Pflichtdienst. "Der neue Wehrdienst soll auf Freiwilligkeit basieren", heißt es SPD-seitig in dem Papier. Noch in diesem Jahr sollen Wehrerfassung und -überwachung aufgebaut werden, dazu fordert die SPD eine "breite gesamtgesellschaftliche Diskussion" zur Einführung eines "neuen attraktiven Dienstes".

Heißt: Wie der Wehrdienst der Zukunft genau aussehen soll, weiß die SPD selbst nicht so genau. Das hat auch damit zu tun, dass es bei Sozialdemokraten unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wie die Bundeswehr ihre Personalnot endlich in den Griff bekommt. Vor allem in der Frage, wie viel staatlicher Zwang bei der Rekrutierung nötig ist, sind die Genossen gespalten.

Alte Konfliktlinien der Genossen

Während der linke Parteiflügel am liebsten einen komplett freiwilligen Dienst hätte, der junge Menschen mit attraktiven Angeboten zur Bundeswehr lockt, kann sich das pragmatische Lager um Verteidigungsminister Boris Pistorius durchaus verpflichtende Elemente im neuen Wehrdienst vorstellen. Allerdings ist die Position der Pragmatiker in der SPD nicht wirklich mehrheitsfähig.

Pistorius hatte schon in der vergangenen Legislatur versucht, den parteiinternen Widerstand gegen seine Pläne zu besänftigen. Heraus kam eine Kompromisslösung: Sein Modell "Neuer Wehrdienst" setzte weitgehend auf Freiwilligkeit und hatte nur einen kleinen Zwangsteil: 18-jährige Männer sollen künftig verpflichtet werden, einen Musterungsfragebogen der Bundeswehr auszufüllen und zurückzuschicken.

Die Idee: Nur wer wirklich Interesse an der Bundeswehr hat, soll anschließend auch zur Musterung eingeladen werden. Aus dem Topf der Gemusterten solle sich die Bundeswehr dann die "tauglichsten und fittesten" aussuchen, so Pistorius damals – vorausgesetzt diese wollen auch. 5.000 Wehrdienstleistende soll die Bundeswehr so im ersten Jahr gewinnen, Tendenz in den nächsten Jahren steigend.

Kommt das Pistorius-Modell zurück?

Als Vorbild für seinen damaligen Gesetzentwurf, der aufgrund des Ampelbruchs versandete, diente Pistorius das schwedische Modell. Auch die Schweden setzen zunächst auf Freiwilligkeit, ziehen jedoch auch junge Menschen gegen ihren Willen ein, sollte das Rekrutierungsziel verfehlt werden.

Das Pflichtelement fehlte im Pistorius-Gesetz. Nicht nur war es damals in der SPD kaum vermittelbar. Auch in der damaligen Ampel sträubten sich FDP und Teile der Grünen dagegen. Doch die politischen Realitäten haben sich geändert. Ein Bündnis mit der Union gibt Pistorius nun die Gelegenheit, sein Modell zu überarbeiten und einen stärkeren Pflichtteil zu integrieren. Wird er die Chance nutzen?

Klar ist: Zunächst müsste Pistorius in der eigenen Partei Überzeugungsarbeit leisten. Denn die alten Konfliktlinien haben offenbar auch in der neuen SPD-Fraktion überlebt. Nur so lassen sich die SPD-Sätze im Arbeitsgruppenpapier deuten: Der parteiinterne Konflikt wird oberflächlich gekittet, man bleibt beim Formelkompromiss vom letzten Jahr. Der Fall, dass sich nicht genügend junge Menschen für einen freiwilligen Wehrdienst melden könnten, wird ausgeklammert. Es ist das Prinzip Hoffnung. Ob so "glaubhafte Abschreckung" in einer zunehmend instabilen Weltlage gewährleistet werden kann? Fraglich.

"Wir haben eine Wehrpflicht"

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Falko Droßmann, sieht das anders – und weist die Unionsforderung scharf zurück: "Eine Rückkehr zur alten Wehrpflicht zu fordern, ist kurzsichtig und populistisch. Wir haben nicht genügend Ausbilder, Waffen oder Kasernen, um jedes Jahr Hunderttausende Rekruten vernünftig ausbilden zu können." Wer heute einen Brief zur Einberufung bekäme, hätte morgen nicht mal ein Bett in der Kaserne, so Droßmann.

Der SPD-Politiker wirbt stattdessen für das Wehrdienstmodell von Pistorius: Zunächst müsse die Wehrerfassung wieder aufgebaut werden, damit die Bundeswehr überhaupt erst mal wisse, wer als tauglicher Kandidat infrage käme, so Droßmann. Parallel müsse die Infrastruktur modernisiert und neue Waffensysteme beschafft werden. Bevor das nicht erfolgt sei, bräuchte man über eine Wehrpflicht gar nicht erst nachdenken.

Den Vorwurf, die SPD würde das Problem auf die lange Bank schieben, anstatt sich für den Ernstfall zu rüsten, weist er zurück: "Wir haben eine Wehrpflicht, sie ist nur in Friedenszeiten ausgesetzt. Im Ernstfall könnten wir junge Männer auch jetzt schon gegen ihren Willen einziehen, um das Land zu verteidigen."

Ex-Wehrbeauftragte der SPD fordern Wehrpflicht

Doch manchen in der SPD geht das nicht schnell genug. Der ehemalige Wehrbeauftragte (2015 bis 2020) und heutige Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, Hans-Peter Bartels (SPD), sagt t-online: "Wir haben eine Bedrohungslage wie seit Jahrzehnten nicht. Doch die Bundeswehr ist aktuell nicht in der Lage, das Land zu verteidigen, weil ihr schlichtweg die Soldaten fehlen." Ein Modell, das rein auf Freiwilligkeit setzt, sei nicht mehr zeitgemäß, warnt Bartels.


Quotation Mark

Ohne Wehrpflicht wird es nicht gehen.


Ehemaliger Wehrbeauftragter Hans-Peter Bartels


Nicht nur scheitere die Truppe seit Jahren daran, ihre Sollstärke von 203.000 Soldaten zu erreichen. Zu den derzeit rund 20.000 offenen Dienstposten kämen im Sommer neue Nato-Anforderungen, die der Bundeswehr noch mehr abverlangen und die Personalnot verschärfen würden. Bartels ist überzeugt: "Ohne Wehrpflicht wird es nicht gehen."

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Auch sein SPD-Kollege Reinhold Robbe (Wehrbeauftragter zwischen 2005 bis 2010) fordert von den schwarz-roten Verhandlern, sich ehrlich zu machen. Die Bundeswehrführung wisse, dass die Personalfrage das größte Problem der Truppe sei, so Robbe, der auch Sprecher im Beirat Innere Führung der Bundeswehr ist.

"Wenn wir das System der Rekrutierung nicht zeitnah und grundsätzlich ändern, werden wir die Zahlen verfehlen. Das mächtigste Land in Europa kann sich es nicht leisten, seine Nato-Pflichten zu verletzen", so der Ex-Wehrbeauftragte. "Eine neue Wehrpflicht, unter Einbeziehung der Frauen, ist notwendig."

Wie eine Lösung aussehen könnte

Ob sich die schwarz-roten Verhandler die eindringlichen Appelle aus der Fachwelt zu Herzen nehmen, muss sich zeigen. Der Streit um die Wehrpflicht wird wie andere offene Punkte nun von der Hauptverhandlungsgruppe gelöst werden müssen, die sich ab Freitag trifft.

Wie aus Kreisen der Koalition zu hören ist, könnte ein möglicher Kompromiss zwischen Union und SPD so aussehen: Zunächst könnte der Wehrdienst auf Freiwilligkeit setzen, um den Hebel aus attraktiven Angeboten auszureizen und möglichst vielen jungen Menschen die Truppe schmackhaft zu machen. Parallel dazu wird eine systematische Wehrerfassung aufgebaut und die Infrastruktur modernisiert.

Sollten sich dann nicht genügend Freiwillige finden lassen, könnte man zu einem späteren Zeitpunkt auch per Zwang einziehen, so ein Koalitionär. Berücksichtigt werden müssten zudem die neuen Fähigkeitsanforderungen der Nato, die im Juni bekannt werden. Für die Bundeswehr könnte das bedeuten, dass sie mehrere Zehntausend Soldaten zusätzlich braucht, was den Zeitdruck verschärft.

Ob die Truppe das allein durch attraktive Angebote hinbekommt, bezweifeln auch einige in der SPD. Ein Pflichtdienst könnte schneller kommen als von manchen befürchtet. "Es geht letztlich um die Verteidigung unseres Landes, das muss Priorität haben", so ein Sozialdemokrat hinter vorgehaltener Hand. Ob sich der linke SPD-Flügel davon überzeugen lässt, ist unklar.

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Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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