"Herausforderung für die Sicherheit" Insider packt über Wagner-Söldner in Belarus aus
Über den Grund für den Aufenthalt der Wagner-Söldner in Belarus gibt es viele Spekulationen. Was machen die Kämpfer in dem Land? Ein Oppositionspolitiker gibt seine Einschätzung.
Offiziell sollen die Söldner der Gruppe Wagner in Belarus die dortigen Streitkräfte ausbilden. Doch derzeit wird über ihre Zukunft im Land und eine mögliche Gefahr eines Angriffs auf Polen diskutiert. Auch darüber, wie Belarus zu seinen gefährlichen Gästen steht und warum Machthaber Alexander Lukaschenko sie überhaupt einlud, wird spekuliert.
Ein Mitglied der belarussischen Opposition hat nun seine Einschätzung zur Lage in Weißrussland geschildert. In einem Interview mit Merkur.de sprach Pawel Latuschka, ehemaliger Kulturminister des Landes (2009 bis 2012), zudem über das Verhalten der Söldner in seiner Heimat. "Unsere belarussischen Quellen teilen uns mit, dass die Wagner-Söldner mit Waffen in Geschäften herumlaufen und, verzeihen Sie diese Wortwahl, weißrussische Mädchen belästigen", wird der 50-Jährige zitiert.
So sehe der Sicherheitsapparat von Machthaber Alexander Lukaschenkos in den Wagner-Söldnern keine Unterstützung, sondern "eine Herausforderung für die Sicherheit der Gesellschaft". Die Einheimischen stünden der Anwesenheit der Kämpfer und den damit verbundenen Risiken für ihre Sicherheit kritisch gegenüber. Lukaschenko sei dazu gezwungen, "ständig bei jeder öffentlichen Rede den Weißrussen zu erklären, warum die Gruppe Wagner in unserem Land ist".
Latuschka lebt im Exil in Warschau und gilt als scharfer Kritiker von Lukaschenko und dessen Regierung. Er ist stellvertretender Leiter des belarussischen Übergangskabinetts, das die mutmaßlich übergangene Präsidentschaftskandidatin von 2020, Swjatlana Tichanowskaja, in der Opposition gegründet hat. Damals war die heute 40-Jährige gegen Lukaschenko angetreten und hatte nach Einschätzung ihrer Anhänger auch gewonnen. Die Wahlbehörde erklärte allerdings den Amtsinhaber zum Sieger, der das Land seit fast 30 Jahren mit harter Hand regiert und gegen seine Gegner vorgeht.
Tichanowskaja war nach der Wahl ins Ausland geflohen. Vor einem Jahr gründete sie eine selbst ernannte Exilregierung und hat rund 20 alternative Botschaften und Informationszentren im Ausland eröffnet.
Latuschka: Putin und Lukaschenko sitzen im selben Boot
Lukaschenko hatte nach dem kurzzeitigen Aufstand der Wagner-Söldner Ende Juni in Russland eine Vereinbarung mit dem Kreml vermittelt, die vorsah, dass der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ins Exil nach Belarus gehen sollte. Seine Söldner wurden vor die Wahl gestellt, entweder den russischen Streitkräften beizutreten oder sich ebenfalls in Belarus niederzulassen. Lukaschenko gab später an, dass Wagner-Kämpfer in seinem Land aufgenommen worden seien. Vor allem in den angrenzenden Ländern Polen und Litauen ist seitdem die Sorge vor einem Angriff groß. Erst Ende Juli hatte Lukaschenko bei einem Treffen mit Wladimir Putin gedroht, die Söldner auf Warschau loszulassen.
Laut Latuschka wollte sich der belarussische Machthaber mit seiner Einladung an die Wagner-Söldner selbst schützen. Denn hätte Prigoschin Moskau erreicht, wäre es wohl auch ihm an den Kragen gegangen. "Schließlich sitzen Putin und Lukaschenko im selben Boot. Und ein Loch in diesem Boot würde bedeuten, dass das Boot zusammen mit seinen beiden Passagieren – Putin und Lukaschenko – sinkt", so Latuschka.
Latuschka: 15.000 Söldner sollen wohl aus den Ferien abberufen werden
Schätzungen der Opposition zufolge befinden sich derzeit bis zu 6.000 Wagner-Söldner in Belarus, sagte Latuschka nun Merkur.de. Die meisten von ihnen hielten sich im Dorf Tsel sowie in Militärlagern in der Nähe von Osipovichi auf. Die Zahlen können jedoch nicht unabhängig geprüft werden.
"Wir hören Aussagen, dass 15.000 Wagner-Söldner aus den Ferien abberufen werden sollen und ebenfalls nach Weißrussland gebracht werden könnten", so der Oppositionspolitiker. Der Kreml wolle, dass Lukaschenko die Söldner an verschiedenen Orten in Belarus platziert. Damit würde die Gefahr einer Destabilisierung der Lage an den Grenzen sowohl zur Ukraine als auch zu den Nato-Mitgliedstaaten Polen und Litauen wachsen.
Minsk ist eng mit Moskau verbündet. Das Land ist zwar nicht direkt an der Ukraine-Offensive beteiligt, hatte Russland aber erlaubt, belarussisches Staatsgebiet als Ausgangspunkt für seinen Einmarsch in das Nachbarland im vergangenen Jahr zu nutzen.
- merkur.de: "Belarus-Insider verrät: Wagner-Söldner wüten in Lukaschenkos Land"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa