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Zum journalistischen Leitbild von t-online.60 Jahre alter Chieftain Was der Panzer-Oldtimer im Krieg ausrichten könnte
Bereits 1963 führte Großbritannien den Chieftain in die britische Armee ein. Nun soll der Oldtimer die Kreml-Truppen in der Ukraine bekämpfen – und er sollte nicht unterschätzt werden.
Am 18. Juli postete der ukrainische Militärjournalist Roman Bochkola ein Video aus Großbritannien, das in sozialen Medien viel Aufmerksamkeit erhielt. Der Clip zeigt den Reporter vor einem britischen Kampfpanzer, der offenbar für den Einsatz im Ukraine-Krieg fit gemacht wurde. Bochkola hielt das Gerät zunächst fälschlicherweise für einen Challenger 1, ein Panzermodell aus den 1970er- und 1980er-Jahren.
Erst auf Zuruf eines Twitter-Nutzers wusste der Reporter, dass er tatsächlich ein deutlich älteres Panzermodell vor sich hatte: den Chieftain. Der Spott ließ nicht lange auf sich warten. Sogar Bochkola selbst kommentierte sarkastisch: "Die Welt hat beschlossen, ihren ganzen Müll in der Ukraine zu entsorgen".
Doch ist der Oldtimer wirklich so nutzlos, wie der (offensichtlich nicht sonderlich gut informierte) Reporter behauptet? Was sind die Stärken des Chieftain und kann er der Ukraine bei ihrer Gegenoffensive helfen?
Chieftain schlägt viele russische Modelle
Zwar ist die im Chieftain verbaute Technik veraltet, doch der Kampfpanzer kann es dennoch mit russischen Panzern aufnehmen. "Im Vergleich schlägt er die russischen Modelle T-54/55, T-62, T-64, und T-72", schreibt etwa der Militäranalyst Nicholas Drummond auf Twitter.
Auch die Vielseitigkeit des Chieftain kann von Vorteil für die Ukraine sein. Der britische Kampfpanzer kann mit seiner 120-Millimeter-Kanone viele moderne Panzergeschosse auf eine Entfernung von bis zu 4,1 Kilometern verschießen. Das macht den Chieftain praktisch für den Einsatz in der ukrainischen Armee, weil die meiste der vom Westen gelieferten Munition für Kampfpanzer im britischen Oldtimer eingesetzt werden kann.
Allerdings hat der Chieftain auch seine Schwächen. Im Vergleich zu vielen modernen Kampfpanzern, aber auch zu anderen westlichen Kampfpanzern seiner Zeit, ist er vor allem im Gelände langsam und unbeweglich, schreibt der ehemalige US-amerikanische Panzerkommandant David Garden im Fachblog "keymilitary.com".
Der Chieftain hat nur eine dünne Panzerung
Ein weiteres großes Problem ist die Panzerung des Chieftain, die an ihrem dicksten Punkt gerade einmal 200 Millimeter misst. Wie das Magazin "Forbes" erklärt, war diese Panzerung schon zur Haupteinsatzzeit des Chieftain ein Problem. Als in den 1980er-Jahren der Irak mit sowjetischen Panzern gegen die mit Chieftains ausgestattete Armee des Irans kämpfte, setzten sowjetische T-62-Panzer die britischen Panzer reihenweise außer Gefecht.
Deshalb entwarfen die britischen Militäringenieure das "Stillbrew"-Upgrade, mit dem sie die Panzerung des Chieftain um etwa 50 Prozent verbessern konnten, schreibt "Forbes". Allerdings sei es wahrscheinlich, dass die Chieftain-Panzer für die Ukraine aus Jordanien kommen – und das "Stillbrew"-Upgrade nicht erhalten haben. Die ukrainische Armee sei jedoch versiert im Tüfteln an Militärgerät und könnte ihre eigene Variante des "Stillbrew"-Upgrades auf den Chieftains anbringen, heißt es in dem "Forbes"-Bericht.
Ob und wann der Chieftain in die Ukraine kommt, ist unklar
Im direkten Nahkampf könnte es also für den Chieftain nicht einfach werden, gegen die russischen Kampfpanzer zu bestehen. Allerdings könnte die Ukraine den Chieftain für Treffer gegen feindliche Fahrzeuge einsetzen, die sich mehrere Kilometer entfernt befinden. Denn die Zielvorrichtung des britischen Kampfpanzers ist auch heute noch auf Höhe der Technik.
Mit einer ausreichenden Anzahl von Chieftains könnte die Ukraine vermutlich einige Wirkungstreffer gegen die russische Invasionsarmee landen. Eine Wunderwaffe, die die Gegenoffensive der Ukraine voranbringen kann, ist er allerdings nicht.
Allerdings gibt es noch keine Informationen darüber, welche Version der Kampfpanzer wann in die Ukraine geliefert werden. Der ukrainische Blogger Roman Bochkola hat dazu in seinem Video keine Informationen veröffentlicht, offiziell bestätigt wurde die Lieferung auch noch von keinem Land. Da die Chieftain-Panzer allerdings nicht mehr in der britischen Armee benötigt werden, halten Experten wie Nicholas Drummond es für sehr wahrscheinlich, dass die Ukraine die Panzer-Oldtimer in der nächsten Zeit erhalten wird.
- Twitterprofil @smartUAcat
- forbes.com: "Ukraine Could Get 60-Year-Old Ex-British Chieftain Tanks"
- reddit.com: "How does Chieftain compare to its contemporaries?"
- keymilitary.com: "All Hail the Chief?"