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Ukraine | Warum stockt die Gegenoffensive? "Es ist bizarr"


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Stand der Gegenoffensive
Jetzt setzt die Ukraine auf eine neue Strategie


03.07.2023Lesedauer: 5 Min.
UKRAINE-CRISIS/BAKHMUTVergrößern des Bildes
Ukrainische Soldaten bei Bachmut: In der Region finden besonders heftige Kämpfe statt. (Quelle: RFE/RL/SERHII NUZHNENKO)
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Die ukrainische Gegenoffensive läuft schleppend. Kriegsbeobachter sehen nun eine Änderung der Taktik.

Die ukrainische Vizeverteidigungsministerin bemühte sich am Montag gar nicht erst, die Zahlen schönzureden. 37 Quadratkilometer hätten die ukrainischen Streitkräfte in der vergangenen Woche im Süden und Osten von Russland zurückerobert, gab Hanna Maljar am Montag bekannt. Rund um die Stadt Bachmut seien neun Quadratkilometer befreit worden, an der Südfront 28 Quadratkilometer.

Als "schwer" bezeichnete Maljar die Kämpfe an der Ostfront. "Wir bewegen uns im Raum Bachmut voran, während der Feind weiterhin seinen Angriff in Richtung Lyman, Awdijiwka und Marjinka führt", schrieb sie. Mehr zur Lage in Bachmut in der Ostukraine lesen Sie hier. Auch im Süden gehe es für die Ukraine auf beiden Hauptangriffsachsen Richtung Melitopol und Richtung Berdjansk nur leicht voran.

Insgesamt seien seit Beginn der Offensive Anfang Juni in dem Gebiet 158,4 Quadratkilometer zurückerobert worden. Das entspricht einer Fläche, die etwas mehr als siebenmal so groß ist wie der Frankfurter Flughafen – also überschaubar.

Video | Karten zeigen, wo der ukrainische Vormarsch ins Stocken gerät
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Quelle: t-online

Maljars Angaben sind zwar nicht unabhängig nachprüfbar. Doch es passt zu dem, was Kriegsbeobachter seit längerem berichten: Die im Juni begonnene ukrainische Gegenoffensive kommt offenbar langsamer voran als geplant. Sie betonen auch, dass die Offensive sich immer noch in der Anfangsphase befinde und der Verlauf hinter dem Zeitplan liege.

Was geht tatsächlich in der Ukraine vor sich? Welche Taktik verfolgt das angegriffene Land. Und was bedeutet das für den Kriegsverlauf?

Ukraine passt Taktik an

Der US-Militäranalyst Phillips P. O'Brien sieht derzeit eine Taktikänderung. Die Ukraine greife nun auf breiterer Front an, berichtet er auf seiner Internetseite. "Sie drängen in einem weiten Bogen von Bachmut bis zur Dnipro-Front und machen in vielen dieser Gebiete langsame und stetige Fortschritte." Das zeigt ihm zufolge, dass sich die Ukraine einmal mehr dem Kriegsgeschehen anpasse. Diese Reaktionsschnelligkeit hatte der Ukraine seit Kriegsbeginn immer wieder geholfen.

Nun konzentriere sich die ukrainische Armee nicht mehr auf einzelne, große Attacken mit Panzern, sondern führe in einer Vielzahl von Gebieten kleinere Angriffe mit Infanterie durch, berichtet O'Brien. Das Ziel: die russischen Streitkräfte schwächen und aufreiben.

Damit könnte die Ukraine so lange fortfahren, bis sie einen neuerlichen Panzerdurchbruch wagt. Diese Kursänderung geht dem Professor für Strategische Studien zufolge auch darauf zurück, dass die Ukraine beträchtliche Panzerverluste hinnehmen musste.

Am Montag hatte Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu die Zerstörung ukrainischer und westlicher Panzer vermeldet, darunter 16 Leopard-Modelle, die teils aus Portugal stammen sollen. Außerdem will Russland 15 Flugzeuge und drei Hubschrauber zerstört haben. Auch diese Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig prüfen.

Was aber aus Sicht des Forschers O'Brien für die Ukraine spricht: Bei ihrer Armee soll noch ein Großteil des für die Offensive vorgesehenen Personals einsatzbereit und unversehrt zur Verfügung stehen. Sogar bis zu 80 Prozent, schreibt O'Brien. "Soweit wir wissen, befinden sich diese Kräfte noch in der Reserve und in der Ausbildung."

Auch gehe die Ukraine umsichtiger mit ihrem Personal um. Russischen Einheiten wird nachgesagt, dass sie teilweise als Kanonenfutter verheizt werden. Jedoch gibt es nun auch Einschätzungen, dass die russische Kampfesmoral nach dem Aufstand durch die Söldnergruppe Wagner in Russland wieder gestiegen sein soll.

Die Luftabwehr ist kritisch

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba machte drei Faktoren für das langsame Vorankommen aus: In einem Interview mit der "Bild"-Zeitung sagte er Ende vergangener Woche, neben dem Regen, der Angriffe unterbreche, erschwere besonders die russische Luftüberlegenheit die Offensive.

Russlands Einsatz von Kampfhubschraubern und schwer bewaffneten Kampfflugzeugen habe die Ukraine überrumpelt. "Das hat schon Spuren in unserer Gegenoffensive hinterlassen." Die Luftabwehr der Ukraine sei im Vergleich zudem nicht gut genug ausgestattet. Er wiederholte daher seine Forderung nach Lieferungen westlicher Kampfjets. Davon erhofft sich die Ukraine neben mehr Schlagkraft auch den Schutz der eigenen Bodentruppen, aber auch der kritischen Infrastruktur.

Forscher O'Brien zeigt deswegen wenig Verständnis für derzeitige Kritik an der Offensive. "Es ist bizarr, wenn Menschen die Ukrainer dafür kritisieren, dass sie 'langsam' vorgehen. Das tun sie nicht – sie tun, was sie können." Das Tempo sei "weder schnell noch langsam – es ist das Tempo der Operationen, das von den Waffen diktiert wird, die die Ukraine erhalten hat". Die stünden vor allem für den Frontalangriff zur Verfügung, ausreichend Fernkampfwaffen würden nicht geliefert.

Das Problem mit den Minen

Außenminister Kuleba zufolge sind außerdem die von Russland großflächig verminten Gebiete ein großes Problem. Die Minen würden immer wieder Soldaten gefährden, sagte er. "Sie müssen buchstäblich 200, 300 Meter auf dem Bauch krabbeln und einen Korridor von den Mienen freiräumen, um dann den Gegenschuss vorzubereiten."

Das Räumen der Personen- aber auch der Panzerminen nimmt generell viel Zeit in Anspruch und bindet viel Personal. Nach Angaben des Staatlichen Notfalldienstes der Ukraine soll Russland bis zu 30 Prozent der Ukraine vermint haben – eine Fläche etwa doppelt so groß wie Österreich. Das ist nicht nur für den laufenden Krieg eine Herausforderung, auch für die Nachkriegszeit erwartet das Land dadurch erhebliche Gefahren. Etliche Gebiete sind womöglich für Jahre unbewohnbar.

Außenminister Kuleba zufolge sind außerdem die von der russischen Armee errichteten Anlagen ein Hindernis. Die seien derart massiv gebaut, teils aus Stahlbeton, dass sie nur schwer zu erobern seien. Russland hält derzeit rund 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets besetzt. Insgesamt sind das allein im Süden der Ukraine mehr als 45.000 Quadratkilometer – ohne die Krim und den bereits seit 2014 von Separatisten kontrollierten Teil des südlichen Donezk. Sämtliche Gebiete will die Ukraine mit westlicher Hilfe zurückerobern.

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"Westliche Flugzeuge werden am ukrainischen Himmel kämpfen"

Um von einem Scheitern der Offensive zu sprechen, ist es daher Expertinnen und Beobachtern zufolge zu früh. Der Politikanalyst Alexander Dubowy sagte t-online jüngst, erste Tendenzen könne man erst in einigen Wochen erwarten, die tatsächlichen Ergebnisse aber wohl erst im Herbst.

Fakt ist: Auch die erste Großoffensive der Ukraine erstreckte sich über mehrere Wochen. Zwischen Ende September und Ende Oktober eroberte die Ukraine mehrere Städte im Norden der Region Cherson zurück, darunter Balaklija, Isjum und Lyman. Anfang November drängte die Ukraine die russischen Streitkräfte hinter das östliche Ufer des Dnipro zurück; am 11. November befreiten ukrainische Truppen Cherson.

Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich zum langsamen Vorankommen der ukrainischen Streitkräfte zwar verhalten, blieb aber optimistisch: "Die vergangene Woche war schwierig, aber wir machen Fortschritte. Wir kommen Schritt für Schritt voran", schrieb er unlängst bei Telegram. Und Außenminister Kuleba zeigte sich weiterhin selbstbewusst: "Ich sehe keinen Grund, warum sie nicht erfolgreich sein sollte." Er habe "keinen Zweifel, dass westliche Flugzeuge am ukrainischen Himmel kämpfen werden".

Verwendete Quellen
  • phillipspobrien.substack.com: "Weekend Update #35" (englisch)
  • bild.de: "Außenminister der Ukraine stinksauer | 'Was Orban sagt, ist nur 'Blablabla''"! (Video)
  • hrw.org: "Ukraine verspricht Untersuchung des verbotenen Einsatzes von Antipersonenminen"
  • swissinfo.ch: "Minenräumung in der Ukraine – mit Schweizer Hilfe"
  • spiegel.de: "30 Prozent der Ukraine angeblich vermint"
  • ft.com: "F-16s might not win Ukraine’s war, but they promise a more equal fight" (englisch)
  • tass.ru: "Шойгу: ВС РФ уничтожили почти все танки Leopard, поставленные ВСУ Польшей и Португалией" (russisch)
  • Twitter: Manuel Schwalm
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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