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"Oh Gott, da ist Putin!" – Russlands Machthaber posiert für Selfie


Strategiewechsel im Kreml
"Oh Gott, da ist Putin!" – Machthaber posiert für Selfie

Von t-online, cc

Aktualisiert am 30.06.2023Lesedauer: 3 Min.
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28. Juni 2023: Putin mit jungem Fan im dagestanischen Derbent. (Quelle: reuters)

Nach dem gescheiterten Putsch versucht Wladimir Putin offenbar den Eindruck der Normalität zu erwecken. Dass er dafür nach Dagestan fährt, hat gleich mehrere Gründe.

Eigentlich scheut Wladimir Putin öffentliche Auftritte. Nur selten mischte er sich in den vergangenen 16 Monaten seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine unter das russische Volk. Im Fernsehen ist er omnipräsent, hier und da mal ein Besuch im Krankenhaus oder in einer Munitionsfabrik, doch ansonsten lässt sich der Kremlherrscher von seinen Sicherheitskräften hinter dicken Mauern abschirmen.

Nun zeigte sich der 70-jährige Machthaber bei mehreren Gelegenheiten der Öffentlichkeit, stets begleitet von einem Presseteam des Kremls. So reiste er in die im Süden Russlands gelegene autonome Republik Dagestan, die jedoch faktisch von der russischen Zentralregierung abhängig ist. Dort mischte er sich unter die lokale Bevölkerung in der Stadt Derbent, schlürfte lokalen Brandy und fachsimpelte über den Tourismus in der geplagten Kaukasusregion.

"Oh mein Gott, da ist Wladimir Putin", rief ein Mädchen laut der Zeitung "New York Times" begeistert. Der Angesprochene stellte sich daraufhin zu einem Selfie auf und ließ sich bereitwillig fotografieren. Im Gegensatz zu Auftritten in den vergangenen Jahren seit Beginn der Corona-Pandemie wich Putin dabei vom strengen Protokoll ab. Normalerweise müssen alle, die sich ihm nähern, vorher mindestens 14 Tage in Quarantäne. Auch hält er Distanz zu größeren Menschenmengen.

Risse im Machtgefüge der Moskowiter Eliten

Doch Putin braucht solche Bilder derzeit offenbar dringend. Sie sollen zeigen, dass der autoritäre Herrscher immer noch beliebt ist beim Volk. Nach dem gescheiterten Putschversuch durch die Gruppe Wagner unter Söldnerchef Jewgeni Prigoschin am vergangenen Wochenende erscheint das Regime in Moskau zunächst angeschlagen. Nach Meinung vieler Experten zeigen sich deutliche Risse im auf Putin zugeschnittenen Machtgefüge der russischen Eliten.

Den Eindruck, Putin sei geschwächt, versucht der Kreml unter allen Umständen zu zerstreuen. "Auf der einen Seite gibt es den Rat der Spezialisten", sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag vor Reportern in Anspielung auf das Bad des Potentaten in der Menge. "Auf der anderen Seite gibt es den nachdrücklichen Willen des Präsidenten, sich den Menschen nicht zu verweigern."

Indem Putin Nähe zum Volk demonstriert, sendet er gleich mehrere Signale. Zum einen innenpolitisch, denn seine Gegner sollen sehen, wie populär er trotz des Krieges, der wirtschaftlichen Sanktionen des Westens und der umstrittenen Einberufungen zum Militärdienst immer noch ist. Zum anderen aber auch ins Ausland. Die westlichen Verbündeten der Ukraine sollen nicht glauben, dass der Mann im Kreml wackelt, sondern fest im Sattel sitzt und sich nicht etwa aus Furcht vor einem Umsturz in einem St. Petersburger Bunker verbarrikadiert, wie angesichts des Wagner-Aufstand spekuliert worden war.

Dass Putin nun ausgerechnet nach Dagestan reist, könnte aber noch einen weiteren Grund haben. Die Kaukasusrepublik zählt zu den ärmsten Regionen der Russischen Föderation. Das Pro-Kopf-Einkommen ist niedrig, die Politik von Korruption geprägt. Als "Russlands Problemrepublik" bezeichnete die Berliner Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik Dagestan.

Witze mit den Teilnehmern einer Tech-Messe

Oft ist die Armee für viele Familien in Dagestan der einzige Ausweg, um ein reguläres Einkommen zu erzielen. Es wundert daher nicht, dass die Zahlen der im Ukraine-Krieg gefallenen Soldaten aus dieser Region höher sind als anderenorts in Russland. So starben zehnmal mehr Männer aus Dagestan an der Front in der Ukraine als Männer aus Moskau. Zuletzt hatte es sogar Proteste gegen die Mobilisierung in der überwiegend von Muslimen bewohnten Kaukasusrepublik gegeben. Dabei wurden mehr als hundert Menschen festgenommen.

Putins Besuch am Mittwoch dient daher wohl auch dazu, die Wogen in Dagestan zu glätten. Zugleich kann er sich als Volkstribun inszenieren. Ein Putschversuch? Russische Söldner, die russische Soldaten töten? Verschwundene Generäle und ein mutmaßlicher Machtkampf in der Militärführung? Das alles scheint für Wladimir Putin kein Problem zu sein, so suggerieren es jedenfalls die Bilder.

Am Donnerstag nahm Putin gleich den nächsten Termin wahr. Diesmal auf einer Messe für Technologieprodukte. Dort setzte sich der Machthaber in einen speziellen Sessel, wie ihn Videospieler benutzen und ließ sich über die neueste Gesichtserkennungssoftware aufklären. Er witzelte sichtlich gut gelaunt mit Teilnehmern der Messe herum.

Zudem nahm er an einem Forum teil, das den Titel "Starke Ideen für eine neue Welt" trug. Auch hier lautete die Botschaft wohl: business as usual – alles im grünen Bereich beim Kriegsherren. Als ob nicht in der Ukraine jeden Tag Hunderte russische Männer sterben und in Städten wie Kramatorsk und Cherson gerade ein Dutzend Zivilisten von russischen Raketen zerfetzt wurden.

Verwendete Quellen
  • bbc.com: "Ukraine war: Protests in Russia's Dagestan region against new draft" (englisch)
  • nytimes.com: "As Putin Poses for Selfies, U.S. Says Russia May Have Detained a Top General" (englisch)
  • swp-berlin.org: "Dagestan: Russia’s Most Troublesome Republic"
  • tagesspiegel.de: "Putins Bad in der Menge in Dagestan befeuert erneut Doppelgänger-Diskussion"
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