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Kachowka-Staudamm gesprengt: Katastrophale Folgen für die Ukraine drohen


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Dammbruch in der Ukraine
"Die Zerstörung wird gewaltig sein"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 07.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Überflutung in Nowa Kachowka: Der Ort befindet sich in direkter Nähe zu dem gebrochenen Damm. (Quelle: Alexei Konovalov/imago-images-bilder)
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Was kann die Ukraine jetzt tun, um den Schaden durch den Dammbruch möglichst klein zu halten? Ein Katastrophenforscher gibt Antworten.

"Etwas, das eine neue Dimension hat" – so nannte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das, was am frühen Dienstagmorgen in der Ukraine vorgefallen war: Durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden des Landes strömen Wassermassen unkontrolliert auf die Stadt Cherson zu.

Während sich Russland und die Ukraine gegenseitig die Schuld an dem Dammbruch geben, hat für Tausende Bewohner der Region ein Wettlauf mit der Zeit begonnen. Wolf Dombrowsky, der seit Jahrzehnten zu Katastrophen forscht, befürchtet, dass ganze Regionen geflutet werden könnten. Im Gespräch mit t-online redet Dombrowsky über das mögliche Ausmaß der Zerstörung, worauf es in den nächsten Stunden ankommt und warum er trotzdem glaubt, dass viele Menschen gerettet werden könnten.

t-online: Herr Dombrowsky, der Kachowkaer Stausee ist einer der größten in Europa. Gibt es so etwas wie eine Blaupause, was zu tun ist, wenn ein solcher Damm bricht?

Wolf Dombrowsky: Dieser See ist ein Verbund aus insgesamt sechs Stauseen mit einem Fassungsvermögen von 18 Milliarden Kubikmetern auf einer Fläche von 2.200 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Die Edertalsperre in Hessen, die zu den größten in Deutschland zählt, hat eine Ausdehnung von 11,8 Quadratkilometern und trägt 199 Millionen Kubikmeter. Das ist winzig klein, wenn man daneben den ukrainischen Stausee betrachtet.

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Was bedeutet das?

Im Zweiten Weltkrieg wurden 1943 mehrere deutsche Talsperren von den Briten bombardiert. Durch die Fluten sollen bis zu 1.600 Menschen umgekommen sein. Wenn jetzt solch große Wassermassen wie in der Ukraine in Bewegung kommen, dann sind die Oblasten Cherson und Saporischschja gefährdet. Ganze Regionen werden unter Wasser stehen.

(Quelle: privat)

Zur Person

Prof. Dr. Wolf Dombrowsky, Jahrgang 1948, ist seit 2008 Professor für Katastrophenmanagement an der Steinbeis-Hochschule in Berlin. Davor leitete er unter anderem von 2002 bis 2008 die Katastrophenforschungsstelle des Instituts für Soziologie der Universität Kiel.

Von ukrainischer Seite heißt es, dass etwa 16.000 Menschen in bis zu 80 Ortschaften betroffen sind. Am Morgen hieß es, dass der Wasserstand innerhalb von fünf Stunden eine kritische Höhe erreichen wird. Kann man in dieser Zeit so viele Menschen aus dem Gefahrenbereich in Sicherheit bringen?

Der See hat eine Tiefe von ungefähr 30 Metern. Das hat den Vorteil, dass die Strömung nicht besonders stark ist. Die Chancen stehen also gut. Die meisten Menschen dürften gerettet werden. Trotzdem bleibt ein enormer Schaden für die Ukraine: Die Zerstörung wird gewaltig sein. Auch die Landwirtschaft wird leiden.

Worauf kommt es jetzt besonders an?

Entscheidend ist die Infrastruktur. Die ukrainische Bevölkerung ist ja ohnehin in ständiger Alarmbereitschaft. Durch das Kriegsrecht arbeiten Militär und Katastrophenschutz schon jetzt eng zusammen. Aber die Rettungs- und Aufräumarbeiten werden extrem viele Kräfte binden.

Sie meinen auch Soldaten, die eigentlich an der Front kämpfen sollten?

So ist es. Vermutlich müssen Transportfahrzeuge genutzt werden, die sonst eigentlich das Militär nutzt. Diese Katastrophe hat das Potenzial, die ukrainische Armee in eine Krise zu stürzen. Das könnte die Sommeroffensive belasten, wenn nicht sogar zum Stillstand bringen.

Wie werden die ersten Stunden in der Katastrophenhilfe ablaufen, nachdem die Orte überflutet sind?

Als Erstes brauchen die Betroffenen Essen, Trinken und eine Unterkunft. Das wird eine enorme Bewährungsprobe. Selbst ein Land, das sich nicht im Krieg befindet, kann bei dieser Größenordnung Probleme bekommen.

Alleine wird das die Ukraine wohl ohnehin nicht bewältigen können.

Auf gar keinen Fall. Das überfordert die Ukraine und ihren Katastrophenschutz. Ich kann nur hoffen, dass die internationale Gemeinde schnell ihre Hilfe anbietet.

Video | Ukraine: Russische Truppe sprengen Staudamm in Cherson
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Quelle: t-online

Die Ukraine hatte schon vor einigen Monaten davor gewarnt, dass Russland möglicherweise den Damm sprengen könnte. Auch die Wasserversorgung auf der besetzten Krim könnte dadurch beeinträchtigt werden. Wird das für Russland jetzt ein Problem?

Ob aus den höher gelegenen Stauseen Trinkwasser umgeleitet werden kann, weiß ich nicht. Wenn die Wasserversorgung ausfällt, lässt sich das zuerst nur mit Tankwagen lösen. Allerdings sind durch die Fluten die Böden aufgeweicht, wodurch die Straßen schlecht befahrbar sind.

Der Schlamm könnte auch später zu einem Problem werden, wenn er aushärtet.

Nach wenigen Tagen wird der hart wie Beton. Deswegen muss er mit schwerem Gerät rechtzeitig entfernt werden. Danach kommen weitere Probleme hinzu: Die Seuchengefahr wird steigen und es wird zu einer Mückenplage kommen.

Am Fluss Dnepr liegt auch das Atomkraftwerk Saporischschja. Aktuell sehen Behörden keine größere Gefahr, da das Atomkraftwerk flussaufwärts liegt und nicht geflutet wird. Kann das Wasser trotzdem ein Problem werden?

Im Augenblick sehe ich dort kein größeres Risiko. Die Katastrophe von Fukushima hat uns allerdings gezeigt, dass solche Überschwemmungen Kühlprobleme verursachen können. Die Kühlung bereitet bisher aber keine Probleme.

Wie lange wird der Katastrophenschutz mit den Rettungs- und Aufräumarbeiten beschäftigt sein?

Generell sind die Folgen einer solchen Katastrophe schwer absehbar: Das kann drei Monate oder drei Jahre dauern. Entscheidend ist, wie schnell das Wasser versickert und die Aufräumarbeiten beginnen. Wir wissen noch nicht, wie viele Häuser nach der Katastrophe überhaupt noch bewohnbar sein werden. Im Ahrtal dauern die Arbeiten nach der Flutkatastrophe jetzt fast zwei Jahre.

Herr Dombrowsky, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Wolf Dombrowsky
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