Vorbereitung auf ukrainische Offensive Die russischen Verteidiger lauern in sechs Linien
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wie bereitet sich Russland auf die ukrainische Gegenoffensive vor? Ein Experte offenbart die Taktik hinter der langen Frontlinie.
Seit Wochen diskutieren Experten darüber, wann die Gegenoffensive der ukrainischen Armee beginnt – und vor allem, wo sie startet. Insbesondere der letzte Punkt dürfte auch die russische Militärführung interessieren. Denn die muss die eroberten Gebiete in der Ukraine gegen die Offensive verteidigen.
Dazu hat Russlands Armee unzählige Schützengräben und Befestigungsanlagen gebaut. Sie bestehen aus mehreren Zonen und erstrecken sich teils über Dutzende Kilometer entlang der mehr als 800 Kilometer langen Frontlinie.
Das Ausmaß der Verteidigungsanlagen zeigt der Reserveoffizier der finnischen Armee und Osint-Spezialist Pasi Paroinen. Er zeigt am Beispiel der etwa 20 Kilometer breiten Verteidigungslinie zwischen den Städten Robotyne und Tokmak im Oblast Saporischschja, wie weit sich die russischen Befestigungen hinter den Frontlinien erstrecken.
Osint
Open Source Intelligence (OSINT) sind sicherheitsrelevante Informationen, die aus frei verfügbaren offenen Quellen gesammelt werden, wie etwa Sozial- und Berufsnetzwerke, Nachrichten oder Webseiten. Auf den unterschiedlichen Informationen werden mithilfe entsprechender Analysetools verwertbare Erkenntnisse gewonnen.
Russische Verteidigung besteht aus fünf Zonen
Laut Paroinens Ausführung beginnt die erste Verteidigungszone etwa drei Kilometer hinter der Front. Sie besteht aus keiner durchgehenden Linie, sondern vor allem aus kleinen Außenposten. Direkt dahinter beginnt die Zone 2. Sie ist die erste richtige Verteidigungslinie aus Schützengräben, die verschiedene Stützpunkte miteinander verbindet.
In der Zone 3 haben die Russen Paroinen zufolge Reservetruppen und mögliche Täuschungspositionen postiert. Außerdem soll sich dort ein Großteil der russischen Artilleriestellungen sowie Unterstände befinden, unter denen die Russen ihre Fahrzeuge parken.
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Minenfelder in der Hauptverteidigungslinie?
Danach folgt die Hauptverteidigungslinie in Zone 4. Sie ist durchzogen von Schützen- und Panzerabwehrgräben. Auch Panzersperren aus Beton, sogenannte Drachenzähne, sollen dort laut Paroinen zu finden sein. Der Experte vermutet außerdem, dass die Russen dort Minen verlegt haben.
Dahinter folgen die Zonen 5 und 6: Eine vergleichsweise schmale Zone mit Rückzugspositionen und die von Schützengräben und weiteren Stützpunkten umgebene Stadt Tokmak.
Natürlich bezieht sich Pasi Paroinen nur auf einen kurzen Frontabschnitt – ob die gesamte, 800 Kilometer lange Front in diesem Ausmaß zur Festung ausgebaut sei, stellt der Experte infrage. "Manche Gebiete könnten noch nicht vollständig befestigt sein", erklärt er in einem weiteren Tweet.
Kann Russland Verteidigung?
Ein weiterer Faktor bei der Frage, ob Russland seine Eroberungen an der Frontlinie verteidigen kann, ist die schiere Manpower, die es zur Verteidigung der Befestigungen braucht. Thomas Theiner, der ehemalige Kommandant der italienischen Gebirgsjäger, geht von bis zu 540.000 Soldaten aus, die Russland bräuchte, um die Front auf ihrer Gesamtlänge zu verteidigen.
Ob wirklich so viele Soldaten nötig sind, ist fraglich – vor allem, weil die Ukraine nicht auf 800 Kilometern angreifen wird, sondern ihre Kräfte eher an bestimmten Positionen bündelt.
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