"Dicken Punkt setzen" Kriegsende? Verwirrung um Aussagen des Wagner-Chefs
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin erregt mit einem seiner Blogeinträge Aufsehen. Experten sehen darin allerdings keine Forderung nach einem Kriegsende.
Die Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) widerspricht der Interpretation mehrerer Medien, dass der Chef der berüchtigten Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, ein Ende der russischen Invasion in der Ukraine gefordert habe.
Vor allem viele ukrainische Medien verwiesen am Wochenende auf einen Blogeintrag des 61-Jährigen, in dem es heißen soll: "Für die Staatsmacht und für die Gesellschaft ist es heute notwendig, irgendeinen dicken Punkt hinter die militärische Spezialoperation zu setzen." Auch nach mehr als einem Jahr bezeichnen Russlands kremltreue Kreise den Krieg in der Regel noch immer nur als "militärische Spezialoperation".
Weiter soll es in dem am Freitag von Prigoschin veröffentlichten Text heißen: "Die ideale Variante wäre, das Ende der militärischen Spezialoperation zu verkünden und zu erklären, dass Russland alle seine geplanten Ziele erreicht hat – und in gewisser Hinsicht haben wir sie ja auch wirklich erreicht." Und: "Für Russland besteht immer das Risiko, dass die Situation an der Front sich nach dem Beginn der (ukrainischen) Gegenoffensive verschlechtern kann." Experten rechnen in den kommenden Wochen mit einer ukrainischen Offensive.
ISW widerspricht: Prigoschin ruft zu entschlossenem Kampf auf
Der US-Think Tank macht für die falsche Lesart auch Fehler bei der Übersetzung verantwortlich: "Viele der Nuancen, die in Prigoschins Rede enthalten sind, gehen bei der Übersetzung vom Russischen ins Englische verloren." Den ISW-Experten zufolge handle es sich bei der Forderung nach dem Kriegsende lediglich um ein rhetorisches Gegenargument, das der Wagner-Chef versuche, zu widerlegen – ein Strohmann-Argument, das er Russlands "inneren Feinden" zuschreibe, die Russland zur Beendigung des Krieges bewegen wollen. In seinem Blogeintrag wolle Prigoschin diese angreifen und nicht unterstützen.
Stattdessen fordere Prigoschin Russland in dem Beitrag dazu auf, "sich zu einem entschlossenen Kampf zu verpflichten", der entweder die Ukraine besiege oder zu einer nur vorübergehenden russischen Niederlage führe, erklärt das ISW – welche dann die Voraussetzungen für einen künftigen russischen Sieg legen sollten. "Eine vollständige Lektüre von Prigoschins Essay (...) lässt keine vernünftige Interpretation zu, dass Prigoschin für ein Ende der russischen Invasion in der Ukraine plädiert."
Auch Prigoschin selbst stellt Hauptaussage klar
Der Wagner-Chef selbst ließ später über seinen Pressedienst erste Medienberichte kommentieren, die seine angebliche Forderung nach einem Kriegsende thematisierten. Die Hauptaussage seines Artikels sei gewesen, dass es einen "ehrlichen Kampf" geben müsse, stellte er klar.
Russland hat die Ukraine am 24. Februar 2022 überfallen. Das angegriffene Land hat als Bedingung für ein Kriegsende unter anderem den Rückzug aller russischen Truppen von seinem Staatsgebiet sowie die Rückeroberung aller besetzten Gebiete genannt.
Hinweis: Auch t-online hat in einer ersten Version dieses Artikels eine entsprechende Meldung der Nachrichtenagentur dpa übernommen. t-online hat den Text in der Zwischenzeit mit der Einordnung des "Institute for the Study of War" aktualisiert und berichtigt.
- Nachrichtenagentur dpa
- understandingwar.com: "Russian Offensive Campaign Assessment, April 15, 2023" (englisch)