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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Heftige Kämpfe im Donbass "Und das würden die Russen schaffen"
Besonders im Osten kämpft die Ukraine erbittert gegen russische Angriffe. Im Fokus derzeit: die Kleinstadt Soledar. Was ihre Eroberung für den Kriegsverlauf bedeuten würde, erklärt Militärexperte Gerhard Mangott.
Wochenlang gab es kaum ein Vor und Zurück, weder ukrainische noch russische Truppen erzielten nennenswerte Fortschritte entlang der Frontlinie in der Ukraine. Nun spitzt sich die Lage um die Stadt Soledar im Osten des Landes zu. Dort liefern sich beide Seiten einen erbitterten Häuserkampf.
Meldungen, wonach Söldner der berüchtigten "Wagner-Gruppe" die Stadt eingenommen haben wollen, bestätigten sich am Nachmittag nicht. Sowohl von offizieller russischer als auch ukrainischer Seite hieß es, es werde weiter gekämpft. Soledar – eigentlich eine kleine Stadt in der Region Donezk – ist in ihrer Bedeutung für den Krieg sehr groß geworden.
Die "Wagner-Gruppe" will Soldaten als Kriegsgefangene genommen haben. 500 Zivilistinnen und Zivilisten sollen sich noch in der Kleinstadt befinden, ihr Schicksal ist ungewiss. Wie aber konnte es so weit kommen? Und was würde eine Eroberung für den Kriegsverlauf bedeuten? Der Politikwissenschaftler Gerhard Mangott sieht im Interview mit t-online jetzt eine weitere Stadt in Gefahr.
t-online: Soledar soll kurz vor der Einnahme der russischen Armee stehen. Wie konnte es so weit kommen?
Gerhard Mangott: Russland hat wirklich sehr viel Material und Personal in die Kämpfe um Soledar geschickt. Dort sind reguläre Soldaten, aber auch Soldaten der Söldner-Gruppe "Wagner" beteiligt. Denn dieser Ort ist sehr wichtig für die russische Armee. Es handelt sich aus ihrer Sicht um einen Schritt in die Richtung: Bachmut.
Soledar ist eigentlich eine kleine Stadt. Warum ist die Einnahme für die Russen so wichtig?
Die Serie von Rückschlägen, die Russland in den letzten Monaten verzeichnet hat, könnte dieser mögliche Sieg nicht rückgängig machen – bei Weitem nicht. Aber es wäre ein symbolischer Erfolg: Die russische Armee könnte zeigen, dass sie doch noch erfolgreich kämpfen und neues Territorium gewinnen kann. Daran hätte die Söldnertruppe "Wagner" großen Anteil. Das würde in Russland das Ansehen dieser Gruppe deutlich steigern.
Soledar wäre also ein Etappensieg.
Genau. Das Ziel Russlands ist, die gesamte Region Donezk einzunehmen. Dafür ist die Eroberung von Soledar zwingend notwendig und dafür wird auch die Einnahme der Zwillingsstadt Bachmut zwingend notwendig sein. Russland erhebt durch die Annexion der Republik rechtlichen Anspruch auf die gesamte Region Donezk, dieser Anspruch soll auch militärisch durchgesetzt werden.
Wie gefährdet ist Bachmut jetzt durch die Kämpfe um Soledar?
Eine Einnahme von Soledar würde mitnichten bedeuten, dass die Einnahme von Bachmut nur noch eine Frage der Zeit ist. Natürlich weiß man auf ukrainischer Seite um die Bedeutung von Bachmut. Seit Monaten verteidigt die ukrainische Armee die Stadt. Die Ukraine wird jetzt alles tun, um Bachmut zu halten. Denn sollte die Stadt fallen, wäre ein erster Verteidigungswall durchbrochen. Damit stiege die Bedrohung für den zweiten Verteidigungswall der Region: Slowjansk und Kramatorsk.
Gerhard Mangott ist Professor für Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum an der Universität Innsbruck.
Seit Wochen gab es wenig Vor und Zurück an den Frontlinien. Jetzt spricht der Kreml von einer "positiven Dynamik". Brächte der Durchbruch für Russland die Kriegswende?
Ein Durchbruch von Soledar wäre definitiv nicht kriegsentscheidend. Es würde nicht bedeuten, dass die russische Seite nur noch auf dem Vormarsch ist und die Ukraine in der Defensive. Der Kampfraum dort ist militärisch, logistisch und symbolisch wichtig. Der Krieg wird auch dort entschieden, aber nicht nur dort. Die Frontlinie ist viel, viel länger. Sie zieht sich mehr als 1.000 Kilometer vom Süden bis in den Osten der Ukraine.
Die zweite Verteidigungslinie haben Sie erwähnt: Slowjansk und Kramatorsk. Die beiden Städte liegen wenige Kilometer von Soledar entfernt, auf ukrainisch kontrollierter Seite. Was ist an ihnen entscheidend?
In Kramatorsk und Slowjansk ist der Sitz des Oberkommandos der ukrainischen Streitkräfte für den Donbass. Und es ist eben ein politisches Ziel, die gesamte Provinz Donezk zu besetzen, aus russischer Sicht, so wird es genannt, zu "befreien". Aber: Russland hält im Augenblick etwa 56 Prozent des Territoriums dieser Provinz, die restlichen Teile, also fast die Hälfte, werden weiter von der Ukraine kontrolliert. Die Ukraine konzentriert viele Kräfte in Slowjansk und Kramatorsk. Es ist sehr, sehr schwierig bis unmöglich, diese beiden Städte einzunehmen. Trotzdem versucht Russland, diesem Ziel zumindest näherzukommen. Und das würden die Russen schaffen, sollten sie Soledar erobern.
Um solche Rückschläge in Zukunft zu verhindern: Wie müsste der Westen seine Unterstützung für die Ukraine ändern?
Frankreich, Deutschland und die USA haben sich nun entschlossen, Schützenpanzer zu liefern, in überschaubarer Zahl. Diese Panzer sind wichtig, um ukrainische Infanterie an die Frontlinie zu transportieren. Aber für eine erfolgreiche Gegenoffensive der ukrainischen Seite sind Kampfpanzer erforderlich. Kampfpanzer westlicher Bauart. Die Ukraine hat natürlich Kampfpanzer, aber vor allem T-72-Panzer aus sowjetischer Produktion.
Die Ukraine will die Gebiete, die Russland seit Februar besetzt hat, zurückerobern. Dafür sind Kampfpanzer erforderlich. Und deswegen fordert die Ukraine vehement Leopard-2-Panzer aus Deutschland und zwölf anderen europäischen Ländern. Aus den USA fordert sie Abrams-Kampfpanzer. Ohne den Leopard-Panzer wird es nicht gehen. Selbst wenn diese Kampfpanzer geliefert werden, ist noch nicht garantiert, dass die Rückeroberung klappt. Aber ohne Kampfpanzer wird das nicht möglich sein.
Herr Mangott, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Telefoninterview mit Gerhard Mangott am 11. Januar 2023