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Sabotage auf der Krim? "Das ist nicht wie bei James Bond"


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Zerstörte Kampfjets auf der Krim?
"Das wäre ein großer Rückschlag für Putin"


Aktualisiert am 11.08.2022Lesedauer: 6 Min.
Rauch über dem Krim-Strand: Russische Touristen ergriffen am Dienstag panisch die Flucht.Vergrößern des Bildes
Rauch über dem Krim-Strand: Russische Touristen ergriffen am Dienstag panisch die Flucht. (Quelle: AP/dpa)
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Heftige Explosionen erschütterten die Krim am Dienstag. Um die Ursache ranken sich Gerüchte. War es ein Unfall oder ein ukrainischer Angriff?

Sonnenschein, Meeresrauschen und plötzlich heftige Explosionen: Russische Touristen, die am Dienstag auf der Krim am Strand des Schwarzen Meeres lagen, wurden aufgeschreckt. Auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt Saki ereigneten sich mehrere Detonationen, laut Augenzeugen sollen es mindestens zwölf gewesen sein. Schnell standen hohe Rauchwolken über der von Russland annektierten Halbinsel. Doch auch einen Tag später ist noch unklar, wer für die Zerstörung auf dem Militärgelände verantwortlich ist.

Was war geschehen? Am Dienstagnachmittag war nach russischen Angaben auf dem russischen Stützpunkt nahe dem Ort Nowofjodorowka ein Munitionsdepot explodiert. In den sozialen Medien kursierten rasch Videos, die Detonationen und Rauchwolken an mindestens zwei Stellen zeigen, zum Teil wohl aufgenommen im nahegelegenen Badeort Jewpatorija. Aber die Detonation von Munitionsdepot konnte zunächst nicht bestätigt werden.

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Am Mittwoch wurde der Notstand über die Halbinsel verhängt. Mindestens 252 Bewohner des benachbarten Kurorts Nowofjodorowka sollen in Notunterkünfte umgesiedelt werden, berichtet die russische Nachrichtenagentur Interfax. Nachdem es zunächst geheißen hatte, es habe keine Verletzten gegeben, wird mittlerweile von vierzehn Verletzten ausgegangen, ein Mensch soll gestorben sein.

Zur Ursache der Explosionen gibt es bisher nur Spekulationen. Nach bisherigen Erkenntnissen verfügte die ukrainische Armee derzeit nicht über Raketen mit entsprechender Reichweite – die Truppen sind über 200 Kilometer entfernt. Das ukrainische Verteidigungsministerium teilte am Dienstag mit, es könne nichts zur Ursache der Detonationen sagen – es bestehe aber die Gefahr, dass Russland Beweise für einen angeblichen ukrainischen Angriff fälsche. Russland hingegen spricht von einem Unfall.

War es ein Unfall?

Noch am Dienstagabend hieß es von einer Quelle im russischen Verteidigungsministerium, es gebe keinen Hinweis, dass die Explosionen durch einen Einfluss von außen ausgelöst wurden. Die wahrscheinlichste Ursache sei ein Verstoß gegen die Brandschutzregeln auf dem Stützpunkt. Doch an dieser Darstellung gibt es große Zweifel.

Russland- und Militärexperte Gustav Gressel hält einen Unfall für sehr unwahrscheinlich. "Die Basis von Saki ist relativ groß und frisch ausgebaut", sagt er zu t-online. Es gebe zwei Munitionsdepots, dazu ein Treibstofflager. "Alle drei sind in die Luft gegangen." Hätte es einen Unfall in einem der Depots gegeben, wären die anderen beiden eigentlich weit genug entfernt gewesen, um eine Kettenreaktion zu verhindern. "Jemand muss mit einem koordinierten Angriff für die Explosion aller drei Einrichtungen gesorgt haben", so Gressel.

(Quelle: European Council on Foreign Relations)

Gustav Gressel ist Senior Policy Fellow beim European Council On Foreign Affairs in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Russland, Osteuropa und bewaffnete Konflikte.

Schon als im April mit der "Moskwa" das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte sank, nannte das Verteidigungsministerium in Moskau einen Brand als Grund, welcher Munition zum Explodieren gebracht habe. Allerdings gilt es als sicher, dass die Ukraine das Schiff versenkt hat.

Der Kreml räumt traditionell keine Kampferfolge der Gegenseite ein – dem US-amerikanischen Institute for the Study of the War zufolge hat das in diesem Fall wohl Imagegründe: Moskau müsste in dem Fall einräumen, dass die russische Luftabwehr versagt habe, teilte das Institut in seiner Analyse mit.

Haben Saboteure den Stützpunkt gesprengt?

Eine zweite Theorie geht von einem Sabotageakt aus: Ukrainische Spezialkräfte hätten die Truppen auf dem Stützpunkt infiltriert und die Explosionen vor Ort verursacht, schreibt die "Washington Post" unter Berufung auf einen ukrainischen Offiziellen.

Militärexperte Gressel glaubt auch das nicht: Die Munitionsdepots seien unterirdisch angelegt. "Man sieht auf den Videos sehr dunkle Rauchwolken", erklärt er. "Das spricht dafür, dass viel Erde mit in die Luft gegangen ist." Auch dass es zwei Rauchwolken gegeben habe, passe zu den Positionen der beiden Munitionsdepots. Für einen Sabotageakt hätte es laut dem Experten aber ein großes Team und viel Sprengstoff gebraucht. "Dass das bei der Paranoia der Russen unbemerkt bleibt, glaube ich nicht", sagt er.

"Es ist nicht so einfach, in eine Luftwaffenbasis einzudringen und dort mehrere Einrichtungen gleichzeitig in die Luft zu sprengen", sagt er. "Das ist nicht wie bei James Bond, wo ein Geheimagent mit dem Explosions-Kaugummi kommt, und dann fliegt alles in die Luft."

Ein ukrainischer Angriff – mit einer unbekannten Waffe?

Einen Angriff der Ukrainer von außen hält der Militärexperte für die wahrscheinlichste Variante – auch wenn diese bisher jegliche Verantwortung von sich weisen. "Natürlich werden die Ukrainer den Russen das nicht auf die Nase binden. Sonst könnten sich die Russen ja für das nächste Mal besser vorbereiten", erklärt er.

Der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowytsch sprach inoffiziell bereits von einem Angriff mit einer neuen ukrainischen Waffe. Daran glaubt auch Gressel. Die Ukrainer hätten ein Raketenprogramm, das die russischen Iskander-Raketen nachbauen solle. Die Flugkörper laufen unter dem Namen Grom-2. "Wenn die einsatzfähig wären, wären sie in der Lage, solche Explosionen zu verursachen", so der Experte.

Der Angriff scheint gut vorbereitet gewesen zu sein: Die Raketen schlugen wohl ungestört ein, die russische Luftabwehr reagierte nicht. Auch das spreche für einen Einsatz der Grom-2, denn davon habe die Ukraine nicht viele, erklärt Gressel. Das Werk, in dem sie produziert werden, sei von den russischen Truppen angegriffen worden. "Das heißt, die Ukraine muss sich sehr genau überlegen, wann und zu welchem Zeitpunkt man sie einsetzt", so der Militärexperte.

Warum reagierte die russische Luftabwehr nicht?

Dennoch überrascht es, dass es keine Reaktion der russischen Flugabwehr gab, obwohl Bataillone und Regimente in der Nähe stationiert sind. "Der Angriff hat die Russen komplett überrascht", meint auch Experte Gressel. Die Ukraine habe allerdings in den vergangenen Wochen sehr konzentriert russische Flugabwehrstellungen im Süden mit amerikanischen Anti-Radar-Systemen angegriffen. Als Vorsichtsmaßnahme würden nun die Russen vermutlich häufiger die Position ihrer Radargeräte wechseln – das sei allerdings mühselig, so der Experte. "Also haben sie wahrscheinlich eine gewisse Routine entwickelt", erklärt er.

Hier könnte sich bewahrheiten, was die "New York Times" noch am Dienstag geschrieben hatte: Ein ranghoher ukrainischer Offizier habe berichtet, dass auch örtliche Partisanen, also Kämpfer, die nicht zur ukrainischen Armee gehören, aber loyal zur Ukraine stehen, an dem Angriff beteiligt gewesen seien. Wenn diese die Muster der russischen Truppen ausgekundschaftet hätten, könnte die ukrainische Armee auf Grundlage dieser Informationen geplant haben, wann sie angreift, so Gressel.

Die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim liegt an vorderster Front der seit dem 24. Februar geführten Militäroffensive gegen die Ukraine – bisher hat es dort jedoch nur wenige Angriffe gegeben. Zugleich ist sie ein bei Russen beliebtes Urlaubsgebiet. Sie grenzt an die südukrainische Region Cherson, die nun von Moskau kontrolliert wird. Auch die teilweise von russischen Truppen besetzte Region Saporischschja ist nicht weit. Fast täglich starten von der Krim russische Militärflugzeuge zu Angriffen auf von Kiew kontrollierte Gebiete. Im Zuge des Angriffskrieges forderte Moskau wiederholt die Anerkennung der Krim als russisches Staatsgebiet – was Kiew klar ablehnt. Auch international wird die Halbinsel mit ihren über zwei Millionen Einwohnern weiterhin als ukrainisches Territorium angesehen.

Also waren die russischen Einheiten auf der Krim schlichtweg unaufmerksam? Die Halbinsel war bisher kaum Schauplatz von Kampfhandlungen. Zu Beginn des Krieges seien laut Gressel die Truppen noch aufmerksam gewesen. "Aber wenn nach 166 Tagen immer noch nichts passiert ist, schaut man nicht mehr so genau auf den Radarschirm." Das habe sich nun gerächt: Die russischen Systeme erforderten volle Aufmerksamkeit, erklärt er. "Der Grad der Automatisierung ist gering, Bedienerfreundlichkeit nicht vorhanden." Wer nicht aufpasse, laufe Gefahr, etwas zu übersehen – wie es nun wohl passiert ist.

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Bei dem Untergang der Moskwa könnte dies ähnlich gewesen sein. Die Mannschaft habe vom Auftauchen der ukrainischen Rakete auf dem Radar bis zum Einschlag etwa zwei Minuten Zeit gehabt, berichtet er. "Das klingt lang, aber wenn ich mit meinem Kollegen über Frau und Kinder rede, sind zwei Minuten nichts."

"Ein Schlag, der die Russen stark verunsichert"

Diese Unaufmerksamkeiten könnten die russische Armee teuer zu stehen gekommen sein. Von der wohl größtenteils zerstörten Basis Saki flogen russische Kampfjets vom Typ Suchoi Su-24 und Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ Suchoi Su-30 viele Angriffe auf Ziele im Süden der Ukraine. Erste, noch nicht überprüfte Videos von dem Stützpunkt zeigten zahlreiche ausgebrannte Autos sowie eine zerstörte Su-24. Der ukrainische Luftwaffenstab geht gar davon aus, dass mindestens zehn Flugzeuge bei den Explosionen zerstört wurden.

Das könnte die russische Luftwaffe schwer treffen, glaubt Gressel: Die russische Produktion von neuen Kampfflugzeugen sei jahrelang im Rückstand. "Sind wirklich alle Flugzeuge auf dem Stützpunkt kaputtgegangen, wäre das ein schwerer Rückschlag."

Zudem stehe die russische Armee nun vor dem Problem, dass Stellungen, die bisher vor Angriffen sicher waren, plötzlich in der Reichweite der Ukrainer liegen könnten. "Der Angriff wäre ein eindrucksvoller Beweis, dass die Grom-Raketen kein Phantom sind. Das würde die Russen nervös machen, weil man nicht weiß, wie viele es gibt oder wo sie noch zum Einsatz kommen könnten", so der Experte. Auch kenne man die maximale Reichweite der Raketen nicht: Zwischen 300 und 500 Kilometern, schätzt er. "Es ist also zumindest ein Schlag, der die Russen stark verunsichert."

"Die Rückeroberung der Krim ist noch lange nicht auf dem Papier"

Dennoch warnt der Experte davor, den Angriff überzubewerten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versprach seinen Landsleuten in seiner täglichen Ansprache am Dienstag in Reaktion auf die Explosionen erneut die Befreiung der Krim. Doch Experte Gressel dämpft die Euphorie: Die ukrainische Armee sei noch nicht so stark, dass sie "wirklich operative Gegenangriffe" starten könne, sagt er. "Solange das noch so ist, ist die Rückeroberung der Krim noch lange nicht auf dem Papier."

Und: Die Halbinsel ist nur durch dünne Landbrücken mit dem Festland verbunden – die Ukraine habe aber weder Marine noch Luftlandefähigkeiten und ist somit auf den Landweg angewiesen. Dort ließe sich die Krim für die Russen recht einfach verteidigen, erklärt er. "Die Krim zurückzuerobern wäre nicht einfach und würde deutliche Verluste mit sich bringen."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gustav Gressel am 10.08.2022
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
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