Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Die meisten Bürger übersehen etwas
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
das Sein bestimmt das Bewusstsein, wusste schon der olle Marx. Selbst wenn Sie keine Ader für dialektischen Materialismus haben, werden Sie mir wohl zustimmen, dass die materielle Grundlage das gesellschaftliche Leben und eben auch die persönliche Befindlichkeit prägt. Wenn Sie in München, Hamburg oder Leipzig leben, einen gut bezahlten Job und eine schöne Wohnung haben, mögen Ihre größten Probleme vielleicht ein fehlender Kitaplatz für die Kinder oder Enkel, der Dauerstau auf den Zufahrtsstraßen und die abendliche Parkplatzsuche sein. Leben Sie hingegen in, sagen wir, Altenburg in Thüringen, sehen Ihre Alltagsherausforderungen ganz anders aus. Dann können Sie zwischen mindestens drei Kitas wählen, stehen eher selten im Stau und parken, wo immer Ihnen danach ist.
Dafür haben Sie andere Probleme: Falls Sie einen Betrieb managen, suchen Sie vermutlich händeringend nach Angestellten; beim Medienkonsum wundern Sie sich regelmäßig über das düstere Image Ostdeutschlands, und wenn Sie durch die leeren Straßen schlendern, fragen Sie sich womöglich, wo eigentlich all die Leute geblieben sind, die hier früher umeinanderliefen.
Das Sein in vielen deutschen Kleinstädten ist ein völlig anderes als in Metropolen, erst recht im Osten. Und natürlich prägt es die Menschen vor Ort: Es macht sie keinen Deut schlechter oder besser, aber es verändert sie. Das ist nicht schlimm; schlimm ist nur, wenn die Wahrnehmung der Unterschiede in Klischees abdriftet. Wenn plötzlich der ganze Osten als "Dunkeldeutschland" verbrämt wird, in dem die Leute immerzu schimpfen und Nazis wählen, sodass mancher Wessi am liebsten die Mauer wieder hochzöge.
Die Wahlerfolge der rechtsextremistischen AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sind ein großes Problem, aber sie bedeuten nicht, dass der ganze Osten braun wäre. Im Gegenteil: Die Mehrheit der Ostdeutschen ist ebenso grundanständig wie die meisten Bürger im Rest des Landes: tüchtig, freundlich und der Zukunft zugewandt, falls Sie mir dieses historische Bonmot gestatten.
Doof ist nur: Viele Wessis wissen das nicht. Oder übersehen es. Jeder sechste Westdeutsche war noch nie in Ostdeutschland, ergab eine Umfrage vor einiger Zeit. Und zu viele von jenen, die mal "drüben" waren, beschränken ihre Besuche auf Stippvisiten. So kommt es, dass Zerrbilder jahrelang durch die bundesdeutsche Gesellschaft geistern. Das wurde mir einmal mehr klar, als ich vor wenigen Tagen einen sehr netten "Tagesanbruch"-Leser in Altenburg besuchte. In unserem heutigen Podcast erzähle ich Ihnen mehr darüber, vor allem aber diskutieren Lisa Raphael und ich mit Carsten Schneider. Der stammt ebenfalls aus Thüringen und ist Ostbeauftragter der Bundesregierung. Auch diesen Titel kann man durchaus kritisch sehen, aber was der SPD-Politiker zu sagen hat, lässt aufhorchen. Also schenken Sie uns bitte ein paar Minuten Ihrer Zeit und hören Sie uns zu:
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Nun wünsche ich Ihnen ein ausgeglichenes Wochenende. Und kann Ihnen abschließend einen Besuch in Altenburg wirklich wärmstens empfehlen. Dort sieht man nicht nur einen wunderschönen Stadtkern aus der Gründerzeit und schlemmt ausgesprochen lecker, sondern trifft auch herzensgute Menschen.
In diesem Sinne herzliche Grüße nach Altenburg und in den Rest der Republik. Der nächste Tagesanbruch kommt am Montag von unserer Reporterin Annika Leister, von mir lesen Sie am Dienstag wieder.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Verwendete Quellen für Töne im Podcast:
1. Habeck: Wirtschaftsministerium YouTube
2. Hörer Holger Peckmann: "Tagesanbruch – die Diskussion" vom 17.08.2024
3. Hörer Roland Knappe: eigenes Interview