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Demos gegen AfD und Rechtsextremismus: Was jetzt passieren muss


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  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 22.01.2024Lesedauer: 7 Min.
Kanzler Scholz, Außenministerin Baerbock: Schon am 14. Januar besuchten sie die Demonstration "Potsdam wehrt sich - gegen Rechtsextremismus und Umsturzpläne".Vergrößern des Bildes
Kanzler Scholz, Außenministerin Baerbock: Schon am 14. Januar besuchten sie die Demonstration "Potsdam wehrt sich – gegen Rechtsextremismus und Umsturzpläne". (Quelle: IMAGO/Eberhard Thonfeld)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ein Ruck geht durch Deutschland. Hunderttausende sind am Wochenende auf die Straße gegangen. In West wie Ost, in Großstädten wie kleinen Gemeinden wurde mobil gemacht gegen die AfD und ihre immer rechtsextremere Politik. Tausende und Zehntausende waren es in Hamburg, Frankfurt, Dortmund, Karlsruhe, Leipzig, Halle, Erfurt, wohl mehr als 100.000 in Berlin und München – und die Liste ließe sich lange fortsetzen.

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Demokraten bundesweit verbünden sich, gehen zum Teil zum ersten Mal in ihrem Leben auf die Straße. Jenen, gegen die sich die AfD mit ihrer Politik wendet, zeigen sie: Ihr seid nicht allein, wir stehen für euch ein, für eure Rechte, für unser aller Freiheit. Und der AfD sagen sie deutlich: Eure Ziele sind nicht die unseren.

Das sind starke und wichtige Zeichen – gerade gegen eine Partei, die ihre Legitimation aus dem vermeintlichen Volkswillen zu ziehen sucht.

Ebenso wichtig ist es aber, nun daran zu erinnern: Die Bilder sind Momentaufnahmen. Wie die Mehrheiten im Superwahljahr 2024 an den Wahlurnen aussehen, darüber sagen Demos wenig aus.

Die AfD zum Beispiel mobilisiert zu Demonstrationen nur wenig Menschen. Selbst wenn ihre prominentesten Köpfe in AfD-Hochburgen auftreten, kommen in der Regel nur ein paar Tausend. Das Kreuz auf dem Wahlzettel setzen für die AfD in diesen Regionen aber sehr, sehr viel mehr Menschen.

Entsprechend entspannt und unbeeindruckt tagten in Thüringen am Samstag der AfD-Bundesvorstand und die Vorsitzenden aller Landesverbände. Während Tausende gegen sie protestierten, gab es dort Rindergulasch zu Mittag – und dazu eine gehörige Portion Selbstbestätigung.

Die Proteste sollen laut Teilnehmern am Tisch angeblich kaum Thema gewesen sein. Stattdessen diskutierte die AfD-Spitze wieder Pläne zur Rückführung von Migranten, der sogenannten "Remigration" – die in einer extremen Form vor rund zehn Tagen bekannt geworden waren und die Demonstrationen erst ausgelöst hatten. Am Wochenende wurde besprochen, wie diese Ideen in ein rechtsstaatliches Gewand und in einen Parteibeschluss gehüllt werden können.

Das sagt einiges darüber aus, wie stark und unantastbar die AfD sich gerade fühlt. Und sie hat allen Grund dazu: Zu lange wurde die Berichterstattung über die Partei ignoriert, hat Deutschland es sich bequem gemacht – und der AfD und ihren Mitstreitern im rechtsextremen Vorfeld die Chance gegeben, Unterstützer zu sammeln.

Mit zwei Protestwochen allein ist es deswegen nicht getan, es braucht ein starkes und dauerhaftes Bündnis für die Demokratie. Was ist also jetzt zu tun?

  • Raus aus der Blase

Absurd ist das Hickhack zwischen Parteien und Vereinen, wen man bei den Demonstrationen haben will und wen nicht. Am besten zeigte sich das im Süden: Da warf der Münchner CSU-Chef Fridays for Future vor, kein geeigneter Organisator für die Demo gegen die AfD zu sein – weil sich die Organisation nicht ausreichend vom Antisemitismus ihrer Vorkämpferin Greta Thunberg distanziert habe. Versammlungsanmelderin und Klimaaktivistin Lisa Poettinger hingegen sprach sich gegen CSU-Politiker auf der Münchner Demo aus – weil sie "gar keinen Bock auf Rechte jeglicher Couleur habe".

Doch Politik rechts der Mitte ist in Deutschland traditionell für die Wähler am ansprechendsten. Und Organisationen im linken Spektrum sind traditionell die stärkeren Treiber für Proteste. Statt voneinander zu profitieren und ein schlagkräftiges Bündnis zu schmieden, motzen einige aber offenbar lieber in der eigenen Blase vor sich hin.

Die Bürger in München ließen sich davon nicht beirren. Sie kamen in so großer Zahl, dass die Versammlung abgebrochen wurde. Wenn sich die Parteien und Organisationen allerdings nicht zusammenreißen, wird's schwierig mit einer nachhaltigen Front gegen den Rechtsextremismus.

Helfen würde da auch mehr Begriffsschärfe: Als "Demo gegen rechts" wurden viele Veranstaltungen gelabelt. Für die CDU und CSU, demokratische Parteien rechts der Mitte, ein schwieriges Etikett. Gerade sie aber werden im Bündnis gegen die AfD gebraucht. Das Problem für unsere Demokratie, gegen das es im besten Fall gemeinsam geht, ist der Rechtsextremismus – und der sollte auch genauso benannt werden.

  • Aufarbeiten und abgrenzen

Damit die Union in diesem Bündnis glaubwürdiger Teilnehmer sein kann, muss sie sich jetzt auch eigenen Problemen stellen. Bei dem Treffen in Potsdam waren schließlich auch Mitglieder der CDU dabei. Und der "Spiegel" machte gerade ein Netzwerk von Konservativen und Rechtsextremen rund um den Berliner Finanzsenator Peter Kurth, Ex-CDU-Politiker, publik.

Wie weit die braunen Verbindungen in die Partei reichen, muss die CDU hart, schnell und transparent aufarbeiten – und sich in Zukunft fernhalten von Programmpunkten und populistischen Äußerungen, die sich so auch bei der AfD finden könnten.

  • Schluss mit Übertreibungen

Um Menschen in so großer Zahl auf die Straße zu bringen, braucht es einen starken Auslöser. Zurzeit ist der größte Treiber die Recherche der Investigativplattform "Correctiv", die verfassungswidrige Deportationspläne öffentlich machte. Die Recherche ist sauber, bisher ist nicht einmal die sonst so klagefreudige AfD dagegen vorgegangen.

Darin klang aber auch in zwei Sätzen ein Vergleich an, der nun zunehmend die Runde macht: Nur knapp acht Kilometer von dem dokumentierten Treffen in Potsdam habe die Wannseekonferenz stattgefunden, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten, hieß es da.

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Eine unnötige Erwähnung. Denn von der Planung einer systematischen Vernichtung, wie die Nazis sie auf der Wannseekonferenz besprachen, und von ihrer Schreckensherrschaft, sind das Treffen in Potsdam wie auch die Macht der AfD noch weit entfernt. Zu unserem großen Glück.

Ausgerechnet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) griff dieses Bild aber an diesem Wochenende auf – und ist damit nicht die Einzige. "Das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz", sagte sie – und betonte dann sogleich, dass sie beides nicht miteinander gleichsetzen wolle.

Warum den Vergleich dann überhaupt ziehen? Na, weil er so schön knallt, weil er entsetzt, weil er Hitler an die Wand malt. Das aber ist Populismus, der leicht angreifbar ist und der Sache schadet. AfD-Chefin Alice Weidel beklagte mit Blick auf die Wannsee-Passage in der "Correctiv"-Recherche bereits eine "Relativierung des Nationalsozialismus".

Und da trifft sie einen Punkt. Die Pläne der AfD und die Äußerungen ihrer Politiker allein sind menschenfeindlich genug, mehr Sachlichkeit tut Not.

  • Gut regieren, nicht protestieren

Die Politik der Bundesregierung ist für AfD-Wähler ein Reizthema, die Hauptstadtpolitik an und für sich ein Problem. Die Bundesminister sollten sich von den Protesten fernhalten – sie tun der Sache mit ihrer Teilnahme keinen Gefallen, sondern versuchen nur, sich selbst zu profilieren.

"Da werde ich wütend", sagte mir ein Thüringer Landwirt bei einer Mahnwache am Freitag über Kanzler Olaf Scholz. Der Kanzler hatte zwar an einer Demo gegen rechts teilgenommen, am Tag darauf aber nicht die Bauern-Proteste besucht. Der Landwirt hat recht: Gute Bilder in angenehmer Gesellschaft hat Scholz gern mitgenommen – sich am Tag darauf aber nicht jenen gestellt, die seine Regierung massiv kritisieren.

Die Bundesregierung kann auf andere Art sehr viel besser als jede Demonstration gegen die AfD wirken: mit guter Politik, die soziale Probleme angeht und sie dabei auch noch gut erklärt. Davon ist sie zurzeit meilenweit entfernt.

  • Die Straße ist nicht genug

Wer die AfD tatsächlich klein halten will, der muss sich auch fernab der aktuellen Proteste für die Demokratie starkmachen. Denn viele hat die AfD schon gefangen, sie glauben nicht mehr an Einschätzungen unserer Behörden und Berichte der etablierten Medien. Und die Partei hat einen lang angelegten Plan: Deutungshoheit will sie erlangen über die sozialen Medien und ihre eigenen Plattformen, ihre Fake News zur Wahrheit erklären.

Die Taktik ist mit Blick auf die Massenproteste gerade gut zu beobachten: Von "bestellten Massen" ätzen viele AfD-Politiker da und von "manipulierten Bildern". Alles Fake, alles von der Regierung lanciert – so will die AfD es gerne darstellen. Dazu teilen ihre Politiker nicht selten selbst manipulierte Bilder, die die Massen in Zweifel ziehen sollen. Und viele glauben ihnen.

Auf Fakten basierender Gegenwind ist deswegen wichtig – nicht nur auf Demos, sondern auch in den sozialen Medien, am Küchentisch, im Supermarkt, am Arbeitsplatz. Das ist anstrengend, zermürbend, oft hoffnungslos – und doch: noch immer am effektivsten.


Was steht an?

Abschied von Wolfgang Schäuble (CDU): Am Mittag findet der Trauergottesdienst (13 Uhr) und der Trauerstaatsakt (15 Uhr) in Berlin statt. Neben den Köpfen der Bundesregierung erweist auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Schäuble die letzte Ehre.


Die GDL hat die Beschäftigten der Deutschen Bahn zum nächsten Streik aufgerufen. Schon in dieser Woche soll es mit dem Arbeitskampf losgehen – diesmal für sechs Tage. Hier lesen Sie die Details.


EU-Außenminister kommen zusammen: Bei dem Treffen in Brüssel geht es um die Lage in der Ukraine und im Nahen Osten, inklusive Planungen für einen EU-Militäreinsatz gegen Huthi-Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer. Eine Pressekonferenz ist für 18 Uhr angesetzt.


Elon Musk besucht Auschwitz: Der Chef des Autobauers Tesla wie des sozialen Mediums X – ehemals Twitter – besucht Polen. Er wird dort am Montag ab 17 Uhr an einer Konferenz zum Thema Antisemitismus im Netz teilnehmen, am Dienstag will er das Konzentrationslager Auschwitz besuchen. Musk war im vergangenen November in die Kritik geraten, weil er antisemitische Inhalte verbreitet hatte.


Lesetipps

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Im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner erhält Donald Trump zusätzlichen Rückenwind: Floridas Gouverneur Ron DeSantis, einer seiner ärgsten Rivalen, warf am Sonntag überraschend das Handtuch. Wie Trump darauf reagiert hat, lesen Sie hier.


Kommt die Wehrpflicht in Deutschland zurück? Die Diskussion wird hierzulande neu geführt, als Vorbild wird dabei immer wieder das "schwedische Modell" genannt. Im Interview mit meinem Kollegen Daniel Mützel erklärt der Vater des schwedischen Konzepts die Vorzüge – und was die Deutschen daran falsch verstehen.


Die Bayern haben verloren. Völlig überraschend unterlag der Rekordmeister Werder Bremen am Sonntag mit 0:1. Ein letzter Warnschuss für die Bayern und Trainer Tuchel, wie mein Kollege Andreas Becker kommentiert.


Ohrenschmaus

Das Gefühl von Zusammenhalt auch in schweren Zeiten – Bill Withers hat es 1972 in Musik gegossen: Hier können Sie ihn hören.


Zum Schluss

Die deutschen Handballer holten gegen Österreich überraschend nur einen Punkt. Alles Absicht, glaubt unser Karikaturist Mario Lars:

Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Start in die Woche. Morgen begleitet Daniel Mützel Sie in den Tag.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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