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Flüchtlinge in Deutschland: Jetzt versucht sich Olaf Scholz als Maulheld


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Tagesanbruch
Aus dem Macher wird ein Maulheld


Aktualisiert am 23.10.2023Lesedauer: 6 Min.
Olaf Scholz: Der Kanzler versucht sich als Maulheld. Das sollte er schnell wieder sein lassen.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Der Kanzler versucht sich als Maulheld. Das sollte er schnell wieder sein lassen. (Quelle: Maya Alleruzzo/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

als ich am Wochenende durch meine Zeitungen und Magazine blätterte, hatte ich schon fast keine Lust mehr, sie zu lesen. Zwei Überschriften genügten, um mir den Spaß zu verderben. Denn sie bildeten den Stand der verkorksten Migrationsdebatte in Deutschland unfreiwillig gut ab.

Der "Spiegel" hatte ein düsteres Porträt des Kanzlers Olaf Scholz auf dem Titel mit dessen markigen Ansage: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben". Die "Zeit" hatte ein Interview mit dem Migrationsexperten Gerald Knaus gedruckt, den sie in der Überschrift sagen ließ: "Scharfe Sprüche allein stoppen niemanden".

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Ich fing doch an zu lesen, weil es ohnehin trüb war draußen und es nun mal mein Job ist, bereute mein Pflichtbewusstsein aber schnell. Abseits der scharfen Sprüche hatte Kanzler Scholz in dem Interview keine einzige neue Idee zu bieten. Und genau diese Plan- und Ziellosigkeit kritisierte Experte Knaus.

Ich brauchte erst mal einen Spaziergang. Nur leider half der meiner Laune ähnlich wenig, wie vieles wenig hilft, das die Politik gerade in der Migrationspolitik diskutiert. Verstehen Sie mich nicht falsch, die Lage ist kompliziert, die Lösungen werden es auch sein müssen. Doch statt das zuzugeben, scheint sich Olaf Scholz entschieden zu haben, zumindest seine Sprüche hemdsärmelig klingen zu lassen.

Das wirkt schräg für einen Kanzler, dessen Markenkern eigentlich Machen statt Schnacken ist. Und es ist in der emotionalisierten Migrationsdebatte gefährlich. Scholz weckt riesige Erwartungen. Er sagt solche Dinge vermutlich, weil er glaubt, dass viele Menschen sie jetzt von ihm hören wollen. Das Problem ist nur, dass er die Erwartungen wohl enttäuschen wird. Weil Lösungen kompliziert sind. Und auch, weil die Ampelregierung viel Energie auf Placebos verschwendet.

Es gibt dafür viele Beispiele, leider. Zwar muss nicht alles, was nur wenig hilft, gleich sinnlos sein. Aber helfen sollte es schon. Bei der nun populären Forderung nach einer "Arbeitspflicht" scheint das fast ausgeschlossen. Es gibt für Asylbewerber längst die Verpflichtung, Arbeitsgelegenheiten anzunehmen, die ihnen angeboten werden. Sonst werden die Leistungen gekürzt. Doch vielerorts gibt es schlicht nur wenige dieser 80-Cent-Jobs, weil sie sinnvollerweise reguläre Arbeit nicht verdrängen sollen.

Kommunen jetzt dazu zu bringen, sich ganz viele mehr oder weniger sinnvolle Jobs auszudenken, ist absurd. Es macht den ohnehin schon überlasteten Verwaltungen einen weiteren Haufen Arbeit. Und das alles für die vage Hoffnung, dass sich ein paar Flüchtlinge in Tunesien nicht mehr auf den Weg machen, weil sie hier in ihrer Aufnahmeeinrichtung möglicherweise Glühbirnen wechseln müssten.

Der Kanzler aber, so sagte er im Interview, findet die Idee ausdrücklich richtig. Klingt ja auch markig, so eine Arbeitspflicht.

Markig klang auch eine Ankündigung von Innenministerin Nancy Faeser. Stationäre Grenzkontrollen hat sie vergangene Woche an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz eingeführt. Lange hatte sie sich dagegen gewehrt, das muss man dazu sagen. Doch am Ende wurde die Kritik an ihr und daran, dass sie ja gar nicht alles tue, was sie tun könne, wohl doch zu groß. Es musste etwas her, das hart klingt.

Das Problem auch hier: Es schadet eher, als es nutzt. Davor hat die Gewerkschaft der Polizei schon vorher gewarnt und sieht sich nach einer Woche bestätigt: kein Rückgang der Migrationsströme, kaum mehr Zurückweisungen. Das ist auch kein Wunder, denn mit Kontrollen an der deutschen Grenze merklich Flüchtlinge aufhalten zu wollen, ist illusorisch. Wer um Asyl bittet, bei dem muss in den allermeisten Fällen auch geprüft werden, ob ein Anrecht besteht. In einem Asylverfahren.

Die Schleuser wiederum, die umführen die Kontrollstellen einfach links und rechts, sagt der oberste Gewerkschafter für die Bundespolizei. Er wünscht sich deshalb flexible, mobile und damit unvorhersehbare Kontrollen, um mehr Schleuser zu schnappen. Nur klingt flexibel dummerweise weniger hart als stationär.

Und die Sache mit den Abschiebungen? Was es braucht und geben sollte, darüber muss gestritten werden. Am besten ernsthaft, gerne kontrovers. Solange es mit Verfassung und internationalen Verträgen vereinbar ist. Nicht klug ist es, wie Scholz zu suggerieren, es gebe einen einfachen und schnellen Weg zu mehr Abschiebungen.

Abschiebungen scheitern aus 1.001 Gründen. Keiner davon löst sich auf durch einen scharfen Spruch des Kanzlers. Den Kommunen wäre mit mehr Geld und weniger Bürokratie kurzfristig ohnehin deutlich mehr geholfen. Doch gerade beim Geld ist Scholz zurückhaltend. Angesichts der Lage: viel zu zurückhaltend. Scholz wirkt wie ein knauseriger Kämmerer und nicht wie ein kraftvoller Kanzler.

Eng wird es in den Kommunen, weil seit Februar 2022 rund 1,1 Million Menschen aus der Ukraine zu uns geflohen sind. Zusätzlich zu vielen anderen Flüchtlingen, die im vergangenen (217.000) und in diesem Jahr (233.000) kamen. Selbst wenn die 53.000 unmittelbar Ausreisepflichtigen "endlich im großen Stil" abgeschoben würden, wie der Kanzler verspricht, wären die Probleme nicht plötzlich gelöst.

Olaf Scholz ist der Versuchung verfallen, einfache Lösungen zu versprechen, weil andere das auch tun. Er macht damit genau das, was er eigentlich hasst: Er lässt sich treiben von der Opposition, einer verkorksten Debatte und der gefühlten Sehnsucht nach harten Ansagen. Es ist fast tragisch mitanzusehen, wie aus dem Macher nun ein Maulheld zu werden droht.

Aber es ist nicht nur tragisch. Maulhelden-Politik ist gefährlich. Wenn Worten keine Taten folgen oder folgen können, weil es so einfach eben nicht ist, wenn Politik also schlicht simuliert wird – dann steigt der Frust. Die extreme Rechte kann sagen, dass die Regierung ja sowieso nicht hält, was sie verspricht. Und nicht nur die Migrationsdebatte wird noch verkorkster, als sie ohnehin schon ist. Sondern auch die politische Landschaft in Deutschland.


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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche. Am Dienstag schreibt meine Kollegin Janna Halbroth für Sie.

Ihr Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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