t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePanoramaWissenGeschichte

Erinnerung an den Holocaust: Wie József Debreczeni Auschwitz überlebte


Überlebender des Holocaust
"Auf der untersten Stufe der Höllenleiter"


24.01.2025 - 13:31 UhrLesedauer: 6 Min.
00265953Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau nach der Befreiung: József Debreczeni überlebte den Holocaust.Vergrößern des Bildes
Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau nach der Befreiung: József Debreczeni überlebte den Holocaust. (Quelle: ullstein-bild)
News folgen

József Debreczeni überlebte Auschwitz und andere deutsche Lager, seine Erinnerungen blieben lange unbekannt. Nun sind sie auf Deutsch erschienen – und öffnen den Blick in die albtraumhafte Welt des Holocaust.

Es war ein sonniger Tag im Mai, als József Debreczeni der Name geraubt wurde. Im einen Moment war er noch ein Mensch, im nächsten nur noch Zahl: "Dreiunddreißignulleinunddreißig", kurz 33031. Es waren SS-Offiziere, die József Debreczeni degradierten, "nur eine Nummer", wie er zusammenfasste. Für Debreczeni war es ein Schock, war er doch ein Mann der Worte, ein Journalist, ein Schriftsteller. Er selbst beschrieb sich: "Ich habe Zahlen noch nie gemocht, nie an ihren Zauber geglaubt."

Der SS war das egal. Sie befand sich auf ihrem Vernichtungsfeldzug gegen die europäischen Juden, seit April 1944 hatte sie József Debreczeni in ihrer Gewalt: Der Ungar jüdischer Herkunft wurde damals nach Auschwitz deportiert. Rund ein Jahr litt Debreczeni daraufhin in deutschen Lagern, bis er im Mai 1945 befreit wurde. In dieser Zeit ertrug Debreczeni das Grauen, aber er überlebte, um davon zu berichten.

Debrezcenis Buch "Kaltes Krematorium. Bericht aus dem Land namens Auschwitz" erschien bereits im Jahr 1950, aber den Bereich seiner späteren Heimat Jugoslawien sollte dieser so wichtige Bericht für viele Jahrzehnte nicht groß verlassen. Doch der Vergessenheit ist "Kaltes Krematorium" nun entrissen, Ende 2024 brachte der Verlag S. Fischer Debrezcenis Erinnerungen auf Deutsch heraus, nachdem es zuvor im selben Jahr in englischer Sprache erschienen ist. Es ist ein gewaltiges Buch, es ist ein schonungsloses Buch, das unverstellt beschreibt, was Menschen anderen Menschen anzutun imstande sind.

Zahlreiche Überlebende des Holocaust haben ihr Erlebtes in Büchern geschildert, ergreifend, schockierend, mahnend. Das "Kalte Krematorium" reiht sich in diese wichtigen Zeugnisse ein. Warum ist es so bedeutsam? Debrezceni, 1905 als József Bruner in Budapest geboren, war – wie beschrieben – Journalist und Autor, daher ein aufmerksamer Beobachter und ein Mann, der um die Macht der Wörter wusste. Debrezceni schrieb eindringlich, aufmerksam, fragend und analysierend. Als "erstaunlich souveräne literarische Reportage des Schreckens", hat die "Zeit" das Buch charakterisiert.

Lebensrettende Entscheidung

Mit der Verschleppung Debrezcenis und zahlreicher Leidensgenossen beginnt "Kaltes Krematorium", bangend und rätselnd befanden sich die deportierten Juden zusammengedrängt im Zugwaggon. Wo mochte es hingehen? Zwangsarbeit in der Landwirtschaft im früheren Österreich? Zwangsarbeit im übrigen Deutschland? Nein, ein ortskundiger Mitverschleppter im Waggon wusste die Richtung zu deuten: Auschwitz.

Kaum angekommen, fällte Debreczeni eine Entscheidung über Leben und Tod. Ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Ein Deutscher überließ ihm und anderen die Entscheidung, ob sie zu Fuß weiter gen Lager marschieren wollten. Oder lieber zu den als zu schwach befundenen Deportierten auf den Laster steigen? Viele entschieden sich für den Laster, doch Debreczeni nicht. Er hatte die geflüsterte Warnung eines vorbeigehenden Häftlings gehört: "Nur zu Fuß! Nur zu Fuß!"

Es war die richtige Entscheidung. Denn der Lastwagen fuhr die Menschen auf ihm in den Tod. Debreczeni lebte weiter, zu Fuß erreichte er das Ziel. "Wir sind in Auschwitz angekommen, wo die Amokläufer des Rassenwahns mehrere hunderttausend Deportierte aus den verschiedensten Gegenden Europas in Holzbaracken zusammengepfercht haben", schrieb er in seinen Erinnerungen.

In Auschwitz und andernorts machte er schnell Bekanntschaft mit der dort etablierten Hierarchie. Ganz oben befand sich die SS, der die Häftlinge ausgeliefert waren. "Sie mustern uns ungezwungen wie Viehhändler die Rinder auf dem Markt", fasste Debreczeni zusammen. Aber auch unter den Häftlingen selbst herrschte eine Rangordnung. "Auf der untersten Stufe der Höllenleiter stehen natürlich die Juden mit dem gelben Dreieck", erkannte Debreczeni schnell.

"Das sind bereits sie"

Im Land namens Auschwitz herrschte der Schrecken, noch weit schlimmer, als Debreczeni zunächst ahnte. Er kam im Lager ins Gespräch mit einem älteren Häftling, einem Franzosen aus Paris, dieser selbst der letzte Lebende aus seiner Familie, die anderen hatten die Deutschen schon umgebracht. "Ich mache es nicht mehr lange", gestand der Ältere nun dem Neuankömmling. Debreczeni fragte ihn, ob er die anderen Deportierten aus seinem Waggon gesehen habe, diejenigen, die sich für die Fahrt mit dem Laster entschieden hatten.

Mit der Hand deutete der Häftling in Richtung Birkenau, wo schier endlos Rauch aus Schornsteinen in die Luft stieg: "Der Rauch, das sind bereits sie." Ein Schock für Debreczeni, obwohl er schon eine gewisse Ahnung von der grauenhaften Realität gehegt hatte. Debreczeni machte einen "sadistischen Wahn" aus, der "im Land namens Auschwitz den Thron bestiegen hatte". Als "nach Kot riechenden Gespensterstaat" beschrieb er es.

Debreczeni machte seinem eigenen Anspruch als Journalist aus Neigung und Profession alle Ehre. So beobachtete er aufmerksam, was in seiner Umgebung während seiner Leidenszeit in den deutschen Lagern Auschwitz, Falkenberg, Schloss Fürstenstein und Dörnhau geschah, und brachte es in "Kaltes Krematorium" zu Papier. Welche Gedanken er bereits in den Lagern hegte und welche später nach dem Krieg reiften, wird nicht mehr zu klären sein.

Fest steht, dass Debreczeni viel über die Deutschen grübelte. Sie galten als das "Volk der Dichter und Denker", ein Bild, das kaum mit dem zusammenpasst, was sie in Auschwitz und anderen Orten der Vernichtung taten. "Warum merken dann so wenige von ihnen, dass sie ein Verbrechen begehen?", sinnierte Debreczeni. Ein "seltsames Volk" seien die Deutschen, "voller innerer Widersprüche und frappierender Extreme". Nur so wäre es erklärbar, dass neben dem berühmten Mediziner Robert Koch auch eine Ilse Koch möglich war, die als "Hexe von Buchenwald" durch ihre Verbrechen berüchtigt wurde.

Zeichen der Menschlichkeit

Neben den Deutschen dachte Debreczeni auch viel über die Hierarchie unter den Häftlingen im Lager nach, ein System, das die relativ wenigen Deutschen etabliert hatten, um die zahlenmäßig weit überlegenen Häftlinge zu kontrollieren. Kapos im Lager, Kapos bei den Firmen, in denen die Arbeitskraft der Versklavten missbraucht wurde, sowie etwa Blockälteste und Schreiber, die allesamt aus dem Kreis der Häftlinge stammten und durch größere und bessere Rationen begünstigt waren. "Sklaven, die Sklaven verprügelten", befand Debreczeni und schlussfolgerte, dass "aus mit Privilegien versehenen Sklaven die besten Schergen werden". Viel lässt sich darüber aus dem Buch lernen, wie die SS die uralte Strategie von "Teile und Herrsche" zur grausamen Perfektion trieb.

Loading...
Loading...

Hin und wieder blitzte allerdings auch Menschlichkeit auf. Die von der SS im Lagerbordell zur Prostitution gezwungene Gefangene, die Debreczeni eine Zigarette zukommen ließ. Gleiches tat später andernorts auch ein SS-Mann, Herman nennt ihn Debreczeni, Barkellner war der Mann im Zivilberuf: "Er sah uns nicht mit dem erbitterten Hass an wie die anderen."

Ein anderer Deutscher hasste umso mehr, "ein Mörder, made in Germany". Der einarmige SS-Hauptsturmführer wollte bei einer Inspektion wissen, wer der "Beste" unter den Sklavenarbeitern samt Debreczeni war. "46514!", lautete die Antwort. Der Erwähnte trat an, der SS-Offizier schoss ihm kurzerhand in den Kopf. Es war eine Lektion, es war eine Demonstration, schnell und unerbittlich. Der SS-Hauptsturmführer war nämlich überzeugt, "dass selbst der beste Jude krepieren muss". Der Augenzeuge Debreczeni befand: "Was für ein Kitsch. Das Grauen ist immer kitschig."

In Dörnhau schließlich, das zum Komplex der Außenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen gehörte, wähnte Debreczeni schließlich sein eigenes Ende gekommen. Als "Krankenrevier" bezeichnete es ein anderer Häftling gegenüber Debreczeni, bald schnappte dieser aber eine andere Umschreibung für diesen Ort auf: "kaltes Krematorium". Ein "kühler" Ort des Sterbens für die vielen, vielen dorthin gebrachten Häftlinge, im Vergleich zu den "heißen" Krematorien von Auschwitz, deren Rauch Debreczeni dort einst bei seiner Ankunft gesehen hatte.

"Bleibt einzig"

In Dörnhau spielten sich Szenen des Grauens ab, auch dort übten Häftlinge im Namen der SS Macht über andere Häftlinge aus, die Nächte waren die Hölle auf Erden, wenn die kranken Häftlinge schrien, wimmerten und zu Hunderten starben. Schließlich brach das Fleckfieber aus, auch Debreczeni erkrankte daran, ausgerechnet als die Rote Armee nicht mehr weit entfernt lag. Doch er erholte sich und erlebte am Morgen des 5. Mai 1945 das Ungeahnte: Die Bewacher samt Schergen waren geflohen, die Freiheit war da. Debreczeni hatte das kalte Krematorium überlebt, um darüber zu berichten.

Dass sein Buch über die Zeit in den Lagern nun auch auf Deutsch erschienen ist, stellt einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung dar, gerade in der Zeit, in der die letzten Überlebenden bald nicht mehr da sein werden. "Die Erfahrung von Auschwitz bleibt einzig", schreibt die Publizisten Carolin Emcke im Nachwort. "Sie muss verstehen und begreifen, wer in der Gegenwart sich orientieren will."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • József Debreczeni: "Kaltes Krematorium. Bericht aus dem Land namens Auschwitz", Frankfurt Main 2024
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



Telekom