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Geheimtreffen zur "Remigration": Diente ein Nazi-Plan als Vorbild?


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Geheimtreffen zur "Remigration"
Die rechtsextremen Pläne haben ein historisches Vorbild


Aktualisiert am 20.01.2024Lesedauer: 5 Min.
Adolf Hitler und Joseph Goebbels: 1940 planten die Nationalsozialisten die Deportation von Juden nach Madagaskar.Vergrößern des Bildes
Adolf Hitler und Joseph Goebbels: 1940 planten die Nationalsozialisten die Deportation von Juden nach Madagaskar. (Quelle: ullstein-bild)
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Rechtsextreme, darunter auch Politiker der AfD, planen die Vertreibung von Millionen Menschen nach Nordafrika. Das erinnert an eine verbrecherische Idee der Nazis: die Deportation europäischer Juden auf eine weit entfernte Insel.

Der Lehnitzsee in Potsdam ist eine schöne Landschaft – am 25. November 2023 ist dort allerdings Schreckliches diskutiert worden, wie das Recherchezentrum "Correctiv" jüngst berichtete: Wie lassen sich Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland "entfernen"? Selbst solche, die im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind? Rechtsextreme und Politiker der AfD waren demnach unter anderem zur "Erörterung" dieser Fragestellungen in einem Hotel am Lehnitzsee zusammengekommen, so "Correctiv".

Fast die gleiche Gegend, rund 80 Jahre früher: 15 Männer treffen sich am 20. Januar 1942 in einer Villa am Wannsee, ein paar Kilometer vom Lehnitzsee entfernt. Auf ihrer Tagesordnung steht Monströses: die Organisation der Ermordung der europäischen Juden. SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, beauftragt mit der "Endlösung der Judenfrage", hatte die Teilnehmer von SS und aus Ministerien zur sogenannten Wannseekonferenz eingeladen.

"Noch als Faustpfand hierbehalten"

Schnell hat die Öffentlichkeit in den vergangenen Tagen Analogien zwischen den Geschehnissen von 2023 und 1942 ausgemacht. Der Deutsche Richterbund etwa warnte unlängst mitsamt anderer juristischer Verbände davor, dass sich "dieses Treffen in der Rückschau nicht als 'zweite Wannseekonferenz' entpuppen" dürfe. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser äußerte sich ähnlich gegenüber der Funke-Mediengruppe: "Das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz."

Eine wichtige Warnung, eindringliche Worte – die historisch allerdings ungenau sind: Die am Lehnitzsee am 25. November 2023 besprochene "Remigration" – eine euphemistische Umschreibung für Abschiebung und Deportation – erinnert weniger an die Konferenz am Wannsee, wo es um die Durchführung des Holocaust ging, sondern vielmehr an ein anderes Vorhaben der Nationalsozialisten: den "Madagaskarplan". Nach Madagaskar, viertgrößte Insel der Welt und vor der Küste Ostafrikas im Indischen Ozean gelegen, wollten die Nationalsozialisten zu Beginn des Zweiten Weltkriegs Millionen jüdische Menschen verschleppen.

Während in unserer Gegenwart Martin Sellner von der rechtsextremen "Identitären Bewegung" am Lehnitzsee darüber sinnierte, die "Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln", womöglich in einen nordafrikanischen "Musterstaat", wollte sich 1940 ein gewisser Franz Rademacher zum Herrn über das Schicksal der deutschen Juden machen. Und nicht nur dieser, sondern aller Juden, die sich seit dem Ausbruch der Zweiten Weltkriegs im Machtbereich der Nationalsozialisten befanden.

Der Jurist Rademacher war "Judenreferent" im Auswärtigen Amt, in dem Hitlers Absichten in Bezug auf die Juden wohlbekannt waren. "Hauptsache ist, daß die Juden hinausgedrückt werden", äußerte sich der "Führer" laut Reichspropagandaminister Joseph Goebbels 1938. "In 10 Jahren müssen sie aus Deutschland entfernt sein." Bis dahin gedachte Hitler diesen Menschen allerdings eine andere Rolle zu: "Aber vorläufig wollen wir die Juden noch als Faustpfand hierbehalten."

"So gründlich wie möglich vernichtet"

Im Kriegsjahr 1940 und nach der Ausdehnung des deutschen Machtbereichs in Europa waren die Überlegungen schon weiter vorangeschritten. Rademacher schlug eine "Trennung zwischen Ost- und Westjuden" vor, wie der Historiker Lars Lüdicke ihn in seinem Buch "Hitlers Weltanschauung. Von 'Mein Kampf' bis zum 'Nero-Befehl'" zitiert. Erstere sollten als "Faustpfand in deutscher Hand" dienen. Zu welchem Zweck? "Damit die Juden Amerikas in ihrem Kampf gegen Deutschland lahmgelegt bleiben", so Rademacher.

Für die zweite Gruppe hatte der Diplomat andere Pläne: "Die Westjuden werden dagegen aus Europa entfernt, beispielsweise nach Madagaskar." Was Rademacher hier skizzierte, bedeutete nichts weniger als die Verschleppung von Millionen aus Europa auf eine weit entfernte Insel. Warum aber Madagaskar?

Zurück geht die Idee auf Paul de Lagarde. Der deutsche Orientalist, ein fanatischer Nationalist und noch fanatischerer Judenhasser, hatte bereits im 19. Jahrhundert Madagaskar als mögliches Ziel einer Vertreibung der Juden ausgemacht, wie der Historiker Peter Longerich in "Antisemitismus. Eine deutsche Geschichte" schreibt.

In seinem Antisemitismus war de Lagarde unerbittlich: "Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet." Gemeint waren die Juden. Da Judenhass ein internationales Phänomen ist, stieß de Lagardes "Madagaskarvorschlag" in den kommenden Jahrzehnten nicht nur bei Antisemiten in Deutschland, sondern etwa auch in Großbritannien und Polen auf Zustimmung.

"Wieviel Geld und wieviel Schiffe"

Nirgendwo aber wurden die Pläne so weit vorangetrieben wie im Nationalsozialismus. Franz Rademachers "Madagaskarplan" fand Beachtung in höchsten Kreisen, darunter beim Gastgeber der späteren Wannseekonferenz, Reinhard Heydrich, dem NS-Chefideologen Alfred Rosenberg und Hitler selbst: Das Vorhaben, "Madagaskar für Judenunterbringung unter französischer Verantwortung" zu verwirklichen, hieß der Diktator im Juni 1940 gut, wie Großadmiral Erich Raeder notierte.

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Denn für die Nationalsozialisten erfüllte die Insel gleich mehrere Kriterien: Groß genug sei Madagaskar, um Millionen von Juden dorthin zu deportieren. Die isolierte Lage durch das Inseldasein ermögliche es wiederum, die in das "Großghetto" vertriebenen Juden an einer weiteren "rassischen Vermischung" mit anderen "Völkern" zu hindern. "Schnelle und wachsame Polizeischiffe" sollten zusätzlich "die Insel Madagaskar ständig umkreisen", zitiert der Historiker Magnus Brechtken in seiner Untersuchung "Madagaskar für die Juden. Antisemitische Idee und politische Praxis 1885–1945" die nationalsozialistische Zeitschrift "Stürmer", die für ihre Hetze gegen Juden bekannt gewesen ist.

Was aber sollte aus den Millionen Menschen werden, wenn der "Madagaskarplan" tatsächlich durchgeführt worden wäre? Die Insel war seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine französische Kolonie, galt als wenig erschlossen – und kaum auf derart viele Menschen vorbereitet, wie die Nationalsozialisten dorthin deportieren wollten. Hasserfüllt schrieb der "Stürmer", dass "Juden das Klima der ganzen Welt vertragen können". Sie könnten sich schon "eingewöhnen". Im Klartext: Falls sie dort sterben würden, wäre dies für die Nationalsozialisten ohne Belang. Wenn sie darauf nicht sogar spekulierten.

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Rademacher hatte sich für seinen Plan auch schon Gedanken darüber gemacht, wie Millionen Menschen ans andere Ende der Welt gebracht werden könnten. Die perfide Idee des Juristen: Die ohnehin bald bezwungenen Briten und Franzosen sollten für die Verwirklichung des düsteren Vorhabens herhalten. "Wieviel Geld und wieviel Schiffe" das jeweilige Land für die millionenfache Deportation stellen sollte, wäre entsprechend noch zu klären gewesen.

Großbritannien blieb unbesiegt

Während Frankreich im Juni 1940 tatsächlich die Waffen vor der Wehrmacht streckte, setzte Großbritannien den Kampf gegen Deutschland aber fort. Die überlegene Royal Navy beschützte nicht nur die britische Insel, sondern machte auch alle Pläne der Nationalsozialisten zunichte, die Juden massenhaft per Seeweg gen Madagaskar zu deportieren. Der grausame "Madagaskarplan" wurde deshalb nie Realität.

Stattdessen gingen die Nationalsozialisten in ihrer Unmenschlichkeit sogar noch weiter. "Nicht nach Madagaskar" sollten die Juden schließlich "abgeschoben" werden, beschied Franz Rademacher im Februar 1942 im Auswärtigen Amt den Entschluss Hitlers, "sondern nach dem Osten". Was das bedeute, war kurz zuvor auf der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 nochmals deutlich geworden: die "Endlösung der Judenfrage" durch systematische Ermordung dieser Menschen, wie es etwa in Vernichtungslagern im besetzten Polen geschah.

Wie ordnet sich aber der "Madagaskarplan" in die Genese des Holocaust ein? Der Historiker Christopher Browning charakterisiert ihn als "wichtigen psychologischen Schritt" hin zur "Endlösung". Denn das hinnehmende, wenn nicht gar bezweckte massenhafte Sterben von Juden aufgrund einer Deportation nach Madagaskar war eine weitere Entgrenzung der Gewalt.

An dieser Stelle bekommt die Warnung des Deutschen Richterbundes Gewicht, trotz ihrer historischen Unschärfe angesichts des rechtsextremen Treffens vom November 2023: So betrachtet begann die Entrechtung, Verfolgung wie auch die Ermordung der Juden im Nationalsozialismus bereits vor der Wannseekonferenz vom Januar 1942. Wenn in unserer Gegenwart nun Rechtsextreme wie Martin Sellner einen "Musterstaat" in Nordafrika für die "Aufnahme" von aus Deutschland Deportierten herbeifantasieren, besteht deshalb höchste Gefahr.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Peter Longerich: "Antisemitismus: Eine deutsche Geschichte", München 2021
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