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80 Jahre Hitler-Attentat 1944: Für Widerstandskämpfer gab es Verachtung


Anschlag 1944
Hitlers Rache verfolgte sie noch im Tod


Aktualisiert am 20.07.2024Lesedauer: 5 Min.
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Nationalsozialistischer Volksgerichtshof: Roland Freisler (m.) fällte zahlreiche Todesurteile.Vergrößern des Bildes
Nationalsozialistischer Volksgerichtshof (nachträgliche Kolorierung): Roland Freisler (M.) fällte zahlreiche Todesurteile. (Quelle: ullstein bild)

Am 20. Juli 1944 wollten Widerstandskämpfer Adolf Hitler töten, doch das Attentat misslang. Noch in der jungen Bundesrepublik Deutschland galten die Männer und Frauen des Widerstands als Verräter.

Die Geschichte hätte am 20. Juli 1944 einen anderen Verlauf nehmen können. In der "Wolfsschanze", Adolf Hitlers Führerhauptquartier in Ostpreußen, platzierte Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine Bombe, die den Diktator töten sollte. Doch Hitler überlebte die Explosion. Von "Vorsehung" faselte der Despot, dabei hatten "widrige Umstände" den Widerstandskämpfern und ihren Plänen zum Umsturz im Wege gestanden, wie es der Historiker Antony Beevor einmal ausgedrückt hat.

Einen dieser Umstände stellte Otto Ernst Remer dar, der als Major der Wehrmacht in Berlin das Wachregiment befehligte. Remer, Nazi durch und durch, aber auch Befehlen mit Kadavergehorsam folgend, war von den Widerstandskämpfern dafür vorgesehen, die Hauptstadt kontrollieren zu helfen. Allerdings misslang das Vorhaben, Remer erfuhr in kritischer Stunde, dass die Bombe Hitlers Leben nicht beendet hatte.

Video | Claus Schenk Graf von Stauffenberg: So plante er das Attentat auf Adolf Hitler
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Quelle: t-online

Nun standen Remer und seine Soldaten zur Verfügung, um dem Umsturzversuch des 20. Juli 1944 ein Ende zu machen – ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zum Scheitern. Stauffenberg starb noch in der Nacht vor einem Erschießungskommando, zusammen mit einigen Mitverschwörern. Sie sollten nicht die letzten sein, denn Hitlers Rachedurst war lange nicht gestillt. Eidbrecher waren sie für ihn, als Verräter verdammte er sie, so wie viele Deutsche auch. Der 20. Juli 1944 war gescheitert, die Männer und Frauen, die Hitler und Konsorten aufhalten wollten, waren nun gebrandmarkt im Nationalsozialismus, der Abermillionen Menschen durch Weltkrieg und Holocaust das Leben gekostet hatte.

Am Ende war der Nationalsozialismus erst am 8. Mai 1945, als die Wehrmacht bedingungslos kapitulierte. Doch die Verurteilung, Schmähung und Diffamierung der umgebrachten und noch lebenden Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 wie ihrer Angehörigen ging auch in der jungen westdeutschen Demokratie seit 1949 ungebrochen weiter. Das Attentat auf Hitler war und ist ein Deutungskampf, bis heute.

Arroganter Selbstdarsteller

"Der 20. Juli 1944 war immer ein schwieriges Datum und ein Stachel im Fleisch deutscher Selbstgewissheit", schreibt die Journalistin Ruth Hoffmann ganz richtig in ihrem wichtigen und alte Legenden zertrümmernden Buch "Das deutsche Alibi". "Weil er das Märchen vom verführten Volk entlarvte, das von nichts gewusst habe."

In den Fünfzigerjahren setzte sich dann ein Mann das Ziel, das Bild vom 20. Juli 1944 historisch gerade zu ziehen und Hitlers Verdikt zu entlarven: Fritz Bauer, Jurist und Generalstaatsanwalt in der niedersächsischen Stadt Braunschweig. Bauer war Jude, 1936 aus Deutschland geflohen, Jahre später aus dem von der Wehrmacht besetzten Dänemark und im Jahr der Gründung der Bundesrepublik 1949 heimgekommen.

Bauer war seitdem schockiert: Der Nationalsozialismus war im Mai 1945 zwar besiegt, die Nationalsozialisten mit ihm aber nicht verschwunden. Im Gegenteil, sie bekleideten in der jungen Bundesrepublik munter Posten und verfügten wieder über Macht. Einer von ihnen war Otto Ernst Remer, der sich nach dem 20. Juli 1944 in Hitlers Gunst sonnen konnte und es so schließlich in jungen Jahren bis zum Generalmajor gebracht hatte.

Der fanatische Nazi Remer hielt auch im neuen demokratischen Westdeutschland seiner Vergangenheit zum Trotz nicht den Mund. Remer war Mitglied der Sozialistischen Reichspartei (SRP), die aus ihrer nationalsozialistischen Ausrichtung keinen Hehl machte, und äußerte immer wieder seinen Hass auf die Widerstandskämpfer des 20. Juli. Der verlorene Krieg? Die Schuld des Widerstands, deren Angehörige doch bestochen worden wären von Deutschlands Gegnern. So hetzte und hetzte Remer ungehindert.

"Moralisches Gerippe"

Dem Einhalt gebieten wollte 1951 Robert Lehr, seines Zeichens Bundesinnenminister, der aufgrund seiner eigenen Verbindungen zum Widerstand Remers Treiben nicht mehr zusehen mochte: Er zeigte Remer an. Ein mutiger Schritt in dieser Zeit, denn "noch immer wog das Wohlergehen der Täter und Mitläufer schwerer als das der Opfer", wie Ruth Hoffmann resümiert. Für Fritz Bauer war es die Gelegenheit.

Im März 1952 startete der Prozess gegen Otto Ernst Remer. Mit Remer, der sich arrogant und siegessicher gab, saß das gesamte "Dritte Reich" auf der Anklagebank, so hatte es Fritz Bauer geplant. Denn der Kardinalvorwurf der nationalsozialistischen Justiz, des Regimes insgesamt und der auf Hitler vereidigten Wehrmacht gegen die Widerstandskämpfer um Oberst von Stauffenberg lautete auf Eidbruch.

Aber kann ein Eid auf ein Regime, das keinerlei Moral, keinerlei Anstand besaß, sondern im höchsten Maße kriminell und zerstörerisch war, bindend sein? War nicht vielmehr jedweder Widerstand gegen einen solchen Unrechtsstaat gerechtfertigt? Für Fritz Bauer war die Antwort klar.

Bauer bot Sachverständige auf, die aus theologischer Sicht den Eid auf Hitler demontierten, ein ehemaliger hoher Offizier attestierte den soldatischen Widerstandskämpfern des 20. Juli ein "hohes sittliches Verantwortungsgefühl". Der Eid auf den "Führer"? Nicht mehr als "moralisches Gerippe". Die anwesenden Angehörigen des 20. Juli, immer noch bedrückt von den NS-Unrechtsurteilen, werden diese Worte gerne vernommen haben,

Nicht die Zerstörung Deutschlands sei das Ziel der Widerständler gegen Hitler gewesen, sondern seine Bewahrung, so attestierten es neben Experten auch überlebende Widerstandskämpfer wie Angehörige der Hingerichteten. Ist das Landesverrat? Ist das Eidbruch? Wohl kaum. Zumal das Nazi-Reich den Krieg im Juli 1944 schon lange verloren hatte, es aber nur nicht wahrhaben wollte. In einem langen, langen Plädoyer sinnierte Bauer schließlich über die Neubewertung des 20. Juli in der so jungen zweiten deutschen Demokratie, in der so viele Schuldige, so viele Mitwisser lebten.

Gezerre um die Geschichte

Wie sollte Bauer damit umgehen? "Allen Mitläufern und Parteigenossen baute er eine Brücke", schreibt Ruth Hoffmann. "Indem er daran erinnerte, wie viel Mut es erfordert hatte, Widerstand zu leisten, dass es angesichts des Terrors aber ebenso gute Gründe gegeben hatte, es nicht zu tun." Der Verlauf des Prozesses, die verschiedenen Aussagen und Bauers Worte hinterließen einen tiefen Eindruck. Nicht nur bei den Anwesenden, sondern im ganzen Land, denn die Medien berichteten unablässig.

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Ein Mann geriet dabei allerdings nahezu in Vergessenheit, und zwar Otto Ernst Remer, der auf der Anklagebank saß. Drei Monate Haft kassierte der Nazi am Ende. Er war der üblen Nachrede und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener für schuldig befunden worden, so Ruth Hoffmann. Die Frage, was der Nationalsozialismus gewesen ist, beantwortete das Gericht ebenfalls – und zwar "schreiendes Unrecht, dessen Beseitigung geboten" war. Damit war längst nicht jeder einverstanden. "Sie sind doch Verräter", hatten in Celle, wo Remers SRP sehr stark war, Ewiggestrige im Stadtbild mit Farbschmierereien ihre Meinung kundgetan, so Heiko Buschke in seinem Buch "Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer".

Der Streit und das Gezerre um den 20. Juli war damit noch lange nicht vorbei, auch nicht als die Widerstandskämpfer als Identifikationsfiguren für die neu entstehende Bundeswehr entdeckt wurden. Bis in unsere Zeit hinein reicht die Auseinandersetzung, nun ist es die AfD, die den Widerstand für sich vereinnahmen will, wie Ruth Hoffmann in "Das deutsche Alibi" eindrücklich darlegt. Das große Verdienst ihres Buches liegt zusätzlich in der Darstellung anderer Richtungen des Widerstands gegen Hitler als den militärischen, verkörpert durch Stauffenberg.

Denn als der spätere Hitler-Attentäter Stauffenberg noch die Machtübernahme der Nationalsozialisten guthieß und in dem vom Diktator begonnenen Krieg kämpfte, hatten andere längst dem Regime Widerstand entgegengesetzt, darunter Sozialdemokraten und Kommunisten. Auch der Schreiner Johann Georg Elser hatte viel früher und viel hellsichtiger als Stauffenberg und Co. erkannt, in welches Inferno Hitler die Welt stürzen würde.

Elsers einsam geplantes und durchgeführtes Attentat auf Hitler scheiterte im November 1939, vier Jahre bevor Stauffenberg aktiv wurde. Elser war eine wahre "Lichtgestalt des Widerstands", wie der Historiker Wolfgang Benz schreibt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Ruth Hoffmann: "Das deutsche Alibi. Mythos 'Stauffenberg-Attentat' – wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird", München 2024
  • Ulrich Schlie: "Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Biografie", Freiburg im Breisgau 2018
  • Wolfgang Benz: "Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser, München 2023
  • Heiko Buschke: "Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer", Frankfurt/Main 2003
  • Antony Beevor: "Der Zweite Weltkrieg", 3. Auflage, München 2012
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