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"Operation Bagration" im 2. Weltkrieg: Hitler und seine schwerste Niederlage


"Operation Bagration" 1944
Bei den Deutschen herrschte das blanke Entsetzen


Aktualisiert am 22.06.2024Lesedauer: 6 Min.
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Adolf Hitler 1945: Die sowjetische "Operation Bagration" war eine vernichtende Niederlage für die Wehrmacht.Vergrößern des Bildes
Adolf Hitler 1945: Die sowjetische "Operation Bagration" war eine vernichtende Niederlage für die Wehrmacht. (Quelle: ullstein-bild)

Gerade waren die westlichen Alliierten in der Normandie gelandet, dann begann vor 80 Jahren am 22. Juni 1944 im Osten ein Großangriff der Roten Armee: Die "Operation Bagration" entwickelte sich zur Katastrophe für die Wehrmacht.

Die ganze Welt konzentrierte sich im Juni 1944 auf eine Region im Norden Frankreichs – in der Normandie waren am 6. Juni die westlichen Alliierten in der Normandie gelandet. Mehr als 5.000 Schiffe und über 150.000 Soldaten waren beim Sturm auf Adolfs Hitlers sogenannte Festung Europa beteiligt. In erbitterten Gefechten sollten sie in den kommenden Wochen die freigekämpften Brückenköpfe erweitern.

Hitler und seine Generäle hatten die Invasion im Westen erwartet, der Diktator sogar herbeigesehnt. Er wollte Amerikaner und Briten bezwingen, doch irrte er sich sowohl beim Ort der Invasion als auch bei den Chancen auf einen Sieg. Im Osten erwarteten die Deutschen ebenfalls zu dieser Zeit eine Offensive – und wiederum verkalkulierten sie sich. Eher im Norden, eher im Süden der riesigen Ostfront lauteten die Vermutungen. Tatsächlich zielten die sowjetischen Planungen auf die deutsche Heeresgruppe Mitte in Belarus.

Die Bezeichnung "Operation Bagration" hatte Josef Stalin ausgewählt. Fürst Pjotr Iwanowitsch Bagration (1765 bis 1812) war nicht nur ein georgischer Landsmann des Sowjetdiktators gewesen, sondern auch ein Held des "Vaterländischen Krieges" von 1812 im Kampf gegen die Invasion von Napoleon Bonaparte. Da lag es nahe, im "Großen Vaterländischen Krieg", wie der Abwehrkampf gegen die Deutschen seit dem Überfall 1941 genannt wurde, eine entscheidende Offensive nach Fürst Bagration zu nennen.

Nichts sollte dabei dem Zufall überlassen bleiben. Mehr als ein Dutzend Armeen konzentrierte die Rote Armee im rückwärtigen Gebiet, mehr als zwei Millionen Soldaten, über 5.000 Panzer, rund 5.000 Kampfflugzeuge und Zehntausende Geschütze, wie der Historiker Richard Overy in seinem Werk "Weltenbrand. Der große imperiale Krieg 1931 – 1945" schreibt. Wie konnte dieser massive Aufmarsch den Deutschen aber verborgen bleiben?

"Einer der krassesten Irrtümer des Krieges"

Mehrere Gründe zeichneten dafür verantwortlich: Zum einen war die materielle Überlegenheit der Sowjetunion, die zudem in großem Ausmaß mit Gerät von den USA unterstützt wurde, mittlerweile erdrückend. Besonders in der Luft hatten die Deutschen nahezu kaum noch Möglichkeiten zur Aufklärung angesichts der feindlichen Übermacht. Zum anderen führte die Rote Armee umfangreiche Täuschungsmanöver durch, ähnlich wie es die westlichen Armeen vor der Landung in der Normandie betrieben hatten.

Die Heeresgruppe Mitte ahnte so nicht, was ihr bevorstand. Im Gegenteil, die Experten von der Feindaufklärung "Fremde Heere Ost" hatten ihr einen "ruhigen Sommer" prophezeit, wie Richard Overy zitiert. Und zugleich konstatiert: "Es war einer der krassesten Irrtümer des Krieges." Wohl wahr.

Am 22. Juni 1944 begann die "Operation Bagration" mit massivem Artilleriebeschuss deutscher Stellungen. Ein Tag von hoher Symbolik, hatte doch drei Jahre zuvor Deutschland die Sowjetunion an diesem Tag überfallen und einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg begonnen. Vier sowjetische "Fronten", sprich Großverbände, die 1. Baltische und die 1., 2. und 3. Belarussische gingen während der Großoffensive zum Angriff über, dieser gewaltigen Übermacht hatte die Heeresgruppe Mitte nichts entgegenzusetzen.

Deren Befehlshaber, Generalfeldmarschall Ernst Busch, hatte knapp eine halbe Million Mann unter seinem Kommando, davon aber nicht einmal 200.000 als "reguläre Kampftruppen", wie Richard Overy betont. Der Mangel an Männern, Gerät und Munition war gewaltig. Zudem erwies sich Busch alles andere als geeignet für seine Aufgabe, seine Loyalität zu Hitler war für seine Karriere auschlaggebender gewesen als seine Befähigung zum Kommandeur einer deutschen Heeresgruppe.

"Unaufhaltsam war die Wucht"

So kam es, wie es kommen musste: Die Rote Armee rückte unaufhaltsam vor, am Boden und in der Luft, von wo aus ihre Schlachtflugzeuge Iljuschin Il-2, auch Schturmowik genannt, Schrecken verbreiten. Sowjetische Panzer rückten so unterstützt im Eiltempo vor, ihr Ziel: "schnell Angriffskeile tief in den Rücken der feindlichen Front" zu treiben, so Richard Overy.

Bei den deutschen Divisionen herrschte Entsetzen. "Mit Trommeln begann der Russe mit aller Macht", zitiert Antony Beevor in seinem Buch "Der Zweite Weltkrieg" einen deutschen Soldaten. "Unaufhaltsam war die Wucht." Entsprechend gering war der Widerstand, ihn gab es vor allem da, wo entsprechende Waffen zur Panzerabwehr vorhanden waren. Widerstand wurde allerdings von den deutschen Soldaten erwartet; und zwar von höchster Stelle: Adolf Hitler.

Rückzug war für den Despoten eher ein Fremdwort, die Männer sollten in unmöglicher Lage durchhalten, als "wahnsinnigen Durchhaltebefehl", bezeichnet es Antony Beevor. Ernst Busch handelte im Sinne Hitlers. Verantwortungsvollere Offiziere ignorierten dagegen die Befehle von oben. So führte General Kurt von Tippelskirch seine 4. Armee, beziehungsweise was von ihr noch übrig war, über den Dnepr zurück. Manch anderer Offizier griff zu Notlügen, um Rückzüge zu rechtfertigen und so das sinnlose Sterben der Männer zu verhindern. Die sowjetische Angriffsmaschinerie lief derweil weiter und weiter.

Während die Sowjets planmäßig vorrückten, herrschte bei der Wehrmacht das Chaos. Antony Beevor zitiert einen deutschen Soldaten: "Die Gegner haben jetzt das gemacht, was wir 41 machten: Kessel auf Kessel." Auf der Flucht ließen die Deutschen Verwundete zurück, so groß waren Zeitdruck und Furcht.

"Über die Leichen der Deutschen"

Zurück blieb das Grauen. Aus Bobruisk in Belarus, wo die Deutschen während der Besatzungszeit gnadenlos gewütet hatten, berichtete der Kriegsreporter Wassili Grossman, wie "ein Partisan, ein kleines Männlein" im Zorn "zwei Deutsche" umbrachte. "Ihm schien, diese beiden hätten seine Tochter Olga und deren zwei kleine Söhne ermordet." Schon Grossmanns vorherige Einfahrt in Bobruisk war schauderhaft gewesen: "Die Truppen schreiten über die Leichen von Deutschen."

Der Erfolg der Roten Armee beruhte auch auf deren Ignoranz. 1941 waren die nationalsozialistischen Invasoren "blitzkriegsartig" in die Sowjetunion eingefallen, in gigantischen Kesselschlachten schlugen sie die Rote Armee ein ums andere Mal. In rassistischer Verblendung hielten die Nationalsozialisten ihre sowjetischen Feinde für unterlegen und unfähig. Ein Irrtum, wie die "Operation Bagration" bewies.

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"Tiefe Operation" nannte sich eine zum "Blitzkrieg" vergleichbare, bereits in den Zwanzigerjahren in der Sowjetunion entwickelte Militärdoktrin, die während dieser Großoffensive angewendet wurde. Die sowjetischen Verbände stießen schnell in deutsch besetztes Gebiet vor, sie stießen effektiv vor, ohne sich damit aufzuhalten, rechts und links die feindlichen Stellungen auszuheben. Das überließen sie den nachrückenden Einheiten.

Deutsch besetzte Städte sollten in Form von "Festen Plätze" gehalten werden, so wollte es der Diktator Hitler: reines Wunschdenken angesichts der Kräfteverhältnisse. Bis Ende des Monats Juni nahm die Rote Armee Witebsk, Orscha, Mogilew, Bobruisk, am 3. Juli Minsk ein. Zu diesem Zeitpunkt war Ernst Busch nicht mehr Befehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Walter Model hatte auf Geheiß Hitlers übernommen.

Nur Rückzug möglich

Model blieb nichts anderes übrig, als der Realität ins Auge zu blicken: Die Rote Armee hatte der deutschen Ostfront ein gewaltigen Riss zugefügt, 400 Kilometer weit, mehr als 160 Kilometer in der Tiefe. Und das in einem Zeitraum von rund zwei Wochen. Etwa 300.000 deutsche Soldaten nahmen die Rotarmisten gefangen in dieser Zeit, so Richard Overy. Ein Schicksal, das andere deutsche Soldaten um jeden Preis verhindern wollten. Rückzug hieß das Gebot der Stunde.

Die Rote Armee nutzte ihren Schwung und den anhaltenden Schock der Deutschen. Am 13. Juli stand sie in der litauischen Hauptstadt Vilnius, Kaunas verlor die Wehrmacht zu Beginn des folgenden Augusts: Das deutsche Ostpreußen war nicht weit. In diesem Monat lief die "Operation Bagration" allmählich aus, fast 500 Kilometer hatte sie die sowjetischen Truppen durch deutsch besetztes Territorium gebracht.

Ein großer Sieg für die Rote Armee, ein Desaster für die Wehrmacht. Die Heeresgruppe Mitte war zerschlagen, mindestens 400.000 Mann waren tot, vermisst oder gefangen genommen worden. Die "Operation Bagration" gilt als schwerste deutsche Niederlage überhaupt. "Mehr Loch als Front", kommentierte Hitler die Lage im Osten.

Allerdings war die Lage noch schlimmer, da andere sowjetische Verbände an anderen Frontabschnitten ebenfalls mit Erfolg angriffen. Die Wehrmacht stand unter gewaltigem Druck: im Osten, in Italien und in Frankreich, wo die aus der Normandie ausgebrochenen Westalliierten im August Paris befreiten. Die letzten Tage des "Dritten Reichs" waren endgültig angebrochen, Hitler und andere Verblendete wollten es nur nicht wahrhaben.

Auf ihrem Zug nach Westen entdeckten die Rotarmisten auch die Orte deutscher Mordtaten, so das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek im Juli 1944. Es war für sie nur noch mehr Anlass, dem Nationalsozialismus das Ende zu bereiten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Richard Overy: "Weltenbrand. Der große imperiale Krieg, 1931 – 1945", Berlin 2023
  • Antony Beevor: "Der Zweite Weltkrieg", 3. Auflage, München 2012
  • Stephan Lehnstaedt: "Der Warschauer Aufstand 1944", Ditzingen 2024
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