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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Röhm-Putsch" 1934 Hitler entschied, welche SA-Leute sterben mussten
Heute gilt Adolf Hitler als unumschränkter Diktator, doch 1934 gärte die Unzufriedenheit in Deutschland. Hitler reagierte vor 90 Jahren mit einer Mordserie, die auch einen mächtigen Nazi das Leben kostete.
Adolf Hitler hatte Mord im Sinn, als er in den frühen Morgenstunden des 30. Juni 1934 München erreichte. Sein Zorn richtete sich gegen die eigenen Leute, die "Sturmabteilung" der NSDAP, kurz "SA" genannt. Zunächst traf seine Wut zwei hohe SA-Führer, denen er den Tod androhte. Die Person, der Hitlers Reise nach Bayern eigentlich galt, hielt sich allerdings gar nicht in München auf: Ernst Röhm, Stabschef der gefürchteten SA.
Nichtsahnend schlief Röhm zu diesem Zeitpunkt in seinem Zimmer in einer Pension in Bad Wiessee am Tegernsee. Eine Besprechung mit anderen SA-Führern sollte später stattfinden. Dazu kam es aber nicht mehr. Hitler war an den Tegernsee weitergeeilt – und ließ Röhm und die anderen anwesenden SA-Führer festnehmen. Und nicht nur dort.
Nur Stunden später wurden erste SA-Führer im Münchner Gefängnis Stadelheim mit Schüssen getötet. Hitler hatte die Todeskandidaten persönlich ausgewählt. Doch nicht nur in Bayern wurde gemordet; und nicht nur SA-Angehörige starben. Hitler hielt eine blutige Abrechnung mit allen, die er als Gefahr oder Ärgernis betrachtete.
Als "Röhm-Pusch" wird bis heute die Serie von Morden bezeichnet, die sich seit Ende Juni 1934 im nationalsozialistischen Deutschland ereignete. Einspruch gegen diese Bezeichnung erhebt Peter Longerich, einer der renommiertesten Experten für die Geschichte des Nationalsozialismus in seinem Buch "Abrechnung. Hitler, Röhm und die Morde vom 30. Juni 1934".
"Blutiger Rundumschlag"
"Es ist an der Zeit, die Dinge endlich beim Namen zu nennen", betont Longerich darin. Denn die Bezeichnung "Röhm-Putsch" überdeckt propagandistisch im Sinne der Nationalsozialisten, dass die damit bezeichneten Ereignisse in Wirklichkeit ein "Massenmord" des Diktators Hitler und seines Regimes gewesen sind. Die Mordserie galt auch nicht nur der SA, sondern griff weiter, wie Longerich zu Recht schreibt. Es war ein "blutiger Rundumschlag" gegen Missliebige, nach bisherigem Forschungsstand starben 90 Personen, so Longerich.
Doch warum griff Hitler 1934 zu solchen Mitteln? Weitverbreitete Unzufriedenheit lautet die Antwort, nicht nur bei der Massenorganisation SA, sondern in weiten Teilen des Reichs. Zunächst zur SA: Zwischen der paramilitärischen Truppe, die für ihre Gewalttätigkeit berüchtigt war, und der NSDAP kriselte es seit Langem und immer wieder. Die SA war stark auf der Straße und wusste um diese Macht.
1930 installierte Hitler Röhm – einen SA-Veteranen, der zuvor einige Zeit in Südamerika verbrachte hatte – erneut an der Spitze der "Sturmabteilung", um sie zu disziplinieren. Einige Zeit erwiesen sich Röhm und seine Schläger auch als ausgesprochen nützlich, insbesondere nachdem Hitler Ende Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt worden war. Durch Terror und Mord trugen sie ihren Teil zum Untergang der Demokratie und der Errichtung der NS-Diktatur bei.
Dafür erwarteten Röhm und Kumpane eine ihnen gebührende Rolle, was Misstrauen und Ablehnung an vielen Stellen erregte: bei Hitler, der aus der Natur eines Diktators heraus ohnehin jede zu starke Konzentration von Macht mit Missfallen sah, aber unter anderem auch bei der Reichswehr, der die SA den Rang ablaufen wollte. Mit mehr als vier Millionen Angehörigen gebot Röhm in dieser Zeit auch über eine furchterregende Anzahl an Männern.
"Tiefgreifende Vertrauenskrise"
Der SA-Chef trat auch nach der "Machtergreifung" 1933 vehement für eine fortgesetzte "nationalsozialistische Revolution" ein, was Hitler zutiefst missbilligte, weil er ebendiese "Revolution" für abgeschlossen erklärt hatte. Hitler setzte etwa auf die Reichswehr als Instrument seiner Kriegspläne. Röhms Personenkult konnte Hitler erst recht nicht gefallen, so Longerich. So herrschten innerhalb des nationalsozialistischen Regimes enorme Spannungen zwischen der SA "auf der Straße", der Partei an sich wie ihren Politikern in Funktionsstellen des Staates.
Das war aber nicht Hitlers einziges Problem, Longerich attestiert für das "Frühjahr 1934 eine tiefgreifende Vertrauenskrise in der Bevölkerung". Der offiziellen Propaganda zum Trotz herrschte weder bei Arbeitern noch beim Mittelstand noch bei Landwirten allgemeine Zufriedenheit, und auch bei den beiden Kirchen erreichten die Nationalsozialisten nicht die gewünschten Ziele.
Auch Hitler blieb diese Entwicklung nicht verborgen. In dieser ohnehin angespannten Situation kam es zu weiteren Ereignissen, die Longerich als Vorstufen zum "Röhm-Putsch" nennt. Zentral ist der 17. Juni 1934, als Vizekanzler Franz von Papen, ein konservativer Steigbügelhalter Hitlers, in Marburg einen Vortrag hielt, die den "Totalitätsanspruch und die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten sehr offen kritisierte". Verantwortlich für von Papens Worte waren seine Mitarbeiter wie Edgar Jung und Herbert von Bose, die spekulierten, Hitlers Macht noch irgendwie einschränken zu können.
Der Diktator fühlte sich herausgefordert und ging in die Offensive – zusammen mit den Rivalen der SA wie der Reichswehr und Heinrich Himmlers SS. Ab wann Hitler beim Außer-Gefecht-Setzen der SA-Führung in der Kategorie Mord dachte, ist unklar. Longerich hält den 29. Juni 1934 für wahrscheinlich. Einen Tag später begann dann das Töten.
Auch ein General wurde erschossen
Es traf Menschen unterschiedlichster Art. SA-Führer standen ganz oben auf der Todesliste des Regimes, aber etwa auch drei Himmler missliebige SS-Leute, ebenfalls Konservative, die schon unbequem waren oder es hätten werden können. Zugleich nutzten manche Täter die "Nacht der langen Messer", um Rache an persönlichen Opponenten zu verüben. Auch Juden waren unter den Opfern.
Karl Ernst, Chef der SA in Berlin, wurde in Bremen aufgegriffen, gerade im Begriff, ein Schiff nach Madeira zu besteigen. Stattdessen starb Ernst in der Hauptstadt einen gewaltsamen Tod. Wie auch einige seiner Unterführer. Besondere Aufmerksamkeit erregte aber eine andere Mordtat: Mit drei Schüssen brachten einige Männer Kurt von Schleicher in seinem Arbeitszimmer um. Als seine Frau hereinkam, töten sie sie ebenfalls.
Kurt von Schleicher war nicht irgendwer: Der General war kurz vor dem Ende der Weimarer Republik erst Reichswehrminister und schließlich Reichskanzler geworden. In den Amtsräumen von Vizekanzler von Papen, der abwesend war, wurde ebenfalls Blut vergossen: Seinen Pressechef Herbert von Bose erschossen Hitlers Schergen in dessen Büro. Jung, bereits einsitzend, sollte ebenfalls sein Ende finden.
Berlin, Schlesien und Bayern waren Schwerpunkte der Morde des "Röhm-Putsches", dort sind 76 der 90 Toten umgebracht worden, so Peter Longerich. In Bayern, im Gefängnis Stadelheim, starb auch Ernst Röhm am 1. Juli 1934. Theodor Eicke, Kommandant des KZ Dachau, erschien dort an diesem Tag und brachte Röhm eine Schusswaffe in die Zelle. Zehn Minuten habe der SA-Chef, um sich selbst zu töten.
Auf dem Weg zur absoluten Macht
Röhm blieb untätig, Eicke und ein weiter SS-Mann eröffneten das Feuer nach Ende der zehn Minuten. Als der KZ-Kommandant Stadelheim verließ, nahm er die dort inhaftierten überlebenden SA-Führer mit. Sie starben bald darauf in Dachau. Hitler und sein Regime hatten ihre Fähigkeit zu Terror und Gnadenlosigkeit erneut demonstriert. Mittel zum Zweck war der Vorwurf eines Putschversuchs seitens der SA, den Experte Longerich zurecht als "eine außerordentlich dreiste und schlecht fabrizierte Lüge des Regimes" beschreibt.
Hegte der Diktator zumindest aber die irgendwie geartete Überzeugung, dass die SA tatsächlich den Umsturz wagen wollte? "Ist nicht zu beantworten und eigentlich auch zweitrangig", schreibt Peter Longerich bezüglich dieser Frage. Denn allein die Gemengelage, etwa aus weitverbreiteter Unzufriedenheit in Deutschland und den ständigen Reibereien mit der SA, war "in seiner Wahrnehmung", so Peter Longerich, "bereits eine Art von 'Putsch' bzw. ein Staatsstreich, und auf diese subjektive Bedrohung reagierte er, indem er eine Welle von Gewalt und Terror auslöste."
Hitler ging aus dem "Röhm-Putsch" als Gewinner hervor, der Diktator hatte seinen Willen zur unbedingten Macht bewiesen. Auch über die Leichen der eigenen Leute hinweg. Die Propaganda zelebrierte Hitler als "starken Mann", der einen Umsturz abgewendet habe. Röhm, der homosexuell war, wurde hingegen eine Art Orgie am Tag seiner Festnahme am 30. Juni 1934 angedichtet, um ihn weiter zu diskreditieren.
Die "Niederschlagung" des "Röhm-Putsches" war ein in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzendes Ereignisses beim Ausbau der absoluten Macht Hitlers. Als der sieche Reichspräsident Paul von Hindenburg dann noch Anfang August 1934 starb, übernahm Hitler auch dessen Befugnisse. Die nationalsozialistische Diktatur war nun endgültig errichtet und abgesichert.
- Eigene Recherche
- Peter Longerich: "Abrechnung. Hitler, Röhm und die Morde vom 30. Juni 1934", Wien 2024