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Holocaust und Tag der Befreiung: “Kein Pardon zu erwarten”


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"Das Unmenschlichste, was ich erlebt habe"
Die Zeugnisse der Ermordeten


07.05.2024Lesedauer: 5 Min.
Ghetto Litzmannstadt im deutsch besetzten Polen (Archivbild): In ihrem Buch hat Andrea Löw zahlreiche Zeugnisse deportierter Juden zusammengetragen.Vergrößern des Bildes
Ghetto Litzmannstadt im deutsch besetzten Polen: In ihrem Buch hat Andrea Löw zahlreiche Zeugnisse deportierter Juden zusammengetragen. (Quelle: LEONE/Walter Genewein/imago-images-bilder)
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Die Nationalsozialisten ermordeten im Holocaust Millionen Juden, bis das Töten am 8. Mai 1945 endete. Ein neues Buch schildert die Grausamkeit von Deportationen und Massenmord – basierend auf Zeugnissen der Verfolgten.

Ein Zug aus dem fernen Hamburg kam im November 1941 in Minsk an. Die Ankömmlinge erwartete im Ghetto der belarussischen Hauptstadt das Grauen: "Überall war Blut, und auf den Öfen und Tischen stand noch das Essen", hat Heinz Rosenberg geschildert, was er damals sah. "Hunderte von Leichen bedeckten den Boden." Was war geschehen?

"Platz schaffen" durch Massenmord, so lautet die zynische Antwort. Für die Transporte mit aus Deutschland deportierten Juden hatten die Nationalsozialisten zuvor die einheimische jüdische Bevölkerung umgebracht. Schock und Sprachlosigkeit empfingen die neu Angekommenen – und die grausame Ahnung, welches Schicksal sie selbst erwarten sollte.

"Heute wir, morgen ihr", beschied ein überlebender Jude des vorigen Massakers der aus Deutschland verschleppten Erna Steiniger nach ihrer Ankunft im Ghetto. Im Falle von Erna Steiniger erwies sich diese Prophezeiung als falsch: Sie überlebte Minsk und eine Odyssee durch zahlreiche deutsche Konzentrationslager, darunter Majdanek, Auschwitz und Ravensbrück. So viele andere Deportierte kostete der von Deutschland im Rassenwahn verübte Holocaust das Leben.

Wie erlebten deutsche und österreichische Jüdinnen und Juden die Deportationen, welche Ängste, aber auch Hoffnungen hatten sie an den Orten, an die sie "nach Osten" verschleppt worden waren? Nur wenige dieser Menschen überlebten wie Erna Steiniger den von Deutschland begangenen Zivilisationsbruch, um davon berichten zu können. Doch auch die Ermordeten haben Zeugnisse hinterlassen, etwa in Form von Briefen und Einträgen in Tagebüchern.

"Tag und Nacht geweint"

Andrea Löw, Historikerin und stellvertretende Leiterin des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München, hat auf Grundlage dessen ein Buch geschrieben. "Deportiert. 'Immer mit einem Fuß im Grab' – Erfahrungen deutscher Juden" ist ein wichtiges Buch, beeindruckend und schonungslos. Wichtig, weil es die zahlreichen Zeugnisse der Deportierten verdichtet und zu einem Strang der Erinnerung formt. Beeindruckend, weil die Deportierten als Individuen zu Wort kommen: Männer und Frauen, Junge und Alte. Und nicht zuletzt schockierend, weil das Buch demonstriert, zu welcher Grausamkeit Menschen imstande sind.

"Es wird Ihnen hiermit eröffnet, dass Sie innerhalb von drei Stunden Ihre Wohnung zu verlassen haben", zitiert Löw eine Anordnung der Gestapo Darmstadt aus dem Frühjahr 1942. Von ihrem Eigentum durften die betroffenen Jüdinnen und Juden so gut wie nichts mitnehmen. "Wir haben Tag und Nacht geweint", bekannte Trude Friedrich angesichts dieses Schocks.

Abschied hieß es auch von Freunden und Bekannten zu nehmen, wenn der Deportationsbefehl eintraf. "Mein Leben lang werde ich diesen Abschied nicht vergessen", beschrieb Siegfried Weinberg die Trennung von seiner Mutter. "Betet für uns und gedenket unser, erzählet es Euren Kindern wieder, wie wir zu Tode gepeinigt wurden", schrieb Gretel Klein an ihre Kinder, die zuvor im Ausland in Sicherheit gebracht worden waren. Das Ehepaar Klein überlebte die Deportation nicht.

Das Berliner Reichssicherheitshauptamt zeichnete für die seit dem Herbst 1941 einsetzenden "systematischen Deportationen der Jüdinnen und Juden aus dem Großdeutschen Reich" verantwortlich, wie Andrea Löw schreibt. Bereits die Zustände in den Deportationszügen waren himmelschreiend. "Jetzt wussten wir alle, dass kein Pardon zu erwarten war", beschrieb der Gelsenkirchener Bernd Haase seine Verschleppung nach Riga. "Die Kinder schrien nach Wasser, alte und kranke Menschen litten jetzt schon unsäglich unter der immer mehr zunehmenden Kälte."

Ermordet kurz nach der Ankunft

In Riga, aber auch wie beschrieben in Minsk, hatten die dortigen SS- und Polizeieinheiten "Platz geschaffen" durch die Ermordung der dortigen jüdischen Bevölkerung. Aber auch den Jüdinnen und Juden aus Deutschland sollten die Nationalsozialisten letztlich den Tod bringen. Im Herbst 1941 ermordeten sie im Wald von Rumbula in Riga neben Tausenden lettischer Juden auch mehr als 1.000 aus Berlin Deportierte.

Und das Töten ging weiter: "Deutsche Einheiten mordeten die Ghettos leer", beschreibt Löw das Geschehen im Frühjahr 1942 im Distrikt Lublin. Wieder musste "Platz geschaffen" werden für weitere Deportierte. Während die einen Deportierten Sorge und Angst auf dem Weg gen Osten begleiteten, hegten andere Hoffnung. "Die Fahrt als solche war für mich ein großes Erlebnis", zitiert Löw aus einer Postkarte Oscar Hoffmanns, der nach Minsk deportiert wurde. "Wie ich gerade höre, besteht eine gewisse Möglichkeit, dass wir in den hiesigen Betrieben in unseren Berufen arbeiten können." Diese Hoffnung war trügerisch. Kurz nach seiner Ankunft wurde Oscar Hoffmann ermordet.

Allerdings wurden nicht alle aus dem "Großdeutschen Reich" Deportierten im Osten sofort umgebracht. Die Lebenden mussten sich auf eine Existenz in Not und Gefahr einstellen. "Dann kamen sie an den ihnen unbekannten Orten des Terrors und der Gewalt an", resümiert Andrea Löw. "Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen Toten sah", schilderte Fanny Englard einen Mord an einem Juden durch einen Deutschen. "So grauenvoll, er schoss ihm in den Kopf und zersplitterte seinen Schädel, die ganzen Gehirnstücke … es war alles so … voll Blut".

Der Gedanke an Flucht war manchen Deportierten gegenwärtig, aber nicht nur Furcht vor Entdeckung hielt sie davon ab. "Ich wollte schließlich nicht der Mörder meiner Eltern sein", bekannte Werner Sauer, die Deutschen hätten sich bei seinem Entkommen an seinen Verwandten gerächt. In einigen Fällen allerdings war eine Flucht möglich, der Hanauer Robert Eisenstädt entkam Majdanek und schaffte es auf Umwegen in die sichere Schweiz.

Rettung durch die Alliierten

1943 und 1944 lösten die Deutschen die Ghettos im Osten auf, wobei "auflösen" ein harmloses Wort für äußerste Brutalität ist. "Man löste das Ghetto auf, indem man sämtliche Kinder und Alte um die Ecke brachte", schildert Edith Blau das Vorgehen in Riga. "Arbeitsfähige" wurden erneut verschleppt, in Konzentrationslager weiter im Westen. "Es lässt sich nicht in Worte kleiden, was wir alles erlebten und sahen", zitiert Löw Lore Israel. "Die Zeit in Riga war noch die beste Zeit."

"Dieses KZ war das grausamste, unmenschlichste, was ich bisher gesehen und erlebt habe", beschrieb Günter Wallhausen die Zustände in Stutthof bei Danzig. An anderen Orten des nationalsozialistischen Terrors erging es den Eingesperrten ebenso. Rettung brachte der Vormarsch der alliierten Armeen, die nach und nach die Konzentrationslager befreiten. Die Freiheit konnten sie den Menschen wiedergeben, aber nicht das durch die Nationalsozialisten Geraubte: "Ich fragte mich, warum ich das alles überlebt hatte und wofür?", zitiert Löw Hannelore Marx. "Der Boden war mir unter den Füßen weggezogen worden."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Andrea Löw: "Deportiert. "Immer mit einem Fuß im Grab" – Erfahrungen deutscher Juden", Frankfurt /Main 2024
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