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Holocaust-Überlebende Hanan: "Auschwitz wurde mein Geschenk zum Geburtstag"


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Holocaust-Überlebende
"Wenn uns das gelingt, hat Hitler endgültig verloren"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 17.01.2023Lesedauer: 11 Min.
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1944 verschleppte die SS Rachel Hanan nach Auschwitz-Birkenau. Im Gespräch erklärt die Überlebende, wie sie die Hoffnung bewahrte – und welche Lehre sie aus dem Holocaust zieht.

Ein Zug brachte Rachel Hanan mit ihrer Familie im Mai 1944 an einen Ort, von dessen Existenz sie zuvor nichts geahnt hatte: Auschwitz-Birkenau. Während Hanan mit ihren drei Schwestern zur Zwangsarbeit ins Lager gesperrt wurde, schickte der SS-Arzt Josef Mengele Mutter, Vater und Brüder in die Gaskammern des Vernichtungslagers.

Auschwitz, Bergen-Belsen, Duderstadt und Theresienstadt: Vier deutsche Konzentrationslager sollte Rachel Hanan schlussendlich überleben. Im Gespräch mit t-online berichtet Hanan von den Schrecken, die sie erlebt hat, und wie es ihr gelungen ist, mit den Erinnerungen fertigzuwerden.

t-online: Frau Hanan, manche Auschwitz-Überlebende haben sich ihre auf dem linken Unterarm tätowierte Häftlingsnummer entfernen lassen. Sie tragen sie noch immer. Warum?

Rachel Hanan: Meine Nummer A-13561 gehört einfach zu mir. Sie entstellt mich nicht mehr und diskriminiert mich auch nicht mehr, wie es früher ihr eigentlicher Zweck gewesen ist. Im Gegenteil! Heute ist meine Nummer der Beweis dafür, aus welchem Holz ich geschnitzt bin. Ich habe Auschwitz, Bergen-Belsen, Duderstadt und Theresienstadt überlebt – und bin nicht daran zerbrochen.

Sie sind mit Ihrer Familie am 15. Mai 1944 in Auschwitz-Birkenau angekommen. Es war Ihr 15. Geburtstag.

Eigentlich hätte es ein schöner Tag sein sollen, stattdessen erwartete uns die Hölle. Mein Vater, damals Oberhaupt der jüdischen Gemeinde in meinem Heimatort, hatte es vorausgeahnt: "Wir werden Schreckliches erleiden, wir werden das Gesicht des Teufels erblicken." Diese Worte sprach er Mitte April 1944 zu mir und meinen Geschwistern, bevor wir ins Ghetto gesperrt worden sind. Ich habe sie damals nicht ernst genommen. Ich war ein recht furchtloses Mädchen, wohl auch ziemlich naiv, was die Grausamkeit betrifft, zu der Menschen fähig sind. Aber das sollte ich noch lernen: Auschwitz wurde mein Geschenk zum Geburtstag.

Ein furchtbares "Geschenk". Sie wussten zunächst auch nicht, an welchen Ort Sie gelangt waren.

Das stimmt. Unser Zug hielt irgendwann in den frühen Morgenstunden des 15. Mai 1944 an, dann hieß es warten. Stundenlang, im völlig überfüllten Waggon, in den wir hineingepfercht worden waren. Ich hatte Durst, so schlimmen Durst, das werde ich nie vergessen. Noch heute habe ich immer ein Glas Wasser in der Nähe.

Rachel Hanan, 1929 in Vișeu de Jos (deutsch: Unterwischau) im nördlichen Rumänien geboren, wurde 1944 mit ihrer Familie in das deutsche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt, später nach Bergen-Belsen und Duderstadt. Am 9. Mai 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee Hanan schließlich im Konzentrationslager Theresienstadt. 1947 ging sie nach Israel, wo sie lange Zeit als Sozialarbeiterin und Leiterin eines Wohlfahrtsverbandes tätig war. Am 18. Januar 2023 erscheinen mit "'Ich habe Wut und Hass besiegt'. Was mich Auschwitz über den Wert der Liebe gelehrt hat" Hanans Erinnerungen.

Was geschah dann?

Irgendwann hörten wir deutsche Stimmen, die Waggontür wurde geöffnet. Ein Aufseher sprang rein, teilte Schläge in alle Richtungen aus. Zuerst sollten die Männer aussteigen, befahl er.

Auch Ihr Vater befand sich darunter.

Ja. Mein Vater Fivish war ein guter Mann. Beherrscht und gerecht, immer aufmerksam. Aber in diesem Augenblick war er ein anderer. Er wirkte wie hypnotisiert, nahm nichts mehr wahr von seiner Familie. Nicht von mir, meinen drei Schwestern, den beiden Jungs oder seiner Frau. Auch zum Geburtstag hat er mir nicht gratuliert. Das passierte zum ersten Mal.

Sie sollten ihn noch einmal sehen.

Es war etwas später, als ich mit meinen Schwestern von der Rampe ins Lager getrieben worden bin. Ich sah ihn aus der Entfernung – und hoffte, dass er mich auch erkannte. Aber seine Augen waren fahl, sie erkannten mich nicht mehr. Binnen kürzester Zeit hatten ihm die Täter seine Menschlichkeit geraubt, den gütigen und stolzen Mann, der er gewesen war, gab es nicht mehr.

Während Sie mit Ihren Schwestern ins Lager kamen, schickte der zuständige Lagerarzt Ihren Vater, Ihre Mutter und Ihre beiden Brüder "nicht arbeitsfähig" in die Gaskammern.

Er schickte meine Familie mit einem Lächeln in den Tod, später erfuhr ich dann seinen Namen: Josef Mengele. Übrig blieben wir vier Schwestern. Ein Häftling, der bei der Selektion helfen musste, hat mir übrigens ein wirkliches Geburtstagsgeschenk gemacht. Auf Jiddisch fragte er mich flüsternd, wie alt ich wäre. Fünfzehn, antwortete ich wahrheitsgemäß. Denn ich hatte ja Geburtstag an diesem Tag. "Vergiss deinen Geburtstag“, blaffte er dann. "Sag ihnen, du bist 18".

Bei Nennung Ihres richtigen Alters hätte die Gefahr bestanden, dass Mengele Sie ebenfalls als "nicht arbeitsfähig" beurteilt hätte.

Genau. Dieses Schicksal hat Mengele meiner Mutter Ethel und meinen Brüdern Zvi und Yehuda zugedacht. Wie meinen Vater konnte ich sie etwas später auch noch einmal kurz erspähen. Ich sah die Todesangst meiner Mutter, sie schien mich stumm um Hilfe anzuflehen. Aber was konnte ich tun? Nichts. Der Schmerz meiner Mutter muss unermesslich gewesen sein, denn ihr war sicher bewusst, dass sie bald mit ihren beiden Söhnen sterben würde. Später bin ich selbst Mutter von zwei Söhnen geworden – und habe die Erfahrung gemacht, dass Angst vor dem eigenen Tod nicht annähernd so schlimm ist wie die Furcht, dass den eigenen Kindern etwas Schlimmes passiert.

Wie ist es Ihnen und Ihren Schwestern in Auschwitz ergangen?

Wir waren zur Zwangsarbeit bestimmt – vorher wurden wir aber entlaust, geduscht, die Haare hat man uns abgeschoren. Es war grausam. Wenn sie unsere Seelen hätten rasieren können, hätten sie das auch getan. Ohne Haare, mit Kopftuch, erkannte ich selbst meine Schwestern kaum noch. Bis auf sie hatte ich alles verloren, was mir in meinem Leben bis dahin wichtig gewesen war.

Ihre älteste Schwester erwies sich als fähige Anführerin, wie Sie in Ihrem Buch "'Ich habe Wut und Hass besiegt'" schreiben.

Sarah war ziemlich clever, sie sorgte dafür, dass wir in unserer Baracke, in die mehr als 1.000 Frauen eingesperrt waren, ganz oben in dem Bett mit drei Etagen schlafen sollten. Wenn man überhaupt das Wort "Bett" für dieses grobe Brettergestell verwenden kann. Sie wollte auf diese Weise sichergehen, dass wir nicht unter herabstürzenden Frauen begraben werden würden, falls so ein Gestell einmal auseinanderbrechen sollte. Ich weiß, das war alles andere als freundlich. Aber es hätte uns das Leben retten können. Das war immerhin das Einzige, was wir noch hatten.

Bitte erzählen Sie etwas mehr über den "Alltag" in Auschwitz-Birkenau.

Bleiben wir bei den Betten. Zehn Frauen mussten sich eine "Etage" teilen, zu fünft hatten wir jeweils eine Decke. Wenn sich jemand drehte, musste die ganze Reihe sich immer mitdrehen. Als fünfte unter unserer Decke fand sich eine Opernsängerin aus Ungarn. Nahezu jeden Abend sang sie Arien aus italienischen Opern – mich machte das sehr traurig, weil Mutter italienische Musik so geliebt hatte. Auf der gleichen Ebene schlief ein dreizehnjähriges Mädchen, das jede Nacht nach seiner Mutter schrie. Es war furchtbar. In meinem Kopf legten sich die Rufe des Mädchens über die italienischen Arien. Dazu kam dieser schreckliche Hunger.

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Ihre Schwester Sarah tat ihr Möglichstes.

Sie stahl sich in der Nacht aus der Baracke, um Essbares aufzustöbern. Oft kehrte Sarah tatsächlich mit etwas zurück. Altes Brot oder rohe Kartoffelschalen manchmal. Dabei riskierte sie ihr Leben, denn auf keinen Fall durfte sie sich erwischen lassen. Aber es war sehr wichtig, gesund und arbeitsfähig auszusehen. Deshalb zwickte uns Sarah auch morgens in jede Wange – denn dann erschien oft Josef Mengele. Er begutachtete uns. Wer kränklich und erschöpft erschien, wurde weggebracht. Und kam niemals wieder.

Mengele sollte Sie noch viele Jahre in Ihren Albträumen heimsuchen.

Im Traum bin ich Mengele öfter begegnet als in der Realität. In der letzteren habe ich ihn zum ersten Mal an diesem 15. Mai 1944 an der Rampe in Auschwitz-Birkenau gesehen. Er war auf bestimmte Art und Weise eine bemerkenswerte Person. Sein Gesicht war schön, sein Lächeln geradezu sanftmütig. Mengele brüllte nicht herum, an der Rampe dirigierte er mit seinem Stock die Menschen nach links und rechts – die einen ins Lager, die anderen in den Tod. Die Frauen bei uns in der Baracke, diejenigen, die Deutsch konnten, waren beeindruckt, wie makellos er gesprochen hat. Keine einzige Silbe wurde von ihm verschluckt, er sprach kalt und perfekt.

Mengele gab sich so charmant, dass er "Väterchen" oder "Onkel Josef" genannt wurde, wie Sie in Ihrem Buch betonen.

Er war ein eiskalter Massenmörder. Genauso wie Auschwitz ein schrecklicher Ort gewesen ist. Ich habe den Sommer 1944 dort verbracht, aber ich kann mich an keinen einzigen schönen Sommertag dort erinnern. Stattdessen qualmten die Schornsteine der Krematorien ununterbrochen.

Seit Mai 1944 deportierten und ermordeten die Nationalsozialisten die ungarischen Juden – weit mehr als 400.000 Menschen starben allein Auschwitz.

Diese Menschen starben wie die Tiere – und die Tiere spürten das. Deswegen mied das Leben Auschwitz, es war ein Ort des Todes. Es ist wie bei einem Tsunami: Vor dem Augenblick der totalen Zerstörung hält die Natur den Atem an. Dann flieht die Natur. Deswegen habe ich 1944 in Auschwitz keine Vögel singen hören, deswegen mieden die vielen Rehe in den Wäldern diesen Ort. Vom Himmel regnete es Asche, ich konnte sie aber nicht riechen. Ich habe in Auschwitz tatsächlich meinen Geruchssinn verloren. Er kehrte erst im Sommer 1946 zurück, ein gutes Jahr nach meiner Befreiung.

Bis September 1944 blieben Sie aber zunächst in Auschwitz gefangen.

Richtig. Mein Überleben war bis dahin ein großes Glück! Ich war mir immer bewusst gewesen, dass eine Trennung von uns Schwestern mein Ende wäre. Dann ist genau dies passiert bei einer von Mengeles Selektionen zwei Monate nach unserer Ankunft. Er wies damals mich und meine Schwester Esther nach rechts, meine Schwestern Sarah und Riku nach links. Wer leben und sterben sollte, war mir in dem Augenblick nicht klar. Was ich aber genau wusste, war die Tatsache, dass ich nach der Trennung nicht mehr leben wollte. Ich war fest entschlossen: Ich gehe in den Zaun!

Der elektrisch geladen war – die Berührung hätte Sie getötet.

Viele Frauen sind aus der Verzweiflung heraus in den Zaun gegangen. Angst und Ungewissheit hatten ihnen den Lebensmut genommen. Ich aber hatte Glück. Es herrschte ziemlich viel Trubel und ich machte in der Nähe eine andere Gruppe von Frauen aus, die sich für die Selektion in einer Reihe aufstellten. Da sind Esther und ich schnell rübergeeilt.

Ihr "Verschwinden" blieb unbemerkt?

Ich kann es mir selbst nicht erklären, aus welchem Grund wir nicht sofort in Richtung der Gaskammern gebracht worden sind. Dieses Ereignis zeigt aber, was für ein Ort Auschwitz gewesen ist. In dem einen Augenblick war ich bereit, mich in den Zaun zu stürzen und zu sterben. Im nächsten erschien mir das Leben so kostbar, dass ich alles aufs Spiel setzte. Das Leben ist stärker als der Tod, daran glaube ich seit Auschwitz.

Im September 1944 kamen Sie nach Bergen-Belsen, ein anderer Ort, der weltweit für nationalsozialistischen Terror berüchtigt ist.

Bergen-Belsen war erträglicher als Auschwitz, aber es war gleichwohl schrecklich. Dort habe ich zunächst versucht, Auschwitz von mir abzuwaschen. Ich meine das wortwörtlich. Aber es ist mir nicht gelungen. In Bergen-Belsen war unser Leben auch genauso wenig wert wie in Auschwitz. Eine Frau in unserer Unterkunft hatte ein Handtuch, das sich vier Frauen teilen mussten, in genauso viele Teile zerteilt. Als ein SS-Mann das sah, zog er seine Waffe – und schoss meiner Freundin Eva ins Gesicht. Es war das erste Mal, dass jemand in meiner direkten Nähe umgebracht worden ist. In Bergen-Belsen waren wir dann nur kurz, wir kamen zur Zwangsarbeit nach Duderstadt in ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald.

Wie erging es Ihnen dort?

Ich bekam einen Mantel und neue Schuhe, das war wunderbar gegen den Winter. Das Essen war besser, aber wir bekamen es so kochend heiß, dass wir es in den paar Minuten Pause gar nicht richtig essen konnten. Und wir mussten arbeiten, sehr viel arbeiten. Rund zwölf Stunden jeden Tag, auch am Schabbat. Für mich als gläubige Jüdin war das sehr schwer. Die Aufseherinnen schwangen unerbittlich die Peitsche, aber insgesamt ging es weniger grausam zu. Denn der Eigentümer der Waffenfabrik, in der wir schuften mussten, wollte Munition produzieren – und keine toten Jüdinnen. So gingen die Monate dahin, bis wir nach Theresienstadt gebracht wurden.

In diesem Konzentrationslager wurden Sie kurz vor Ihrem 16. Geburtstag von der Roten Armee befreit.

Es war der 9. Mai 1945. Immer wieder wurde mir später die Frage gestellt, was ich in diesem Augenblick empfunden habe. Soll ich Ihnen etwas sagen? Mit so etwas wie Freiheit oder Glück konnte ich in diesem Moment nicht viel anfangen. Wie die Waage damals anzeigte, wog ich noch 25 Kilogramm, mein Körper war übersät mit Wunden und Infektionen, die Flöhe nagten an mir. Fast meine gesamte Familie war ausgelöscht worden. Kurzum, ich war damals ein Nullmensch. Besser kann ich es nicht ausdrücken. Es hat lange Zeit gedauert, bis ich wieder Glück empfinden konnte.

Wie ist Ihnen dies gelungen?

Nach meiner Befreiung lebte ich einige Zeit bei einem Onkel in Budapest, dann ging ich 1947 nach Palästina. Mein Zuhause in Unterwischau gab es nicht mehr. Von den einst rund 1.000 Angehörigen der jüdischen Gemeinde haben nur 25 den Massenmord überlebt. 25! Zu denen ich und meine drei Schwestern gehörten. In Israel habe ich dann meinen Mann Shlomo kennengelernt, 1950 haben wir geheiratet, zwei Jahre nach der Gründung Israels.

Haben Sie Ihre Erinnerungen an Auschwitz mit ihm geteilt?

Er wusste, dass ich in Auschwitz gewesen bin. Aber wir haben nie über Einzelheiten gesprochen. Sie müssen das verstehen, Shlomo war ein arabischer Jude, derart über Gefühle mit seiner Frau zu sprechen, fiel ihm schwer. Außerdem war er kein Mensch, der zurückblickte, sondern nur nach vorn, in die Zukunft. Er hoffte, dass dies auch für mich der richtige Weg wäre. Aber Auschwitz ließ mich einfach nicht los.

Vor allem nicht in Ihren Träumen.

Es wurde schlimmer, nachdem ich meine Söhne Yaron und Doron bekommen hatte. Hilfe fand ich im Werk von Viktor Emil Frankl …

… einem Neurologen und Psychoanalytiker aus Österreich, der selbst Auschwitz überlebt hatte.

Genau. Frankl hat die sogenannte Logotherapie begründet, die mir eine Antwort auf die Frage gegeben hat, wie ich nach Auschwitz wieder Sinn empfinden kann. Egal, was einem widerfahren ist, das Leben an sich ist noch weit größer als selbst das allergrößte Problem. Das war meine Erkenntnis. Dazu habe ich den Willen geformt, mein Leben selbst zu bestimmen. Und nicht von Auschwitz beherrschen zu lassen.

Zugleich haben Sie Frankls Lehren in Ihrem neuen Beruf angewendet.

Ich wurde Sozialarbeiterin – diese Tätigkeit hat mich sehr erfüllt. Auf diese Weise konnte ich anderen Menschen helfen und auch mir selbst. Denn ich wusste: Ich muss beschäftigt sein. Tagsüber, wenn ich gearbeitet habe, war alles in Ordnung. Aber gegen Abend war das vorbei, ich fürchtete mich vor der Nacht und den Erinnerungen. Aber wie gesagt, ich habe es geschafft, mich nicht mehr von Auschwitz beherrschen zu lassen.

Viele Auschwitz-Überlebende haben lange Zeit über das Erlebte geschwiegen. Sie auch.

Nach der Ankunft in Palästina habe ich mir gesagt, dass ich nur über Auschwitz reden würde, wenn mich jemand danach fragt. Mich hat aber niemand gefragt. Es waren andere Zeiten damals. Später habe ich mich aber entschlossen, zu sprechen.

Sie schreiben in Ihrem Buch vom Hass, dem Sie entgegentreten wollen.

Was der Hass vermag, hat Auschwitz deutlich bewiesen. Die Nationalsozialisten waren keineswegs Geisteskranke, was nur einen Schluss zulässt: Derartige Verbrechen können wieder geschehen. Deswegen müssen wir wachsam sein und aufpassen! Die Liebe kann unendlich viel stärker sein als der Hass, diese Erkenntnis habe ich meinen Eltern zu verdanken.

Bitte erklären Sie das näher.

Meine Eltern Fivish und Ethel sind an meinem 15. Geburtstag in Auschwitz ermordet worden. In den Jahren seit meiner Geburt hatten sie mich aber mit Liebe, Wärme und Geborgenheit aufgezogen. Dies gab mir Stärke, das war und ist meine Rüstung gegen den Hass in der Welt. Und dies ermöglichte es mir auch, den Glauben an die Menschen nicht zu verlieren.

Krieg und Zerstörung endeten nicht mit dem Ende des Nationalsozialismus. Gegenwärtig bekriegt Russland unter Wladimir Putin die Ukraine. Wird Ihr Glaube an das Gute davon erschüttert?

Erschüttert, aber nicht gebrochen. Immer wenn ich Bilder von Kriegen sehe, wie jetzt auch aus der Ukraine, verschmelzen sie in meinem Kopf mit den Bildern von damals. Die Ukraine heute ist keineswegs das Auschwitz von damals – aber der Tod bleibt der Tod. Geschichte wiederholt sich. Deswegen ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die vom Schrecken damals berichten. Um die Nachwelt zu mahnen.

Die Zahl der Auschwitz-Überlebenden wird immer kleiner, welche ihrer Botschaften sollte die Nachwelt besonders beherzigen?

Der Hass sollte keinen Platz haben, sondern die Liebe. Wenn uns das gelingt, dann hat Adolf Hitler endgültig verloren, dann hat auch Auschwitz für immer verloren.

Frau Hanan, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Rachel Hanan via Videokonferenz
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