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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Klimahistoriker zu Extremwerten Hitzerekorde: "Weit schlimmer als jede Vorhersage"
Warm wie nie zu dem Zeitpunkt im Jahr: Weltweit purzeln Temperaturrekorde, und ein Mann führt darüber Buch. Wie ergeht es einem Klimahistoriker, der Experte für Extremwerte ist?
"Historische Hitze in Europa", "Außergewöhnliche Hitze in ganz Ozeanien und Asien", "Hitzerekorde auf dem amerikanischen Kontinent von Mexiko bis Paraguay": Das sind drei Nachrichten, die der Klimatologe und Wetterhistoriker Maximiliano Herrera seit dem Wochenende abgeschickt hat. Seit mehr als 35 Jahren trägt er Extremtemperaturen zusammen und hat sich einen Namen damit gemacht, die nationalen Wetterdienst-Accounts in aller Welt "abzugrasen", wie der Meteorologe Jörg Kachelmann sagt. 100.000 Abonnenten im Kurznachrichtendienst X verfolgen Herreras Account @extremetemps.
Bei dem aus Costa Rica stammenden Herrera überschlugen sich die Meldungen von Rekorden auch, als es in Deutschland Mitte Januar frostig war und hierzulande kaum jemand an Erderwärmung dachte. t-online erreichte den Rekordjäger in Thailand: Im Interview erzählt er, wieso er kein Aktivist sein will und dennoch angefeindet wird und was er über einen möglichen deutschen Hitzerekord im Sommer denkt.
t-online: Herr Herrera, Sie haben in den zurückliegenden Tagen, Wochen und Monaten viele Superlative verwendet. Haben Sie schon mal so viele Rekorde erlebt, seit Sie Temperaturen verfolgen?
Maximiliano Herrera: Wir betreten absolutes Neuland, was die Wärmerekorde angeht. Nichts ist vergleichbar mit dem, was wir seit 2023 erleben.
Aber Sie melden nicht nur, wenn es an einem Ort noch nie so früh so warm war oder die Tiefsttemperatur noch nie so wenig abgesunken ist. Bei ihnen liest man auch, dass es in Baldufoss in Norwegen mit minus 26 Grad Celsius so kalt war wie noch nie im April seit Beginn der Aufzeichnungen.
Es gibt Tausende von Wärmerekorden jeden Tag und sehr seltene Kälterekorde. Das Verhältnis ist Zigtausende zu eins.
Macht die Fülle von Rekorden Ihre Arbeit interessanter oder auch deprimierender?
Vor allem zeitraubender. Ich arbeite im Moment oft 20 Stunden am Tag als Klimatologe. Hoffentlich wird es ein bisschen weniger, wenn die globalen Temperaturanomalien sich abschwächen, weil La Niña auftritt.
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La Niña, das Gegenstück zu El Niño, zwei Phasen eines Klimamusters im Pazifik, bei denen sich Ozean- und Luftströmungen verändern. Bei El Niño werden kältere Wassermassen von wärmeren verdrängt und das Oberflächenwasser und die Atmosphäre erwärmen sich. Mit La Niña kehrt sich das um.
Ich rechne damit, dass das ab Juni deutlich durchschlägt.
Spätestens im Frühsommer 2023 war klar, dass El Niño begonnen hat, also die warme Phase, die zu global zu höheren Temperaturen führt – und das zusätzlich zur menschengemachten Klimaerwärmung. Hat Sie da die Entwicklung mit vielen Rekorden noch überrascht?
El Niño mit hohen Temperaturen wurde erwartet. Er war aber weit schlimmer als jede Vorhersage, das ist sicher.
Meteorologen sagten zu Beginn von El Niño, dass 2024 das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung werden könnte, und dann war das bereits 2023 der Fall.
El Niño war gewaltig, mit noch nie dagewesenen Auswirkungen in allen großen Ozeanen und Meeren. Sie haben sich unglaublich schnell erwärmt, und nun sieht es so aus, dass sie sich nur sehr langsam wieder abkühlen.
Wir hatten in Deutschland gerade 30,1 Grad Celsius am 6. April, noch nie war es so früh so warm. Sagt das etwas darüber aus, ob in Deutschland in diesem Sommer auch der Allzeit-Rekord von 41,2 Grad Celsius in Tönisvorst und Duisburg-Baerl aus dem Juli 2019 gebrochen werden wird?
Das ist unmöglich zu sagen. Das ist eine Frage des Wetters, nicht des Klimas, und da sind solche Vorhersagen Monate im Voraus nicht möglich. Eine Periode mit Rekordhitze kann in einem insgesamt kühleren Sommer auftreten. Ein sehr heißer Sommer kann aber auch ohne einzelne Extremwerte über die Bühne gehen.
Insgesamt steigt die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen durch höhere globale Temperaturen um ein Vielfaches, aber es ist nicht möglich zu sagen, wann und wo, also etwa, ob es in Deutschland einen Hitzerekord im Sommer geben wird. In den Tropen ist es einfacher, da es dort weniger Schwankungen gibt und unter El Niño diese scheinbar nie endenden Hitzerekorde auftreten.
Wollen Sie mit Ihrer Arbeit da auch Aufmerksamkeit schaffen?
Ich mache das nicht, um die Aufmerksamkeit auf die Klimaentwicklung zu lenken, das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin kein Aktivist, nur ein Zahlen- und Statistikmensch. Jeder sollte sich auf sein eigenes Thema konzentrieren: Ich mache meinen Teil, indem ich seit mehr als 35 Jahren Klimastatistiken sammele. Ich spreche nie von Klimakrise oder -katastrophe, sondern nur von der Außergewöhnlichkeit der Zahlen. Die Messwerte sind überwältigend und ziehen die Aufmerksamkeit schon allein auf sich.
Damit sind Sie trotzdem Überbringer von Nachrichten, die nicht jeder hören will. Bekommen Sie das zu spüren?
Ja, obwohl ich nur ein Klimaforscher bin, der Statistiken und Zahlen erstellt, bin ich Zielscheibe vom Hass Tausender. Diese Art von Leuten gibt es bei allem im Internet.
Wer bezahlt Sie für Ihre Arbeit?
Ich bin finanziell unabhängig und kann es mir leisten, mich nur darauf zu konzentrieren. Ich schätze, mich hat das seit den 1990er Jahren fast zwei Millionen US-Dollar gekostet.
Warum tun Sie es? Leidenschaft, Beruf und irgendwie auch aus Pflichtgefühl?
Das fasst es gut zusammen. Ich denke, ich bin der Einzige, der diesen Job macht. Ich habe die Sorge, etwas zu verpassen. Denn jeden Tag fallen überall auf der Welt Rekorde, und ich muss Daten von Zehntausenden von Stationen überprüfen. Wenn es durch La Niña zu Abkühlung kommt, womit ich rechne, wird es ruhiger. Aber ich mache das gerne, seit ich mit vier oder fünf Jahren die Zahlen lesen konnte und anfing, aufs Thermometer zu schauen.
- Schriftlicher Austausch mit Maximiliana Herrera