Unglücke Dramatische Hochwasserlage verschärft sich zur Katastrophe
In Süd- und Ostdeutschland versinken Städte, Dörfer, Natur- und Agrarflächen in der Flut von Flüssen und Bächen. Überall bricht sich das Wasser Bahn, und der gigantische Schaden, den es anrichtet, ist noch überhaupt nicht absehbar. Bundeswehrsoldaten dürfen im Inland nur als Katastrophenhelfer zum Einsatz kommen, und die braucht es jetzt dringend für die größte Herausforderung seit dem Jahrhunderthochwasser von 2002. In Passau wurde das Trinkwasser abgestellt, in Baden-Württemberg die Leiche eines Vermissten geborgen. Aus Tschechien, Österreich und der Schweiz wurden indes neun Todesfälle gemeldet.
Drei Tage nach einem Sturz in die tosende Elsach ist die Leiche eines Hochwasser-Opfers aus dem schwäbischen Bad Urach gefunden worden. Der 46-jährige Bauarbeiter sei bei Metzingen im Bachbett der Erms gefunden worden - 13 Kilometer vom Unglücksort entfernt, teilte die Polizei mit.
Die "Augsburger Allgemeine" berichtete zudem von den sterblichen Überresten eines Mannes und einer Frau, die bei Aufräumarbeiten im bayerischen Günzburg entdeckt worden seien. Wer die beiden Toten waren, sei bislang noch unklar. Beschäftigte des Donaukraftwerks, die Treibgut beseitigten, fanden sie der Zeitung zufolge in dem Strom, der mancherorts historische Pegelstände erreichte.
"Diese Lage ist extrem ernst"
Die prekäre Lage in Ostdeutschland, wo die Wassermassen unter anderem ein Stadion in Gera (Thüringen) fluteten, nannte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) "extrem ernst". Sie habe sich binnen kürzester Zeit enorm verschlechtert. "Wir haben es mit Wassermassen zu tun, die wir noch nie zu bewältigen hatten", betonte Haseloff.
Allerdings sei die Situation mit der Jahrhundertflut 2002 nicht zu vergleichen, da seither Deiche saniert und erneuert worden seien. Mit der Öffnung des Pretziener Wehrs bei Magdeburg sollten bis zu 30 Prozent des Elbewassers um die Landeshauptstadt herumgeleitet werden, um die Abflussgeschwindigkeit des Wassers zu erhöhen. In Halle an der Saale wurde zuletzt eine Wasserhöhe von 7,50 Meter erwartet - normal sind knapp zwei Meter.
Gefängnis evakuiert
Derweil wurde im bayerischen Passau, wo die Donau mit 12,50 Meter den höchsten Stand seit der Rekordmarke von 1501 erreichte, teilweise die Trinkwasserversorgung ein- und der Strom abgestellt. "Bitte decken Sie sich mit frischem Wasser ein", heißt es auf der Internetseite der Stadtwerke. Es wurde empfohlen, das verbliebene Leitungswasser abzukochen.
Es droht eine Verunreinigung der Brunnen. Ab Dienstag sollen Tankwagen zum Einsatz kommen, um die Versorgung der rund 50.000 Einwohner sicherzustellen. Unter strengen Sicherheitsmaßnahmen wurden derweil sogar 60 Häftlinge eines städtischen Gefängnisses evakuiert.
Kanzlerin erwartet
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sicherte den am stärksten betroffenen Ländern "volle Unterstützung" zu und kündigte an, sich am Dienstag in stark betroffenen Gebiete selbst ein Bild machen zu wollen. Sie wird zahllose überflutete Häuser und Felder vorfinden, Bürger und Geschäftsinhaber, denen das Schlimmste noch bevorsteht. Der Zerstörungs- und Zersetzungskraft des Wassers ist wenig entgegenzusetzen.
Mehr als 10.000 Helfer, darunter viele Bundeswehrsoldaten, tun ihr Möglichstes. Das Hochwasser machte aber auch einige Straßen und sogar Autobahnen unbefahrbar. Zudem war der Bahnverkehr vor allem in Süd- und Niederbayern beeinträchtigt, so ein Sprecher der Deutschen Bahn.
Die am schlimmsten betroffenen Hochwassergebiete im Überblick
Bayern: An der Donau in Passau überschritt das Wasser mit 12,50 Meter die Marke von 1954 und blieb nur unter dem überlieferten historischen Rekord von 1501. Damals war die Donau Markierungen zufolge auf mehr als 13 Meter angestiegen. in Rosenheim mussten nach einem Dammbruch rund 170 Menschen in Sicherheit gebracht werden. Am Main in Unterfranken zeichnete sich dagegen eine Entspannung ab.
Sachsen: Tausende Menschen mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Einige Hausbesitzer verweigerten die Evakuierung - zum Ärger von Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU): "Das, was wir hier machen, ist kein Spaß."
In Dresden wurde ein Pegelstand von bis zu neun Metern erwartet - fast so viel wie bei der Jahrhundertflut im August 2002 (9,40 Meter). Die Stadt gab die höchste Warnstufe aus. In Grimma stand das Wasser der Mulde meterhoch in der Altstadt, die nur noch mit Schlauchbooten befahrbar ist.
"Die Evakuierungen werden ausgeweitet", sagte eine Sprecherin des Krisenstabes in Grimma. Rund 6000 Menschen sollen im Landkreis betroffen sein. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) erklärte: "Wir haben eine sehr, sehr prekäre Situation, die durchaus mit der von 2002 vergleichbar ist."
Thüringen: Vor allem Ostthüringen ist ein absolutes Katastrophengebiet. In Gera sowie den Kreisen Greiz und Altenburger Land mussten sich bisher mehr als 2500 Menschen in Sicherheit bringen. Der bereits am Wochenende evakuierte Ort Serbitz stand komplett unter Wasser.
Massive Probleme meldete auch der Kreis Weimarer Land rund um den Zusammenfluss von Saale und Ilm bei Großheringen und flussaufwärts an der Ilm. Nicht nur in diesem Bundesland sind Soldaten längst unverzichtbar.
Sachsen-Anhalt: Der Burgenlandkreis und der Landkreis Anhalt-Bitterfeld riefen den Katastrophenalarm aus. An den Grenzen zu Thüringen und Sachsen trat die Weiße Elster flächendeckend über die Deiche. Im Süden des Landes mussten Hunderte ihre Wohnungen verlassen. In Halle wurde ein Pflegeheim geräumt. Während die Saale normalerweise eine Höhe von knapp zwei Metern aufweist, wurde zuletzt ein Pegel von bis zu 7,50 Meter erwartet.
Notstand in Tschechien
Auch einige Nachbarländer sind weiterhin von Wassermassen bedroht - wie etwa die Slowakei. Die tschechische Regierung rief den Notstand aus, sechs Menschen kamen dort bereits durch das Unwetter ums Leben. In der Nähe von Prag etwa erlitt ein Elektriker einen tödlichen Stromschlag, als er sich in einer Transformatorenstation aufhielt. 7000 Menschen mussten ihre Wohnungen räumen.
Zwei Hochwasser-Tote wurden aus Österreich und einer aus der Schweiz gemeldet. In Österreich kam es vielerorts zu Evakuierungen. An der Donau drohte nach wie vor eine Neuauflage des "Jahrhunderthochwassers" von 2002.