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Forscher aus den USA und Norwegen beobachten Fressmassaker in der Arktis


Nie zuvor dokumentiert
Forscher beobachten Mega-Fressmassaker in der Arktis

Von t-online, mtt

Aktualisiert am 06.11.2024Lesedauer: 3 Min.
Lodden (Archivbild): Die Fische sind auch als Kapelan bekannt, sie schwimmen in großen Schwärmen im Arktischen Ozean.Vergrößern des Bildes
Lodden (Archivbild): Die Fische sind auch als Kapelane bekannt, sie schwimmen in großen Schwärmen im Arktischen Ozean. (Quelle: Rights Managed/imago-images-bilder)

Forscher haben in der Barentssee ein gigantisches Massaker dokumentiert. Es dauerte vier Stunden, am Ende waren fast elf Millionen Fische tot.

Wissenschaftler sind in der Arktis mithilfe einer neuen Technologie Zeugen eines zuvor noch nie beschriebenen Ereignisses geworden. Die neue Analysemethode brachte zum Vorschein, wie sich praktisch zeitgleich zwei große Fischschwärme bildeten – und dann der eine über den anderen herfiel.

Die Forscher vom Massachusetts Institute of Technology und dem Institut für Meeresforschung in Norwegen haben ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift "Communications Biology" veröffentlicht. Die Daten, die sie nun neu analysierten, stammen aus dem Jahr 2014. Mit einem Akustiksystem hatten die Wissenschaftler damals die Barentssee, ein Randmeer des Arktischen Ozeans, abgescannt.

Bisher hatten die Daten den Forschern nur die Bewegungen einzelner Fische verraten. Die neue multispektrale Analysemethode erlaubte es nun, einzelne Arten anhand der akustischen Resonanz ihrer Schwimmblasen zu differenzieren. Konkret unterschieden die Forscher Kabeljaue und Lodden, kleine Fische von der Größe einer Sardelle. "Kabeljaue haben große Schwimmblasen mit einer tiefen Resonanz wie eine Big-Ben-Glocke, während Lodden winzige Schwimmblasen besitzen, die wie die höchsten Töne eines Klaviers klingen", erklärte Studienautor Nicholas Makris.

Fressrausch in der Morgendämmerung

Die neue Technik offenbarte nun, wie sich an einem Tag im Februar 2014, auf dem Höhepunkt der Laichzeit der Lodden, verschiedene Schwärme der kleinen Fische zu einem großen vereinten. Kurz nach Beginn der Morgendämmerung wurde der große Schwarm immer dichter und sank Richtung Meeresboden.

Die Forscher glauben, dass die Tiere nach geeigneten Laichplätzen suchten. Vielleicht wollten sie sich auch im aufkommenden Tageslicht in tiefere Schichten retten, um es Räubern im Dunkeln schwerer zu machen, sie zu finden.

25,5 Millionen Fische in zwei Schwärmen – und elf Millionen Opfer

23 Millionen Fische versammelten sich zu einem zehn Kilometer langen Schwarm und begannen, sich als Einheit zu bewegen, möglicherweise, um beim Schwimmen Energie zu sparen. Ein solches Verhalten war den Forschern zufolge bei Lodden noch nie beobachtet worden.

Zeitgleich schlossen sich auch Kabeljaue, die zuvor einzeln im Meer unterwegs gewesen waren, zu einem massiven Schwarm zusammen. Insgesamt 2,5 Millionen der Raubfische gingen gemeinsam auf die Jagd – und verfielen in einen regelrechten Fressrausch. Innerhalb von vier Stunden verschlangen sie fast elf Millionen Lodden.

Einblicke in eine bisher verborgene Welt

"Dies ist eine wirklich faszinierende Studie", sagte George Rose, Professor für Fischerei an der University of British Columbia, der an der Arbeit nicht beteiligt war. Dem Kabeljau-Experten zufolge dokumentiere sie komplexe räumliche Dynamiken in einem Ausmaß, "das in marinen Ökosystemen bisher nicht erreicht wurde". Die neue Analysemethode ermögliche Einblicke in grundlegende ökologische Prozesse, die bisher verborgen geblieben waren.

Studienautor Makris erklärte, die Ergebnisse würden zeigen, "dass natürliche katastrophale Raubtierereignisse das lokale Raubtier-Beute-Gleichgewicht innerhalb von Stunden verändern können".

Warnung vor Verschiebungen in bedrohten Ökosystemen

Für gesunde Populationen sei dies kein Problem. Anders sehe es aus, wenn eine Art bedroht sei: "Es hat sich immer wieder gezeigt, dass es, wenn eine Population kurz vor dem Zusammenbruch steht, noch einen letzten Schwarm gibt", erklärte Makris. "Und wenn diese letzte große, dichte Gruppe verschwunden ist, kommt es zum Zusammenbruch."

Im Artikel in der Fachzeitschrift "Communications Biology" warnten die Forscher zudem, Gleichgewichtsverschiebungen könnten möglicherweise die Stabilität eines Ökosystems beeinträchtigen, das bereits menschengemachten Belastungen ausgesetzt sei. Konkret nannten die Wissenschaftler "Versäumnisse im Fischereimanagement" und den Klimawandel. Durch den Rückgang der arktischen Eisdecke müssten Lodden weiter schwimmen, um zu laichen. Das setze die Art unter Stress.

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