"Im Stich gelassen" Mehr als 200 tote Babys – britische Regierung entschuldigt sich
Eine Untersuchung offenbart erhebliche Mängel in Kliniken des britischen Gesundheitsdiensts: Demnach sollen in den letzten Jahren dort mehr als 200 Babys verstorben sein, die bei einer richtigen Behandlung hätten überleben können.
Mehr als 200 Babys sind wegen mangelhafter Geburtshilfe in Krankenhäusern im Zentrum Englands während oder kurz nach der Geburt gestorben. Wegen des Skandals in Kliniken des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS hat sich der britische Gesundheitsminister Sajid Javid am Mittwoch entschuldigt. Vor dem Parlament in London wandte er sich an "alle Familien, die so schwer gelitten haben". "Es tut mir leid", sagte Javid.
Zuvor war ein 250 Seiten langer Untersuchungsbericht zu den Missständen in den Kliniken veröffentlicht worden. Konkret handelt es sich dabei um den Betreiber Shrewsbury and Telford Hospital NHS Trust aus der Nähe von Birmingham. Demnach starben in den Einrichtungen innerhalb von zwei Jahrzehnten 201 Babys, die bei einer richtigen Versorgung hätten überleben können. Bei anderen Neugeborenen wurden Schädelfrakturen, andere Knochenbrüche sowie Hirnschäden wegen Sauerstoffmangels während der Geburt festgestellt.
Kaiserschnitte zu selten durchgeführt
Auch neun Mütter starben wahrscheinlich wegen falscher Behandlung. Dem Bericht zufolge wurden Schwangere in den Krankenhäusern wiederholt zu einer natürlichen Entbindung gezwungen, obwohl bei ihnen aus medizinischer Sicht ein Kaiserschnitt angezeigt war. Damit habe das Krankenhaus seine Kaiserschnittrate als Indikator für gute Geburtsmedizin so niedrig wie möglich halten wollen. Viele Frauen trugen ein Trauma von ihrer Entbindung davon.
Die Untersuchung war 2017 in Auftrag gegeben und am Mittwoch veröffentlicht worden. Untersucht wurden 1.592 Vorfälle, von denen 1.486 Familien betroffen waren. Die meisten Vorfälle ereigneten sich in den Jahren 2000 bis 2019.
Keine Untersuchungen trotz Fehler
Donna Ockenden, die die Untersuchung geleitet hatte, kritisierte bei einer Presskonferenz, dass die Krankenhaus-Gruppe nicht aus ihren Fehlern gelernt habe. In 40 Prozent der Totgeburten sei gar keine interne Untersuchung eingeleitet worden. Der Krankenhausbetreiber "war überzeugt, dass seine Geburtsstation gut war. Er hatte Unrecht."
Ihr Bericht habe aber ergeben, dass bei einem Viertel der 498 untersuchten Totgeburten "bedeutende oder größere" Behandlungsfehler vorlagen, hob Ockenden hervor. Aus solchen Vorfällen seien keine Konsequenzen gezogen worden. Auf diese Weise sei "das wahre Ausmaß ernsthafter Vorfälle" sehr lange unentdeckt geblieben, sagte die Leiterin der Untersuchung. Die Untersuchung bezieht sich zwar nur auf einen geografisch kleinen Bereich des britischen Gesundheitsdiensts NHS, doch die Experten identifizierten auch mehr als ein Dutzend Bereiche, in denen sie in ganz England dringend Handlungsbedarf bei der Geburtshilfe sehen.
Gesundheitsminister Javid sagte an die Betroffenen gewandt, die Untersuchung der Fälle zeige "eindeutig, dass Sie im Stich gelassen wurden von einem Dienst, der dazu da war, Ihnen und Ihren Liebsten zu helfen, Leben in diese Welt zu bringen". Javid wie auch der Krankenhausbetreiber sagten zu, die Dutzenden Empfehlungen in dem Bericht umzusetzen. Diejenigen, die für "ernsthafte und wiederholte Fehler" verantwortlich seien, würden zur Rechenschaft gezogen, sagte der Gesundheitsminister.
- Nachrichtenagentur AFP und dpa