Zukunft unserer Kinder "Was kommen wird, ist nicht schön"
Es fühlt sich an, als wäre die Welt in Unordnung. Konflikte, Seuchen, Hunger scheinen an der Tagesordnung zu sein. Und Forscher prophezeien nachfolgenden Generationen in der Tat eine schwierige Zukunft.
Die vier apokalyptischen Reiter des Nürnberger Grafikers Albrecht Dürer (1471-1528) könnten geradewegs ins 21. Jahrhundert galoppieren – sie wären als Verkörperung von Krieg, Hunger und Krankheiten sehr aktuell. Was im Mittelalter Menschen in Angst und Schrecken versetzt hat, lässt sie auch in der Gegenwart nicht kalt. "Das Reden über das Ende der Welt und die Furcht davor hat es in der Geschichte der Menschheit immer gegeben", sagt Robert Folger, einer der beiden Direktoren des Käte Hamburger Kollegs für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (Capas).
In den 1980er Jahren etwa rechneten Atomkraftkritiker mit dem atomaren Erstschlag sowie mit verheerenden Unfällen – eine Prognose, die sich mit dem Gau von Tschernobyl 1986 erfüllte. Folger erinnert auch an die Panik wegen eines vermeintlichen globalen Computer-Kollapses zum Jahrtausendwechsel – in diesem Fall grundlos. Die Bedrohung durch die Pest in der mittelalterlichen Welt Dürers schlägt die Brücke zur heutigen Zeit mit der weltweiten Angst vor der Corona-Pandemie. Weiterer Grund für Überlebensängste ist die Klimakrise.
"Was kommen wird, ist nicht schön"
Bei der Pandemie liegt aus Sicht der 18-jährigen Elisabeth Schilli die Lösung der Probleme nahe: das Impfen. "Bei der Erderwärmung weiß man hingegen gar nicht, wo man anfangen soll", sagt sie. "Was kommen wird, ist nicht schön und wird wahnsinnig teuer", meint die Sprecherin des Landesschülerbeirats in Baden-Württemberg mit Blick auf Dürren, Brände, Überschwemmungen als Folgen der Klimakrise. Allerdings versinkt sie nicht in Resignation. "Ich habe keine Angst vor der Zukunft, ich fühle Wut und Empörung, weil nichts passiert."
Kinder- und Jugendpsychiater Reinmar Du Bois hält diese Reaktion für angemessen. "Eine aktive kämpferische Haltung kommt nicht mit der psychischen Gesundheit in Konflikt." Die Gemeinschaft und Solidarität, derer sich die jungen Menschen bei Demos und Aktionen versichern, sei ein gutes Mittel gegen die Angst. "Angst entsteht in der Isolation", weiß der Stuttgarter Experte.
Wie sollten Eltern mit Ängsten umgehen?
Nach Ansicht von Zukunftsforscher Horst Opaschowski haben die jungen Klimaaktivisten einen Weckruf gestartet und die "schlummernde" Bevölkerung aus ihrer Apathie geholt. Die Politiker reagierten sprachlos auf die wissenschaftlich fundierten Argumente für ein rasches Handeln.
Und die wissenschaftlichen Erkenntnisse haben es in sich; etwa die in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlichten Prognosen eines internationalen Wissenschaftlerteams. Demnach fallen in das Leben eines 2021 geborenen Kindes im Mittel doppelt so viele Waldbrände, zwischen zwei und dreimal mehr Dürren, fast dreimal mehr Überschwemmungen und Ernteausfälle sowie siebenmal mehr Hitzewellen als in die Lebensspanne eines heute 60-Jährigen.
Wie sollen Eltern vor dem Hintergrund dieser Zahlen mit etwaigen Ängsten umgehen? Nach Du Bois' Beobachtung fühlen sich jüngere Kinder gar nicht von der Debatte um die Klimakrise betroffen. "Sie fürchten sich eher vor Einbrechern oder Feuer." Die Eltern projizierten vielmehr ihre Ängste auf den Nachwuchs. "Sie sollten zu ihren eigenen Ängsten stehen, mit ihren Kindern auf die Straße gehen, um gemeinsam der Angst zu entgehen." Werde über die Klimakrise gesprochen, dann immer mit der Maßgabe, dass man noch etwas dagegen tun kann, rät der Experte.
"Wenn wir das nicht schaffen, wer dann?"
Fachleute sehen in den Aktivitäten der Jugend wie denen von Fridays for Future auch einen enormen Lerneffekt. Die Chefin des Berufsverbandes deutscher Psychologinnen und Psychologen, Julia Scharnhorst, ist überzeugt: "Hier werden politisches Engagement, Zusammenarbeit mit anderen, Sozialkompetenz, Organisation von Veranstaltungen und Medienkompetenz realitätsnäher erprobt und geübt als in üblichen Unterrichtsstunden oder Projektwochen."
Schilli, die Vorsitzende des grünen Kreisverbands Ortenau, sieht große Investitionen auf die Nationen zukommen, um die Folgen der Erderwärmung einzudämmen. Deutschland mit seiner sozialen Marktwirtschaft müsse da eine Vorreiterrolle einnehmen: "Wenn wir das nicht schaffen, wer dann?" Sie selbst verzichte auf Flugreisen und ernähre sich vegetarisch. So weit wie junge Britinnen, die sowohl zum Schutz der Umwelt als auch zum Schutz der möglichen Kinder einen Gebärstreik ausgerufen haben, will sie nicht gehen. "Das ist eine krasse Haltung, für die ich aber Verständnis habe, insbesondere, wenn Frauen in ärmeren Ländern diese Option wählen."
"Es gibt auch heute immer noch Hoffnung"
Aus Sicht von Opaschowski müssen Kapitalismus und Kampf gegen die Klimakrise eine Vernunftehe eingehen. Dann sei der Weltuntergang noch nicht besiegelt. Ihn stimme optimistisch, dass die Jugend sich nicht in Depression abwende. Nach einer Umfrage des von ihm gegründeten Instituts für Zukunftsforschung blicken trotz weltweiter Umwelt-, Wirtschafts- und Gesellschaftskrisen 91 Prozent der 14- bis 24-Jährigen zuversichtlich in die Zukunft.
Auch die Heidelberger "Apokalyptiker" sind keine Schwarzseher. Im aus seiner Sicht inflationär gebrauchten Begriff Apokalypse schwinge im Unterschied zur Katastrophe auch stets immer etwas Tröstliches mit, ein möglicher Wandel zum Guten, sagt Kolleg-Chef Folger. Ursprünglich hätten die Christen das zukünftige Reich Gottes immer mitgedacht.
"Es gibt auch heute immer noch Hoffnung, dass die Menschheit begreift, in welcher fatalen Lage sie ist und entsprechend reagiert", sagt Folger, dessen Institut sich interdisziplinär mit dem Phänomen "Apokalypse" beschäftigt. Es sei vorstellbar, dass neue Technologien in Kombination mit verstärktem Bemühen, die Folgen des Klimawandels einzudämmen, das Ruder noch rumreißen könnten.
- Nachrichtenagentur dpa