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Hamas-Überfall auf Israel jährt sich: Fotograf Spira über den 7. Oktober


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Ein Jahr nach dem Überfall auf Israel
"Es wird immer schlimmer werden"


Aktualisiert am 06.10.2024Lesedauer: 7 Min.
ISRAEL-PALESTINIANS/NOVA-MEMORIALVergrößern des Bildes
Bilder von Geiseln Hamas (Archivbild): Noch immer sollen mehr als hundert aus Israel verschleppte Menschen in der Gewalt der palästinensischen Terroristen sein. (Quelle: TYRONE SIU/reuters)
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Ein Jahr ist es her, dass Hamas-Terroristen Israel überfallen haben. Während der Angriffe am 7. Oktober 2023 chattete t-online-Redakteurin Simone Bischof mit dem israelischen Fotografen Ilan Spira. Sein Leben hat sich seitdem massiv verändert.

Der Morgen des 7. Oktober beginnt mit trübem Wetter in Berlin. Wie jeden Tag schaue ich als Erstes auf mein Handy und checke die Nachrichtenlage. Was ich da lese, ist beunruhigend: Palästinensische Hamas-Terroristen sind von Gaza aus in den Süden Israels eingedrungen, es soll Tote geben. Ich muss zur Arbeit in die Redaktion. Als ich dort ankomme, werden die Meldungen immer dramatischer: Die Zahl der Toten steigt, von Entführungen ist die Rede, von Schwerverletzten.

Sofort schreibe ich meinem Freund Ilan Spira über WhatsApp. Ilan ist Fotograf, 49 Jahre alt und lebt in der Nähe von Tel Aviv. Wir haben uns 2011 in einem Café in Tel Aviv kennengelernt. Seitdem sind wir Freunde – in guten wie in schlechten Zeiten. Ein Auszug aus unserem Chat an diesem Morgen:

Simone Bischof: 7.07 Uhr: Boker tov*, das sind schlimme Nachrichten heute Morgen. Wie geht es dir? (*Boker tov: "Guten Morgen" auf Hebräisch)

Ilan Spira: 7.08 Uhr: Es ist hart, auf diese Weise geweckt zu werden.

7.09 Uhr: Wann ging es los?

7.43 Uhr: Vor etwa zwei Stunden. Wir sind im Krieg.

7.44 Uhr: Ich verfolge es die ganze Zeit in den Nachrichten.

7.44 Uhr: Es scheint so, als ob eine Menge schlimmer Dinge passiert sind, vor allem Entführungen von Menschen.

7.45 Uhr: Sind du und deine Familie sicher?

7.46 Uhr: Ja. Du auch?

7.47 Uhr: Ich arbeite schon und berichte über die Lage in Israel.

7.48 Uhr: Sie ist katastrophal.

7.48 Uhr: Ich möchte das gar nicht hören.

Ilan schickt mir mehrere Videos von den Überfällen der Hamas-Terroristen am Morgen des 7. Oktober, die das israelische Fernsehen zeigt. Was darin zu sehen ist, ist kaum auszuhalten: Junge Menschen, die panisch rennen oder sogar erschossen werden.

7.52 Uhr: Wir stehen vor einer schwierigen und schlimmen Zeit.

10.57 Uhr: Ich werde hier noch verrückt. Die Neuigkeiten sind abscheulich.

10.58 Uhr: Es wird immer schlimmer werden.

10.59 Uhr: Sind deine Eltern in Sicherheit? Sind Vicky und die Kinder bei dir?

11 Uhr: Ja. Ich bin gerade bei den Kindern angekommen. Danke für deine Unterstützung.

Ilan hat zwei Söhne, vier und zehn Jahre alt. Beide leben bei ihrer Mutter, Vicky, ebenfalls in der Nähe von Tel Aviv und unweit von ihm. Er sieht die Kinder nahezu täglich und verbringt viel Zeit mit ihnen. Dann nimmt er sie auch oft mit zu seinen Eltern, die ebenfalls nur eine halbe Stunde entfernt von ihm wohnen. Ilans Vater, Dov Spira, stammt aus Polen, ist 91 Jahre alt.

Dov Spira wurde in Krakau geboren. Mit dem Beginn des Krieges floh seine Familie über die Ukraine und das Karpatenland bis nach Tschechien, wo sie sich bis Kriegsende als Christen ausgaben und teilweise versteckt lebten. 1947 wanderten sie nach in das britische Mandatsgebiet Palästinas aus, aus dem am 14. Mai 1948 der neue Staat Israel hervorging.

In den nächsten Stunden haben Ilan und ich keinen Kontakt. Ilan ist bei seiner Familie, ich arbeite. Erst am Abend schreiben wir uns wieder.

20.04 Uhr: Wie ist die Lage?

20.07 Uhr: Fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt ist eine Rakete eingeschlagen. Ich bin okay. Ich fühle mich wegen der dummen Leute in unserer Regierung schlecht.

20.10 Uhr: Ich bin schockiert.

20.12 Uhr: Es gibt inzwischen etwa 400 bis 500 Tote.

20.16 Uhr: In den deutschen Nachrichten ist von 200 Toten die Rede.

20.16 Uhr: Es sind mehr. Viele Menschen werden vermisst. Es gibt etliche Schwerverletzte. Man findet alles auf Telegram. Es sind schlimme Bilder. Ich kann mir das nicht ansehen.

20.31 Uhr: Wir hatten gerade wieder einen Bombenalarm.

Ich schicke Ilan ein Foto aus den deutschen Nachrichten das zeigt, wie Mitglieder vom Netzwerk Samidoun den Terror-Angriff der Hamas auf Israel in Berlin feiern und in der Neuköllner Sonnenallee freudig Baklava verteilen. Ilan schreibt:

20.50 Uhr: Wertschätzen diese Menschen das Leben nicht? Schrecklich. Warum können Menschen nicht einfach gut zusammen leben?

20.52 Uhr: Es gibt zu viele Feindseligkeiten.

20.52 Uhr: Ja.

23.12 Uhr: Ich hoffe, du kannst heute Nacht schlafen.

Ein Leben in Angst

Ilan schläft unruhig in der Nacht zum 8. Oktober. Ich auch. Erst am nächsten Morgen wird nach und nach das tatsächliche Ausmaß des grausamen Angriffs der Hamas klar: Die Rede ist von nunmehr fast 600 Toten, unzähligen Vermissten und von der Hamas nach Gaza verschleppten Menschen. Diese Zahlen werden in den nächsten Tagen weiter steigen, am Ende sind es über 1200 Tote und mehr als 240 Entführte. Ilan schreibt mir von der Angst, die auch in Tel Aviv umgeht, dem Schock, der alle ergreift, vom Nicht-Begreifen-Können, was da passiert ist und noch passiert. Er schreibt, wie die Menschen in die Supermärkte in Tel Aviv stürmen und panisch Vorräte einkaufen. "Alle hier sind gebrochen und am Boden zerstört", schreibt er mir um 23.10 Uhr.

Seit jenen Tagen im Oktober chatten Ilan und ich regelmäßig. Er schreibt mir, wie sich auch seine Familie mit Reis und Bohnen eindeckt, und er Kanister für Wasser bei Amazon bestellt, weil sie in den Geschäften nicht mehr erhältlich sind.

Als er mir am 11. Oktober um 16.45 Uhr ein Foto aus dem Bunker schickt, biete ich ihm an, nach Berlin zu kommen und bei mir zu wohnen. "Bring deine Familie mit", schreibe ich und überlege sofort, wie ich uns alle vorübergehend in meiner 54-Quadratmeter-Wohnung unterbringen kann. Doch Ilan will in Israel bleiben. Er schreibt mir auch, dass er in den vergangenen vier Tagen kaum etwas gegessen und drei Kilo abgenommen hat.

Um sich abzulenken fährt er viel mit dem Fahrrad. Denn er macht sich Sorgen um die Zukunft: "Ich hoffe, dass es bald wieder besser wird. Obwohl ich mir fast sicher bin, dass wir nur wie Figuren in einem riesigen Spiel sind. Ich habe das Gefühl, dass es für unsere Soldaten in Gaza eine Katastrophe sein wird. Dieser Krieg hat die Tür zu einem großen und langen Krieg geöffnet, der vor uns liegt", schreibt er.

Ein Jahr später hat sich das Leben der Menschen in Israel komplett verändert. Von Ilan möchte ich wissen, wie es ihm nun ein Jahr später geht. Wir telefonieren:

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Ilan, der 7. Oktober jährt sich in wenigen Tagen. Was hat sich bei dir verändert?

Alles, was ich heute mache, ist mit Traurigkeit verbunden. Aus so vielen Gründen gibt es kein vollkommenes Glück. Als Israeli, Jude und Sohn eines Holocaust-Überlebenden aus Polen bin ich es gewohnt, in einem "Überlebensmodus" zu leben. Aber nun leben wir seit einem Jahr in Angst. Ich glaube, dass mein Land, meine Familie und ich nach so vielen Jahren eigentlich ein anderes Leben verdienen.

Was vermisst du am meisten?

Ich vermisse das Gefühl der Freiheit in meinem Leben.

Was meinst du damit?

Mir fehlt die Freiheit, dorthin zu gehen, wohin ich möchte. Wir sollen beispielsweise in der Nähe von Bunkern bleiben. Daher gehe ich auch nicht mehr an den Strand, schwimme nicht mehr im Meer. Denn ich kann dann nicht schnell genug Schutz in einem Bunker suchen. Wenn der Raketenalarm beginnt, haben wir nur wenige Sekunden Zeit, um zum Bunker zu rennen. Ich fühle mich wie ein Gefangener in meiner eigenen Welt. Und ich habe das Gefühl, dass die Menschen auf der Welt mich und auch die Situation hier nicht verstehen.

Wie geht es Deinen Eltern?

Alles macht mich traurig. Ich bin traurig, dass meine Eltern miterleben müssen, wie das Land, für das sie gekämpft und so viel gelitten haben, um dort leben zu können, auseinanderfällt. Ich weiß, dass mein Vater traurig darüber ist, dass es diesen Krieg gibt und auch über die politische Situation in den vergangenen zwei Jahren. Alles, was er aufgebaut hat, bricht zusammen. Ich habe mir die letzten Jahre meines Vaters hier ganz anders vorgestellt, als die Realität jetzt ist.

Und wie geht es Deinen Kindern?

Mein älterer Sohn ist zehn Jahre alt. Er hat erst Corona und jetzt den Krieg durchgemacht. Es ist fast unmöglich, sich vorzustellen, wie hart sein Leben ist. Er ist ein sehr sensibler Junge und leidet unter großem psychischen Stress. Ich habe Angst, dass er bereits Teil seiner Persönlichkeit ist. Vergangene Woche hatte er eine Panikattacke. Es war beängstigend. Wie ein Albtraum, der kein Ende nimmt. Da wurde mir zum ersten Mal klar, dass wir ein Auge auf ihn haben müssen. Es ist so unfair, dass die Kinder leiden. Ich versuche, ihn zu beschützen, aber das ist fast unmöglich. Mein Jüngster ist vier. Was kann man einem vierjährigen Kind sagen, wenn es mitten in der Nacht von lauten Sirenen und 300 explodierenden Drohnen aus dem Iran aufwacht?

Gibt es etwas, das Dich trotzdem glücklich macht?

Ich versuche, ein ruhiges Leben zu führen. Ich versuche, mich nur um die Dinge zu kümmern, die ich kontrollieren und beeinflussen kann. Wenn ich das nicht könnte, würde ich in eine große Depression fallen. Heutzutage ist es schwer, glücklich zu sein. Ich bin froh, dass meine kleine Familie und ich gesund sind und hoffe, dass es eines Tages Frieden und Wohlstand geben wird und Israel wieder auf einen erfolgreichen Weg kommt, wie es sein sollte.

Verwendete Quellen
  • Persönlicher WhatsApp-Chat vom 7. Oktober 2023
  • Interview mit Ilan Spira (04.10.2024)
  • Eigene Recherche
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