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Bericht aus Kibbuz: Mann verteidigt Familie vom Küchenfenster aus


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Kibbuz-Einwohner erzählt
"Ich hörte die Tochter meines Freundes flüstern: Helft uns!"


14.10.2023Lesedauer: 3 Min.
Ein israelischer Soldat in einem zerstörten Haus (Archivbild): Bei Vorstößen in den Gazastreifen sollen Leichen gefunden worden sein.Vergrößern des Bildes
Ein israelischer Soldat in einem zerstörten Haus im Kibbutz Be'eri (Archivbild): Hier kamen viele Menschen ums Leben. (Quelle: AMIR COHEN)

Als die Hamas-Terroristen vergangenen Samstag den Kibbuz Be'eri überfallen, verteidigt ein Mann seine Familie vom Küchenfenster aus. Er streift die Angst ab und wird "zum Krieger".

Als Golan Abitbol am Freitag vor einer Woche von einer Dienstreise aus Reykjavík (Island) zurückkehrt, ist die Welt noch in Ordnung. Der 44-Jährige lebt mit seiner Frau und den vier Kindern im Kibbuz Be'eri in der Nähe des Gazastreifens. Nach seiner Ankunft isst er mit ihnen zu Abend und trifft danach noch ein paar Freunde, bevor er zufrieden zu Bett geht.

Wenige Stunden später ist es aus mit dem Frieden. "Ich wachte gegen 6.20 Uhr zu dem Geräusch von startenden Raketen auf", erzählte Abitbol jetzt im "New York Times"-Podcast "The Daily". Die Menschen im Kibbuz Be'eri seien an Raketenlärm gewöhnt. "Aber diesmal war es anders, es war so überraschend und intensiv."

Abitbol schießt aus dem Küchenfenster

Weil im Kibbuz jeder jeden kennt, haben die Menschen eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe. Hier trifft die Nachricht ein, dass alle sich sofort in ihren Häusern einschließen sollen. Abitbol bringt seine Familie in einen Schutzraum, holt seine Kaliber-Neun-Pistole aus dem Safe und postiert sich am Küchenfenster.

Hier beobachtet er, wie die Terroristen in die Wohnung seines Nachbarn eindringen. Einige tragen Uniformen der israelischen Armee. Doch Abitbol erkennt sie, weil die Uniformen nicht richtig sitzen. Dann kommen die Männer auf sein Fenster zu. Abitbol: "Ich sehe in ihren Augen, dass sie mich und meine Familie töten werden. Ich weiß, dass ich jetzt schießen muss, sonst ist es zu spät. Und dann schieße ich los."

Weil es in Israel eine Wehrpflicht gibt, ist so gut wie jeder im Land militärisch ausgebildet. Angst hat Abitbol aber trotzdem. Doch dann sieht er die Bilder wie in Zeitlupe vor sich ablaufen, erzählt er. "Du denkst nicht, dass du zum Krieger werden kannst, aber du kannst. Es ist Zeit, dem Feind die Stirn zu bieten."

Zehnjährige flüstert Nachricht in WhatsApp-Gruppe

Währenddessen laufen in der WhatsApp-Gruppe die Nachrichten ein. Die Menschen halten sich gegenseitig auf dem Laufenden, geben sich Tipps – und dann hört Abitbol die herzzerreißende Nachricht der zehnjährigen Tochter eines Freundes. Sie schickt eine Tonaufnahme in die Gruppe, in der sie flüsternd fleht: "Helft uns". Abitbol erinnert sich: "Sie sagte, dass ihre Mutter und ihr Bruder bereits tot seien, der Vater verwundet."

Als wenig später Einheiten der israelischen Armee mit Panzern anrücken, hat der Alptraum bald ein Ende. Im Kibbuz Be'eri zählen die Menschen ihre Toten. Abitbol erfährt erleichtert, dass sein Freund und die Tochter mit dem Leben davongekommen sind.

Video | Kibbuz Beeri: Hier verübten die Hamas ihr erstes Massaker
Bewaffnete Hamas-Terroristen fahren auf Motorrädern durch einen Kibbuz in der Nähe des Gazastreifens.
Quelle: Glomex

Ein zweiter Holocaust

Doch etwa jeder Zehnte im Kibbuz Be'eri fand bei dem Überfall den Tod und von vielen Menschen fehle jede Spur, berichtet der Mann. "Sie nahmen Babys mit, sie nahmen Kinder mit und ältere Menschen. Darunter auch eine 80 Jahre alte Frau, die für mich wie eine Großmutter war."

Abitbol und die Überlebenden von Be'eri befinden sich zurzeit in einem Hotel am Toten Meer. Sie sind in Sicherheit, aber zutiefst verunsichert. "Israel geht durch einen zweiten Holocaust und ich konnte dagegen an vorderster Front kämpfen", erzählt er stolz. "Aber unsere Kinder und wir, wir werden nie wieder so sein wie vorher."

Fünf Tage nach dem Angriff veröffentlichten Rettungskräfte über Telegram Bilder aus dem Kibbuz Be'eri. Auf einem ist eine verbrannte Kinderleiche zu sehen. Auf einem anderen ein Kinderzimmer mit blutigen Schleifspuren auf dem Boden. Ein Sanitäter ist zu sehen, wie er eine Leiche in Kindergröße in einem Leichensack auf dem Arm hält. Wie viele Menschen genau starben, verletzt wurden und gekidnappt, ist noch immer unklar.

Insgesamt wurden in Israel bislang mehr als 1.300 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten, getötet. Zudem verschleppte die Terrororganisation etwa 150 Menschen in den Gazastreifen. Als Reaktion auf den Hamas-Angriff nahm die israelische Armee den Gazastreifen unter Dauerbeschuss. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben vom Freitagabend mindestens 1.900 Menschen getötet, unter ihnen mehr als 600 Kinder.

Verwendete Quellen
  • podcasts.musixmatch.com: "The Daily" Golan's Story
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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